»Wir wollen, daß man sich an uns gewöhnt«
Erst liefen sie Sturm, nun danken sie für Stille. Gestern noch schleuderten sie Farbbeutel; nun neigen sich die Rebellen über Saatgut und Glasperlenspiel. Umwölkt vom Duft der Räucherstäbe, wächst eine neue deutsche Jugendbewegung, die mit dem apolitischen Kredo: Süß und ehrenvoll ist"s, sich von der Gesellschaft abzuwenden.
Verweigere dich wie ein Hippie, spiel wie ein Yippie den ideologiefreien, närrischen Neinsager, breche, als ein »Freak«, alle Brücken hinter dir ab: Tausende von einst hingerissenen Mitläufern der Apo erhoffen von so was jetzt die Heilung ihrer politischen Frustration. Zehntausende, auf der Suche nach Identität, rüsten sich noch auf der Schulbank zum Absprung, denn keinesfalls wollen sie werden wie die Eltern.
»Steigt aus! Macht euch illegal!« empfehlen soeben gegründete deutsche »Sektionen« der Yippie-Organisation »Youth international party«. Jeder sei »sein eigener Anführer« und handle nach der Devise: »Alle reden vom Umsturz -- wir nicht.«
Statt des Systems verändere man radikal sich selber -- ein betörender Ausweg aus dem Leistungsdruck, der kleinbürgerlichen wie globalen Tristesse der siebziger Jahre. Er lockt wie eine Droge. Und Drogen führen zu ihm hin.
Gebrannte Kinder und richtungslose Schwärmer, die Sensibelsten und Hehrsten, Neurotiker, auch Schelme sehen die einzig noch sinnvolle Tat darin, nicht zu tun, was die Gesellschaft erwartet. Keine Leistung mehr, kein sogenannter Konsum: Es sieht ja aus, als sei das möglich.
Handelnd mit eigenen Handarbeiten, erscheinen sie im goldigen Mainz wie im Bei Kucha. Mitteifranken.
bayrischen Landshut, am Kurfürstendamm, auf der Leopoldstraße von Schwabing oder auf der Frankfurter Hauptwache. Unter anderem entfesseln sie zwischen Polizei- und Kulturbürokraten der nur widerwillig toleranten Städte einen diskreten Hader. Gehören sie weg? Oder soll man sie als exotischen Underground der keimfreien Saubermann-Society belassen?
Sie bilden eine »Scene« und nennen sich so. Sie suchen alle in derselben Richtung -- nach einer neuen Rolle außerhalb der alten Gesellschaft. Dabei wissen sie selber weniger voneinander als die Mitglieder einer bürgerlichen Landsmannschaft.
Wohl sind sie Abnehmer wie Erzeuger einer kärglichen »Alternativ-Presse«, bestehend aus drei Dutzend sporadisch erscheinenden Postillen, um deren Vertrieb sich ausgerechnet ein Krupp-Kaufmann namens Josef Wintjes (Pseudonym: Ulcus Molle) am Feierabend verdient macht. Die pflegen eine eigene, dufte, bullenfeindliche Insider-Sprache und eine ebenso dufte Bereitschaft, bereits Vorsätze für Wirklichkeit zu nehmen.
Doch die Beschäftigung mit der persönlichen Misere und Metamorphose hindert die deutschen Abtrünnigen an nennenswerter Kommunikation. Gleichwohl, wie auf ein geheimes Zeichen zum Aufbruch, vollziehen in diesem Sommer an die fünf Dutzend unpolitische Kommunen und Kollektive eine erweiterte Flucht: aus der verschmutzten Umwelt hinaus aufs Land.
Autark bis hin zur eigenen Ernte wollen manche werden. Sie pflanzen Salat, Rhabarber, Hafer; heimlich auch Hanf, ihre Wunderpflanze. Um den Mietzins für ihre Bauernhöfe zu schaffen, stellen sie Sandalen und Gürtel her, Halsschmuck und irdene Töpfe. Für sich selbst und ihre jugendlichen Bewunderer nähen sie bunten, billigen Putz. Eigener Hände Arbeit. sagen sie, bereite sogar Lust.
Aber davon zu leben fällt ihnen schwer, wenn sie nicht nebenbei ein wenig dealen. Gäbe es LSD und Hasch legal zu kaufen, so träfe das kurioserweise gerade die, denen, der Bewußtseinsveränderung wegen, »reine Drogen« als das Manna des neuen Menschen erscheinen. In den Städten emigrierte die Scene aus Republikanischen Clubs in exotische Teestuben mit Beat, Drogengeflüster und asiatischen Brettspielen. Rezepte für Tee, nicht für Molotow-Cocktails regen den friedvollen Untergrund an. Die geballte Faust hat sich geöffnet. Oft enthält sie ein Stück »Schwarzen Afghan«. Gelegentlich ist sie voll Schwielen.
Ein Frankfurter Metallarbeitersohn, der sein eigener Anführer wurde, sich Robinson nennt und bedürfnislos, mietfrei, ohne jede Arbeit mit Gleichgesonnenen ein geräumtes Haus bewohnt, benutzte die roten Fahnen von ehemals zur Verkleidung seiner Klause. Dies Leben endlich, sagt er, sei »der volle Hammer
»Revolution? Quatsch und vorbei!« so Raymond Martin, 19 Jahre, ein maßgeblicher Mann für die Scene weit um Nürnberg. »All die Revolution-Jetzt! -Schreier, Apo-Aggressoren, Terroristen und Mode-Maoisten« sollten von ihm und seinen amerikanischen Underground-Lehrmeistern erfahren, wie man, vorerst, Revolution mit sich selber macht: »stoned«, frei von Zwängen und Gewalt, naturgerecht ernährt ("Du bist, was du ißt") und voller, voller Liebe.
Derlei Weggetretene legen Wert darauf, zeitlos und somit ohne jede Uhr zu leben. Sie nennen sich Brüder und Schwestern, nicht Genossen. Bei einer Demonstration gegen Francos Konsulat in Frankfurt rissen gleichaltrige Revolutionäre von der KPD/ML einem solchen unerwünschten Freund von Love and Peace die Maomütze herunter; einem wie ihm stehe die nicht zu.
Aus Frankfurts rotem »Libresso« fühlen sich die indisch und indianisch geschmückten Hesse- und Novalis-Freunde der Hip-Kommunen von zürnenden Marxisten hinausgeekelt.
Im Gegensatz zur Verkniffenheit von Bürgerschreck und Bürger kennzeichnet Milde die Scene. Genau wie der große US-Hippie Gary Snyder* es vorschrieb: »ein großer, leuchtender und sanfter Blick, eine gewisse Ruhe und Herzlichkeit, eine Frische und Gelöstheit im Benehmen«. Wer in der Scene etwas gilt, strahlt etwas aus: »good vibrations«; gute Schwingungen. Er vertraut Leuten, von denen dergleichen ebenfalls auszugehen scheint,
Der Ausdruck »Typen«, mit dem Berlins Regierender Schütz vor vier Jahren noch mächtigen linken Sturm entfesselte, stört sie nicht mehr. Ein Typ zu sein ist selbstverständlich.
So neue Maßstäbe setzt das Idiom der Bewegung. Anglizismen eines internationalen Pop-, Underground- und Drogen-Jargons, alte Apo-Worte, die befreienden auch mit vier Buchstaben, Begriffe des Joga, der Makrobiotik und der psychedelischen Technologie fließen schon dem ausflippenden Lehrling sanft
vorbild für eine Romanfigur Jack Kerouacs.
von den Lippen. Unaufhaltsam, wie der bereits kommerzialisierte Gammel-Look, verbreitet sich diese Sprache des Undergrounds auf Schulhöfen und in den Freizeitheimen der Jugendämter. Gratis verteilt das Frankfurter Informationsamt bereits ein Dictionary der Drogen-Scene.
Insofern zumindest scheint sich anzubahnen, was einer der Zeitungsmacher der Scene mit Samt in der Stimme fordert: »Wir wollen einfach, daß man sich an uns gewöhnt.« Und so, immer friedlich, weiter: »Sobald wir in der Überzahl sind, werdet ihr für unnormal gelten.«
Privater Umsturz empfohlen.
Resignation als Revolution. Immerhin, diese gelassene Verweigerung einer Minderheit entfacht bei der eigenen Generation zunehmend Bewunderung, selten Hohn. In mindestens zweihundert Teestuben und sogenannten Hippieläden, von denen der unpolitische Untergrund und dessen kommerzielle Nachahmer zehren, atmen die Schüler den Würzduft des Haschismus.
Und sie kokettieren mit dem augenscheinlich Möglichen: dem mächtigen Schulabtrieb zu den Futterkrippen des Systems zu entgehen; sich in lustvoller Lethargie sofort zu befreien von allem Zwang (zu leisten, zu verbrauchen, vorzusorgen, Eigentum zu bilden, verpestete Luft zu atmen).
Die Ausgestiegenen sagen. es geht. »Shit«, und »Trips« (Hasch und LSD) öffneten die Türen, die ins Freie führen. Sie förderten den leichten Mut hindurchzugehen.
»Turn on. tune in, drop out«, predigte der auch der deutschen Scene heilige amerikanische Drogenanwalt Timothy Leary -- zu deutsch: Öffne deine Sinne (mit Drogen), stimm dich ein (auf ein neues Bewußtsein), steig aus. Das schlägt schneller an als der Glaube an eine ferne Revolution oder die Knochenarbeit für millimeterweise System-Reformen.
Und was bei solchem privatem Umsturz herauskommt, schreckt den leistungstreuen Bürger ersichtlich weniger als zerschlagene Scheiben oder der bloße Gedanke an den Verlust von Eigentum.
Beruhigt fassen die Touristen auf dem Kudamm an, was die Drop-outs aus Draht, Lederresten und Glasperlen kunstgewerblich so machen. »Hallo, Leute, schafft öfter mal wieder was selber!« schreibt ein Typ auf den Gehsteig. Da stutzen die Leute, die Marxens Theorie der entfremdeten Arbeit sowenig wie er gelesen haben. Man kommt ins Gespräch. Es führen Denkverbindungen vom Hobby zum Hippie.
Raymond Martin aus Nürnberg kennt ähnliche Nachbarlichkeit von den Bauern im mittelfränkischen Dorf Kucha, wo er seit dem Winter mit einer 20köpfigen Kommune von ehemaligen Anarchisten, Schülerinnen und Opfern der deutschen Fürsorge-Erziehung für 300 Mark im Monat das Obergeschoß der Zwergschule bewohnt, Einen großen Acker bekamen die ausgeflippten Kommunarden umsonst. Ein motorisierter Bauer war so freundlich und pflügte.
Zwar hält sich auf den Wangen dieser jungen Leute die Blässe ungezählter Trips. Doch auf ihrer Schulter tragen sie rührend entschlossen die Harke. Sie trinken viel Milch, der drogengereizten Leber wegen. Da lohnte sich für einen Nachbarn der Ankauf einer weiteren Kuh.
Der reinen Luft, der reinen Nahrung, des eigenen Hanfs im eigenen Garten sich zu freuen, werden diese Stadtkinder nimmer müde. Die Bauernkinder zieht es in Richtung Industrie.
Zum Zeichen ihrer Seelenverwandtschaft beschlossen die Kommunarden, sich fortan »Sippe« zu nennen. Die Leute vom Dorf vergessen gerade, was dieses Wort bei ihnen bedeutete.
Diese Sippe nimmt es als naturgegeben hin, daß einzelne in ihr eine Art Autorität erlangen und ohne Abstimmung entscheiden. Dankbar empfängt sie für ihre Hilfe bei der Bauernarbeit Lohn in Naturalien. So etwas suggeriert Unabhängigkeit, eine Art Freiheit von Geld wie vom Kapital.
Nicht die Pille, aber LSD.
Wenn sie weiter Lebensmittel vom Reformversand beziehen, so hängt das mit dem Gebot der Reinheit zusammen. dem sie, gleich anderen zur Sippe geläuterten Kollektiven, größte Bedeutung beimessen. Der glücklich-neue Mensch braucht: makrobiotisch einwandfreie Haferflocken und Nüsse, ungeschälten Reis und reinen, braunen Zucker. Wer noch saubere Drogen zu kleinen Preisen bringt, der betreibt in den Augen dieser Scene ein »reines. überaus ehrliches Geschäft« -- ein Missionar des inneren Wandels.
Das Konzept ist total, romantisch und der industriellen Wirklichkeit so fern wie der Blut-und-Bodenkult deutscher Lesebücher von gestern. Abseits der lästigen Wirklichkeit erscheint durch die psychedelische Brille die Gartenlaube wie ein Reich der Freiheit.
Naturgerecht vollzieht die Sippe in ihrer Idylle alles oder nimmt sich das jedenfalls vor. Marmelade kocht sie selber; der sich erneuernde Erdenbürger. sagt Bruder Raymond, läßt sich nicht von der Industrie »in den Mund scheißen«. Wie Müll, je nach Herkunft, vergraben, verbrannt oder weggefahren gehört, findet man durch schriftlichen Anschlag geregelt. Kleine Welt, reine Welt.
Eines der Mädchen, knapp 18, bekennt sich soweit zum naturgerechten Leben, daß es. außer LSD, keine pharmazeutischen Produkte akzeptiert -- auch nicht die Pille. Sie ist bereits schwanger.
Raymond Martin hält diese kollektive Abwendung von der Industriegesellschaft für geglückt. Nun muß die Sippe zur Großsippe wachsen. Nicht gerade vermittels eigener Fruchtbarkeit, vielmehr durch ein großes Sammeln.
In der deutschen Provinz, auch in der sehr deutschen Mittelfrankens, herrscht ja kein Mangel an Typen, wie sie in der Schule von Kucha hausen. Die Sippe besitzt zwei dem Schrott entrissene VW-Busse, in denen sie sich ihre kaputten Hospitanten systematisch hereinholt.
Unabhängig voneinander träumen apolitische Radikale der deutschen Scene diese Utopie einer Gegengesellschaft. Eine Siedlung von Drop-outs oder, wie die Sippe von Kucha anstrebt, eine »Republik der Ausgestiegenen«, ein »Earth Peoples Park« nach wiederum amerikanischem Vorbild, könnte, so glauben sie, eine maximale Selbstversorgung und Absicherung gegen die unreine Umwelt organisieren.
Raymond Martin erblickt sein Gelobtes Land: am Zonenrand. an dem weiter nördlich in diesem Sommer bereits Vortrupps aus Hamburg und Berlin in leerstehende Landquartiere zogen. Dort kostet der Boden oft nur Pfennige.
Wenn jeder aus einer hundertköpfigen Großsippe nur einmal einen verlorenen Zuschuß von 2000 Mark aufbringt, so reicht das nach Meinung der Gründernaturen von Kucha, sich vollkommen unabhängig zu machen. Und wen es drängt, für eine Weile nach Indien zu reisen, der wird das mit Brüdern und Schwestern der Sippe im Sippenbus tun. Die daheim ackern indessen.
Es leben Typen in Kucha, die für den faustischen Drang, »auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen«, bereits mehr als nur Gedankenarbeit leisteten. Beispielsweise ein Anarchist aus der Lebkuchenstadt. der in Schweden im Knast saß, weil er geholfen hat, 180 000 Kronen für den Ankauf eines Kommune-Hofes oben im Norden aus einer Rank zu holen.
Daß Unabhängigkeit zwar nicht so, aber doch überhaupt durch Drop-outs geschaffen werden kann, ließen die Leute von Kucha sich von 40 Brüdern und Schwestern der aus vielen Nationen und Rassen gemischten amerikanischen »Hog-Farm«-Familie bestätigen, die auf einem Trip nach Indien bei ihnen vorbeischauten und das Mus mit ihnen teilten. Es war nur ein kleiner Teil der Hog-Familie, die in Neu-Mexiko autark ihr Land bebaut.
»You are a God, fuck like one!«
Sie reisten in einer Ruine von Omnibus, die in Franken erst fahrbereit geschweißt werden mußte. In einem Dorf unweit von Kucha siedelt ein technisch versiertes Kollektiv, das derlei Hilfswerk brüderlich für nette Typen vollführt.
Außer Mut kostet es zunächst nicht viel, sich von der Pike auf zu verweigern. Wenn die Miete für alle wie in Kucha nur 300 Mark beträgt, läßt sich das programmatisch einfache Leben von zwanzig Gesunden mit insgesamt 1600 Mark im Monat finanzieren. Andere deutsche Hippie-Kommunen zwingt eine dreimal so hohe Miete zu einem Arbeitsstil, der den Spielraum ihrer fiebrigen Sehnsucht nach Natur- und Selbstbetrachtung arg beschneidet.
Ein Hamburger Hippie versucht sich deshalb mit Schlapphut und einem Lächeln der Liebe als Vertreter für Kaffeemaschinen. »Die große Rowenta müssen Sie erleben
Puristen wie die Typen von Kucha sehen die einzig angemessene ökonomische Ergänzung in einem Brückenkopf inmitten der nächsten großen Stadt. einem »Headshop« oder einer Kneipe, wo man selbstgemachte Waren und Lebenserfahrungen stilgerecht unters Volk bringt.
Außer dem üblichen überflüssigen Krimskrams, womit Ausgestiegene ihre Loslösung aus der Überflußgesellschaft alles andere als krisenfest finanzieren, bringt die Sippe von Kucha abgelichtete Porno-Comics aus dem amerikanischen Underground in den Handel. Dazu ein eigenes Erzeugnis: »Pänggg«, das »Untergrund-Volksblatt«, 16 Seiten, 1 Mark, Druckauflage: 5000.
Raymond Martin, Prototyp einer nun überall in der deutschen Scene sich rekelnden Entschlossenheit zu organisierter, eigenständiger Kommunikation, fertigt diese sporadischen Mitteilungen der Sippe überwiegend autoritär. Seine Sippe sorgt dafür, daß dies in den Druck und in die Bücherstuben der Linken gerät. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg hilft; sie erklärt »Pänggg« gelegentlich für sittengefährdend.
Trotzdem kommt Mutter Martin, Ehefrau eines Postingenieurs, hin und wieder (und ungebeten) wie andere Angehörige, um den ausgeflippten Sohn zu besuchen. »Wir haben in unserer Jugend auch gesponnen«, tröstet sie sich und erhält den neuen Anzug mottensicher, den der highgestimmte Taugenichts kurz vor dem Absprung noch zu schätzen schien.
Doch es mutet eher an, als gelte für die Abtrünnigen von Kucha: Robinson kehrt nicht zurück.
»Pänggg«, scherzt Raymond Martin, »ist das Geräusch, das beim Aufstoßen aller Türen entsteht.« Standortmeldungen vom Weg, der dann folgt, enthüllen den hektischen Wechsel eines angetörnten Bewußtseins, niemals Zweifel an der Wegrichtung.
Drogen und Sex ("You are a God, fuck like one!") verlieren nach einer Weile an Wichtigkeit. Erst riet Martin, zwecks Neugeburt »am Anfang ein Jahr lang« täglich zwei Joints zu rauchen. Eine Umlaufbahn jenseits der Gesellschaft wurde erreicht.
»Unser Ego kämpft«, warnt nun der ehemalige Oberschüler, »gegen unsere Anstrengungen, die Wahrheit zu erkennen, und lenkt uns durch Sex und sonstige Trips von unserem Ziel ab.« Was mit Lust und Euphorie begann, reift zu elitärer Klausur. »Wir werden immer weiser und gütiger ... finden uns mehr und mehr ... was wir sagen und tun, ist immer richtig.«
»Wenn nun jeder das so machte?«
Anders als den Wermutbrüdern und »Nichtseßhaften« aus den Nachtasylen, die hilflos heim ins bürgerliche Leben strampeln. widerfährt den vorsätzlichen Drop-outs der Scene seitens der deutschen Umwelt etwas wie Achtung. Das läßt ja doch System erkennen, eines, das an geheime Fluchtwünsche des Konsumbürgers -- nach dem Freien, Grünen, Reinen, Unpolitischen. handgreiflich Sinnvollen -- rührt.
Einen Freiraum, wie diese ihn nur erstreben, den kann die Gesellschaft sogar mit einrichten. Etwas öffentliche Förderung genießen politisch passive Kommunen bereits, wo sie als »Release« in ihre Vertrautheit, ihre angetörnte Werkel-Atmosphäre Fixer zur Entwöhnung herein nehmen. Jugend- und Gesundheitsbehörden erkennen, daß so eher als im herkömmlichen Entzug eine Chance besteht, Süchtigkeit sozial zu heilen.
Mit Erlaubnis der Universitätsverwaltung besetzten diesen Sommer in Frankfurt an die hundert Typen fünf leerstehende alte Institutsgebäude, um darin ein »Release« mit Teestube und Werkstatt, vor allem jedoch die Suche nach sich selber zu betreiben. Einige brachten soviel Kraft auf, ein großes Spruchband hochzuziehen. »We love you. Timothy Leary.« Andere schrieben aufs Schwarze Brett: »Baut die violette Front auf!«, fingen auch an, die grünen Höfe zu entrümpeln, erschlafften aber schnell.
In Hamburg bevölkert »Release« mit öffentlicher Hilfe ein Stadthaus und einen Bauernhof im Stil der Scene und benutzt für den Pendelverkehr ein renoviertes Feuerwehr-Auto. In München fließen aus den Quellen des Rotary Clubs Hilfsmittel für ein altes Haus im Zentrum, in welchem eine Wohngemeinschaft junger Fixer zwangsfreie kollektive Entwöhnung in liebevoller Zusammenarbeit versucht.
Walter Winkelmann, ein erfolgreicher junger Architekt der Olympia-Stadt, hegt auf teuerstem Boden, in der Schwabinger Herzogstraße, vor seinem wolkig blau-weiß bemalten alten Mietshaus eine Hippie-Subkultur. Im Hof. unter einem von ihm finanzierten Riesenbaldachin. zimmerten Drop-outs für rings um München auf dem Lande siedelnde Kollektive mit behördlichem Segen einen Basar, wo bei Kerzenlicht friedliche Typen zuhauf vor den Buden lagern und sich streicheln.
Vom nahen Supermarkt versorgen sich durchreisende Freaks, an deren Landrovern noch der Staub des Khaiber-Passes klebt, gelegentlich mustergültig aus dem Überfluß der Gesellschaft: holen den Abfall aus dem Handel mit Obst und Gemüse und lesen, wie Aschenputtels Tauben, daraus einwandfreie Ware. »Imponiert mir sehr«, sagt ein Ladenbesitzer von nebenan. »Für 80 Mark hat einer mir zwei Tage geholfen. Jetzt lebt der davon schon zwei Wochen!«
Die geschniegelte Landjugend von Bargteheide (Schleswig-Holstein) lud eine der in diesem Sommer im Umkreis dieses Provinznestes siedelnden Landkommunen zum Freibier. Sie wollte hören, wie es möglich sein soll, so zu leben. Insbesondere: wie die Leute sich denn ihre Zukunft denken.
Fragen der Vorsorge beunruhigten am stärksten die weibliche Landjugend. »Ihr seid doch sozial nicht abgesichert«, zürnten die Mädchen. »Ihr kommt doch so nicht voran- und könnt euch nichts leisten!«
Die Jesus-Bärte. Johannes-Locken und Hippie-Kutten der zwölf Drop-outs versetzten die Landjugend schon nicht mehr in Rage. Es reizt das, wie ein geplagter Hoferbe fand, »asoziale Verhalten« von Leuten, die »nicht Kapital bilden ... -- eine Existenz aufbauen ... für sich allein leben«. Auf Rosa Luxemburg, ihre Lehre von den Grenzen der individuellen Freiheit, berief sich das Landvolk. »Was, wenn nun jeder das so machte?«
Diese Schlüsselfrage ihrer Abseits-Revolution zählt zu dem, was die Kommunarden sich selber verweigern; sie ist ihnen so befremdlich wie dem Reichen, der für sich eine Insel beansprucht. Weder ein Zusammenbruch noch auch nur eine Krise der bürgerlichen Ordnung wird gewünscht, im Gegenteil.
»Wir brauchen die Gesellschaft! Wir wollen uns nicht isolieren!« Das sagte immerhin ein ehemaliger Klassenkämpfer; einer von drei ausgeflippten jungen Baufacharbeitern aus der Landkommune. die in Hamburg einmal kommunistische Basisarbeit geleistet haben. Nun lehnen sie alle industriellen Systeme ab und »haben keine politische Einstellung«. Nur das Kommuneschaf färbten sie rot.
Höherer Einsicht plötzlich teilhaftig.
Jungarbeiter, Lehrlinge entdecken in der einhelligen Nabelschau Ausgeflippter häufig eine Geborgenheit, die sie jener programmatischen Hochachtung vorziehen, welche dem Proleten von linksradikalen Kadern entgegengebracht wird. In der hellen Euphorie von Halluzinogenen versinken Klassenschranken und der Groll über eine unzulängliche Schulbildung; höherer Ein sicht fühlt man sich plötzlich teilhaftig.
Daß sie erleben, wie vieles sie nicht nötig haben, und damit eine menschlichere Lebensweise vorführen -- das. glauben die Kommunarden von Bargteheide, könne anderen vielleicht helfen. sich aus dem oder jenem Zwang zu lösen. Eine der Kommune-Frauen, früher kaufmännisch angestellt. sagt, wie schwer es ihr geworden sei, auf Kosmetika zu verzichten. »Aber Töpferarbeit bringt Spaß. im Büro sitzen nicht.«
Die Textilien von vier Frauen, zwei Kindern. acht Männern füllen einen Schrank. Ein VW-Kombi reicht für alle. 17 Hühner legen kostenlos Eier, und im Garten sprießt eigenes Grünzeug.
Alles im Haus, all ihren bodennahen Sitz- oder Schlafkomfort, Installationen und so fort erstellen sie selber. Im Garten stehen Zelte für die Scharen ihrer Sympathisanten. Selbstgebaute Hi Fi-Boxen, die sie serienweise verkaufen, strahlen unentwegt im Hause gute Schwingungen aus.
Man törnt sich an: ohne das klänge der bürgerliche Nachschmerz nicht ab. Versäumte Spielerlebnisse der Kindheit werden nachgeholt. Die Männer. überwiegend ohne musikalische Kenntnis. proben auf der Tenne Beat, genießen es. von sich nichts Großes zu erwarten. Einmal verfütterten sie einen »Trip« an ihre zwei Schweine; diese zeigten sich animiert.
Das wäre dann die Befreiung? Existenzangst schlägt doch immer wieder durch. Wer irgend kann, zahlt seine Versicherungen weiter.
Dem kontinuierlichen Zahlungszwang für Lebensmittel, Miete, Licht, Kraftwagen entspricht nicht der Erlös ihrer Heimarbeiten. An den HiFi-Boxen verdient zum Beispiel auch schon wieder eine andere Kommune in Hamburg, die sich ungeniert vom Zwischenhandel nährt, ehe die Geräte an einen rein kapitalistischen Ausstattungsbetrieb weiterwandern.
So verdingen sie sich zu Gelegenheitsarbeiten, die gar nicht leicht zu finden sind. Rund drei Tausender, die sie im Monat eigentlich brauchen, müssen irgendwie aus der vollbeschäftigten Umwelt hereingeholt werden.
»Hunger und Mangel, wie unsere Eltern uns das immer vorgemalt haben«, beruhigt sich ein 25 jähriger Fliesenleger a. D., »das haben wir alles nun schon selber erlebt, und es ist doch immer anders gekommen. Auch das ein Freiheits-Erlebnis.
Schwerer wiegt ein Mangel, mit dem Sippen und Kollektive der unpolitischen Scene auf unterschiedliche Weise ringen: Es machen zuwenig Mädchen mit. Sich einer Unabhängigkeitsbewegung anheimzugeben, zu deren Wahrzeichen Nähmaschine und Stickrahmen gehören, fällt emanzipierten Töchtern naturgemäß schwer. Andere, denen Sicherheit und ein mechanisierter Haushalt vorschweben, scheuen erst recht den Schritt in das soziale Niemandsland, wo überdies die Männer privilegiert am »Chillum«, der Haschpfeife, saugen und wieder sippenväterlich einherschreiten, Gott suchend, einen Weg der Transzendenz, einen Guru.
Schöngeistige Drop-outs, speziell wenn sie sich in einem der fast frauenlosen internationalen »Ashrams« in Indien läuterten, sehen eine Fortentwicklung der Sexualität darin, sich nicht mehr ausschließlich aufs andere Geschlecht festzulegen.
Die proletarischen Landkommunarden in Bargteheide, von der Landjugend zaghaft nach ihrem, wie man annahm, entfesselten Geschlechtsleben befragt, faßten ihre Erfahrung zusammen: »Zum Bumsen kannst du niemand zwingen.
Gelegentlich preschen die Frauenlosen aus dem Kollektiv mit dem Kombi nach St. Pauli »auf den Kiez. Eine viel zu teure, ihren Idealen zuwiderlaufende Lösung.
Andererseits meldet sich ein Verlangen nach Glauben und Erleuchtung. Dies stillen sie anhand eines Standardwerkes gelehrter wie ungelernter Ich-Sucher: aus dem alten »Buch der Wandlung« des chinesischen Weisen 1 ging, aus dem Hermann Hesse ebenso schöpfte wie die Ernährungslehre der Makrobiotik.
»Geistwesen, die nicht kontrolliert werden können.«
Sie werfen Münzen. Je nachdem, wie Laub oder Ziffer sich addieren, öffnen sie das Buch an bestimmten Stellen und werten, was da steht, wie ein Orakel. »Und«. sagt ein Fliesenleger. »es stimmt immer wieder«
Drogen, Selbstbetrachtung. sparsame Kost steigern die Empfänglichkeit für irrationale Information. Die Vereinzelung der in sich Gekehrten mutet oft an wie von Dali vorgezeichnet. Und die Solidarität der Leute auf dem Ego-Trip erreicht bei weitem nicht das Maß, das die Liebesgesten der Scene verheißen.
»DIG IT (zu deutsch: »Grab um« oder »Finds dufte"), das neue satinierte Kultblatt der »Release« -- Gruppe Frankfurt, bedauert die »Passivität. die all die antörnenden Leute ausströmen«. Die Chillums voll Hasch rissen nach Meinung des Redaktionskollektivs »zwar Löcher in das Gestrüpp falschen Denkens. schufen aber Platz für niedere. zerstörende Geistwesen. die nicht kontrolliert werden können« --
Sippen. Kommunen ohne politische Bindung spalten sich deshalb besonders leicht; fortzeugende Zwietracht trägt zu ihrer Vermehrung bei. Ein Spaltprodukt der Landschwärmer aus der Region Bargteheide sitzt bereits in Liepehöfen bei Dannenberg, nahe der deutschen Elbgrenze.
Der Bildhauer Rüdiger Klau und ein ehemaliger Bombenbastler und Anarchist namens »Karlchen«, vier Kunstschüler beiderlei Geschlechts, ein Mädchen aus der Fürsorge, ein männlicher Tramp zogen nahezu mietfrei in einen verfallenden Gutshof und üben sich in einem Leben zu kleinsten Preisen: zwanzig Mark pro Kopf und Woche.
Da ihre Kleiderproduktion auch das nicht abwirft. liegt es nahe, dem benachbarten Einödbauern zu helfen. Ihre beiden senilen Kraftwagen sanieren sie sogar in schwersten Fällen ohne Hilfe einer Werkstatt. So gebietet es ihr Portemonnaie, so verlangt es ihre Ideologie. Der neue Mensch, sagt Klau, gebraucht die Technik, soweit er ihrer Herr wird. alles andere erniedrigt ihn zum Verbraucher.
Selbst in diesem ruinösen Gehöft setzt sich der Wunsch nach dem eigenen Stübchen durch, der deutschen Landkommunen erstaunlich am Herzen liegt. Die Flucht aus dem Kollektiv der Weltflüchtigen in weitere. lustvolle Absonderung ereignet sich so gewiß wie im Kloster. Fernsehen? Es vergehen Monate, ohne daß einer danach fragt. »Wieder sehen, wie was wächst«, das, sagt Klau. verändere einen völlig.
»Bloß glücklich sein macht schlapp und blöde.« Soweit befindet sich der Bildhauer bereits in einer Abwehr zum Drogenglauben der Freunde, die »einen Trip einwerfen, sobald"s nicht weitergeht«. Ihn bewegt, gleich einer Vision, ein Plan. diese neue, um sich greifende Lebensform am Zonenrande des Kapitalismus unter eine angemessene neue Haube zu bringen.
Ein Unterkriechen wie zu Bethlehem im Stall -- das darf nur der Anfang sein. Nach dem Vorbild der geodätischen Dome des amerikanischen Architektur-Propheten Buckminster Fuller entwarf Rüdiger Klau für die Landkommunen-Bewegung ein Kunststoff-Iglu mit sanitären Anlagen, Schlafkabinen, einem Gemeinschaftsraum.
Licht, darin sieht er den entscheidenden Wandel, kommt von oben, durch eine Plexikuppel. So, mit dem Scheitel unter naturgerecht wachsender und schwindender Helle, werde der Iglu-Kommunarde sein vom Leben hinter Fenstern pervertiertes Zeitgefühl allmählich abstreifen. Klau hofft, seine Konstruktion mit Hilfe einer Erbschaft von rund 40 000 Mark für die industrielle Serienfertigung vorzubauen.
Das gezügelt tätige Leben des Dropouts Klau erfüllt ein Idealbild, an dem viele kaputte Typen sich orientieren. Ausgestiegen aus der Leistungsgesellschaft, begehren sie alsbald nach Tätigkeiten, in denen eine verkümmerte Kreativität sich bestätigen kann.
Auch darin unterscheiden sie sich von den Mitgliedern politisch noch aktiver Wohngemeinschaften. Die Frage nach dem befreienden Wesen eigenen Schaffens tritt bei denen hinter der Frage nach der politischen Wirkung zurück.
Unpolitische Verweigerer vergessen wie Kinder über ihren privaten Werken die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Adorno-Schüler Hans Imhoff. der selber Festakte des Establishments wiederholt durch närrische Auftritte umfunktionierte, verteilt an Typen der deutschen Untergrundpresse als selbsternannter »Kommissar des Volkskrieges« warnend marxistische Wahrheiten, etwa: »daß man mit indianischer Wohnkultur, Hackbau und Parasitenexistenz gegen die ... universale Ausbeutung in den modernen Gesellschaften nichts ausrichtet und daß es höchst erbärmlich ist, nur eine »gute Zeit« haben zu wollen«. (Er selber ernährt sich durch entfremdete Gelegenheitsarbeit bei Post oder Bahn.)
Drop-outs aber erblicken in Papier-Modellen einer Eigenbaukultur leicht das Perpetuum mobile ihrer Unabhängigkeit. So meldeten aus Duisburg Wortführer der sogenannten »Knubbel-AFA-Kreativ-Gemeinschaft« den geglückten Verbund von zwanzig offenbar rührigen Leistungsverweigerern.
Angeschlossen an den Headshop »Knubbels Garten« an der Duisburger Hohen Straße, sollten in diesem Sommer die »Knubbel-Maßschneiderei«, die .Knubbel-Weberei«. die »Knubbel--Töpferei« und der »Knubbel-Verlag« mit Käufern und Sympathisanten die Autarkie einer kleinen Gegengesellschaft erwirtschaften.
Für Geld brühen die Knubbel-Schwestern für Duisburgs Pennäler-Boheme Tee. Rudolf Kalamees, ein geschäftstüchtiger Busenfreund der Knubbel-Menschen, verkauft dazu Schallplatten. Und vier Knubbel-Brüder pauken sich in Beatschuppen als Pop-Band durch: die »Bröselmaschine«.
»In irgendeiner Form sich und die Welt verändern.«
So kreativ und krisenfest sich das gibt -- genauer besehen fällt das Unternehmen »Knubbel« auseinander in ein Puzzle märchenhafter Selbsttäuschungen. Rudolf, der Schallplattenfreund, handelt auf eigene Rechnung; allerdings setzt er dabei ein, zwei Helfer aus der Wohngemeinschaft ins Brot.
Die Teestube kann nicht Teestube bleiben; es fehlt an sanitären Einrichtungen. Die »Maßschneiderei« besteht aus einer Nähmaschine und einer Achtzehnjährigen, die schon mal Hosen für Freunde zustande brachte. Den Webstuhl in Gang zu setzen, fehlt es der Weberin in der Gruppe derzeit an Kraft. Die Töpferei war Sache eines bereits weitergewanderten Typs aus Australien.
Das große verlegerische Projekt aus »Knubbels Garten« heißt »Der Metzger«. Eine von zwei Typen der Wohngemeinschaft herausgegebene Untergrund-Zeitschrift mit 50 Abonnenten (Gesamtauflage: 600; Preis: 1 Mark).
»Der Metzger« soll im Abstand von zwei Monaten erscheinen, um »alle Menschen« zu unterstützen, die »in irgendeiner ehrlichen Form darangehen. sich selbst und die Welt in Richtung eines freien Gemeinwesens der brüderlichen Solidarität zu verändern«. Von den Herausgebern leistet einer Ersatzdienst, der zweite, sagen die Freunde, sitze wegen einer Drogengeschichte in Schweden fest.
Und die Chiffre AFA? Was die bedeutet, muß die Mehrheit der AFA. Kreativ-Gemeinschaft selber raten: »Aktion für alle oder so was.«
Schon im eigenen Kollektiv, dessen Mitglieder in drei Wohnungen in -- soweit die Mädchen reichen -- festen Zweierverhältnissen nisten, verdorrt die Kommunikation. Wahrhaft gemeinsam haben diese zwanzig einen lethargischen Widerwillen, von dem sie nur verschwommen angeben können, wogegen er sich richtet: gegen Examens-Streß, Achtstundentag, die begeisterungsfreie, verkrampfte Kleinbürgerei der Eltern, mit denen es kaum Feindschaft gibt.
Es ist die Mutter eines Jungen aus dem Kollektiv, die von ihrem Einkommen im Sekthandel die Miete für eines der Quartiere der wachsenden Wohngemeinschaft bestreitet. Zwei Knubbel-Jungen sind verlorene Söhne eines Warenhausbesitzers. Einer arbeitet gelegentlich in der Schuhmacherei seines Vaters im nahen Wesel, der sich mit dem Gedanken herumschlägt, die unrentable Handarbeit aufzugeben, auf die Ausgestiegene gerade wieder setzen.
Erst liefen dem Schuhmacher des kaputten Sohnes wegen etliche Kunden weg. Der Sohn vermutet, deshalb ein Fixer geworden zu sein zwei Dutzend weitere Heroinsüchtige kennt er allein in diesem Nest Wesel, »So Schuldgefühle«, sagt der Schuhmachersohn, »das macht dich fertig, da flippst du aus.«
Es gibt bei »Knubbels« einen ehemaligen Klasseverkäufer von Selbach, der die elegante Laufbahn von einem Tag auf den anderen überbekam; einen auf Staatskosten ausgebildeten und vor Dienstantritt ausgeschiedenen Fernmeldetechniker der Post; die Tochter eines Photographen, der mit der Gruppe Freundschaft hält.
Anfangs protestierten die meisten von ihnen politisch. Die Knubbel-Schönheit Anna Block zum Beispiel: gutbürgerliches Einzelkind, mittlere Reife, 18 Jahre. Sie spielte mit im Republikanischen Club, auch in der linksradikalen Schülergemeinschaft AUSS: später suchte sie Anschluß bei der KPD/ML. »Angewidert«, wie sie sagt. »von dem ewigen Gezänk bei den Linken«, entschloß sie sich, eine Apolitische zu werden.
Bei den Genossen war zuwenig Solidarität. Solidarität spüren sie eigentlich jetzt in ihrer friedfertigen Scene wieder nicht. Man betrachte nur die Sympathisanten in »Knubbels Garten«, die »unheimlich dufte tun und aussehen«, wie ein Knubbel-Mädchen sagt. »und doch die gleichen beschissenen Spießer sind«. Nach Anarchisten-Mode klauen sie im Laden des darbenden Kollektivs wie die Raben, obwohl sie alle dickes Taschengeld und ein geborgenes Zuhause haben.
Von den Knubbel-Leuten selber behalten die meisten ihre Kröten möglichst für sich. Grüppchen der Gruppe zerstritten sich um Zimmer und Privilegien. Es ist die blanke Angst vor der Pleite, die immer wieder einmal dazu führt, daß die schönen jungen Männer, vermittelt durch »Seelenverkäufer«. für die nahe Thyssenhütte Steine schleppen.
Wenn die wirtschaftliche Basis nicht trägt, gerät das ganze Lebensmodell ins Wanken. Manche hält da nur noch die neuerliche Angst vor dem Sprung. »Allein gehst du vor die Hunde«, sagt der Ausgestiegene von der Post, »in der Familie gehst du vor die Hunde. Bleibst du eben in der Gruppe.«
Eine Ahnung davon, wie man dann da vor die Hunde geht, bewog viele verbale Befürworter einer kollektiven Flucht. ihren eigenen Weg zu suchen. Nach innen, nach Indien oder beides.
Rufus C. Camphausen, 24 Jahre, Jung-Buchhändler und immer noch behüteter Sohn eines Beamten der politischen Kripo in Düsseldorf, versenkte sich in die Lehre des Zen und blieb im Lotussitz zu Hause, statt einer von ihm geförderten Sammlung gesellschaftsmüder Freunde ins Landleben zu folgen. Mutter und Vater finden ihn respektabel: »Verbrecher haben keine langen Haare.«
In Camphausens einsam gestalteter Alternativ-Zeitschrift »Erosion« formuliert ein Gleichgesinnter Skepsis gegenüber allem äußerlichen Gezappel nach Veränderung: »Du weißt sehr gut, daß du nicht ein Brötchen kaufen kannst, ohne ein Arrangement der Wirklichkeit in Kauf zu nehmen, das deine paar Schritte längst koordiniert hat. Du wirst nicht drumrumkommen. selber etwas auf die Beine zu stellen. Was hättest du denn gern? Sag das doch.«
In einem Villenvorort Dortmunds dreht im Hause wohlhabender Eltern der Primaner Reimar Banis die Untergrund-Postille »Big Table« durch (lic Umdruckmaschine und verbreitet unter Gleichaltrigen die märchenhaften Triperlebnisse restlos Ausgeflippter. denen er im Geiste nachzieht.
»Gesegnet« wird in diesem Jünglingsblatt. was »high« macht: »Meine Gun (die Spritze, Red.) und all die lustigen Alkaloide« die 28, die sich im Opium tummeln.« Dealer und Fixer sind die Heroen dieses innerlich längst abgereisten Träumers: zog ein Junk. der gerade mit seiner Frau vom Dealen zurückgekommen war, zwei dicke Schüsse der guten H-Tinktur ... in ihre cleanen Fixen auf: dann setzten sie sich die Schüsse. sagten »AAAH« und bumsten.«
»Wir sehen den globalen Krieg als notwendige Erscheinung.«
»Mindfucker« nennt der Bildhauer Klau Leute, die so »über das Leben nachdenken, statt es zu leben«. Mittlerweile sitzen jedoch schon wieder wahre Weltenwanderer der Selbstsuche ausgebrannt daheim und warnen.
Paul Gerhard Hübsch, Jahrgang 46, zwei dünne Bändchen Lyrik hei Luchterhand ("Kaum flügge, schon trächtig/kaum aufgedreht, schon abgeschaltet"), er also kehrte wieder und wohnt bei der Mutter, der Vorsitzenden des Landeselternbeirats von Hessen.
Keiner könnte behaupten, er habe etwas aus dem Hoffnungskatalog politischer wie auch apolitischer Veränderung nicht erprobt. Arbeit für den Club Voltaire, dann SDS. Einzug in die Berliner Kommune 1. in Frankfurt Gründung des Headshops »Heidi loves you«, den die Drogenpolizei versiegelte.
Hübsch verdiente Geld mit Dealen. viel Geld, wie er sagt. Vom LSD zum Heroin. von Frankfurt bis fast nach Marokko führte die Reise. Spanische Polizei griff ihn, einen Tramp ohne Erinnerungsvermögen. Er lag in den Irrenhäusern von Cádiz, Almeria und Frankfurt.
Und nun? Hübsch ist ein Moslem geworden. frei von Drogen. Er sagt, er sei jetzt »high durch beten«.
Solitäre der deutschen Wandlungsbewegung wie er durchleben Stufe um Stufe total, vorbehaltlos. Deshalb nennt Paul Gerhard Hübsch sich nun Fladayat-Ullah, betet täglich am Stadtrand Frankfurts in einer Moschee. Die Alternativ-Zeitschrift. die er herausgibt, heißt »Wudd« (Liebe) und soll die Scene zu Allah und seinem Propheten führen, sie bekehren vom Irrglauben elitärer indischer Kasten-Religionen.
Wer die Propheten auch seien, die Ohren der Verweigerer öffnen sich für nahezu jede Lehre wieder, die von Jesus Christus nicht ausgenommen.
»Und das Königreich ist in dir und es ist außer dir, und wer immer sich selbst erkennt, wird es finden.« In der Alternativ-Zeitschrift »Love« (Auflage: 10000), dirigiert durch den 24jährigen. mittlerweile ebenfalls abschwörenden Berliner Drogen-Propheten Ronald Steckel. steht das in Riesenlettern. Dazu Lehren vom Joga-Weisen Sri Aurobindo: »Wieder bewußt zu werden ist das einzige Mittel, um alles in Ordnung zu bringen; und das ist sehr einfach.« Schließlich apokalyptische Gesichte, dargereicht, als kämen sie aus einer jener psychedelischen Lichtmaschinen, von denen Bewußtseinsveränderung ebenfalls inständig erwartet wurde: »Wir sehen den globalen dritten großen Krieg ... als notwendige Erscheinung der geistigen, bewußten Evolution des Menschen ... Shiva ... tanzt den kosmischen Kreis
Auf Frankfurts Parkwiesen und in einem friedlich besetzten Uni-Institut an der Bockenheimer Straße schart der ehemalige Happening-Ingenieur Bernhard Höke (jetzt HöKe) die von ihm besoffenen Allesverweigerer der Frankfurter Scene wie ein psychedelischer Messias um sich. Mit Reis und Früchten speist er, der selber samt Weib und Kindern oft nicht satt wird, Stadt-Hippies, die sich sonst von Passanten was betteln. In ihrer Sehnsucht nach dem ländlichen Leben legten sie beim Essen schon Beethovens Pastorale auf.
»Marx um Jahrtausende voraus.
Und auf dem Hausdach über dieser »Paradiesbewegung« e.V. weht die rote Fahne. Das reizt die Klassenkämpfer der Umgebung wie offener Hohn. und sie drohen, die nach Balance der Urkräfte Yin und Yang strebenden Acid-Köpfe gelegentlich Mores zu lehren. HöKe hingegen betrachtet sich durchaus als links, wenngleich jeglicher marxistischer Quellenerkenntnis auf dem Wege der Meditation »um Jahrtausende voraus«.
Ihm und seinen Brüdern gelingt es mitunter, die Wohltat der Mahlzeit oder der Haschpfeife, zu der sie um entscheidende Sekunden zu spät gekommen sind, meditierend nachzuempfinden, als seien sie voll dabeigewesen.
Während eine Schüssel mit Sojasuppe und der Joint im Kreise wandern, ruft der entrückte Guru HöKe »om, om« in einen leeren Milchkrug, und seine Jünger beginnen dazu leise zu trommeln. Der neue Mensch ist schon da, bestätigen sie sich mit somnambulen Gesichtern, aus dieser Generation muß man ihn nun hervorrufen wie Lazarus aus dem Grabe.
Andererseits haben zahlreiche deutsche Drop-outs für ihre Person die Läuterung abgeschlossen und eher einen kulinarischen Standpunkt der Verweigerung schätzen gelernt.
Der Berliner Alt-Hippie Peter Werner, 34, ehemals Sportwagenfahrer, Apo-Freund und hochbezahlter Architekt, genießt es. mit blaugestrichenen Fingernägeln, angetörnt und umbraust von Stereo-Musik im Kleinbus herumzufahren. Mal nach Indien oder auch nur in den Botanischen Garten. wo ein Gourmet der Drogen-Scene zur rechten Zeit Cannabis, Kokain oder Cat zu pflücken weiß. Ein ruhelos untätiges Leben voll Sanftmut und guten Schwingungen, zu dem es gehört, mächtige Drogenfreunde in »um« Learys »Brotherhood of Eternal Love« zu haben und an die ohnehin apokalyptische Zukunft nicht zu denken.
Solche Typen brauchen schöne Altbauwohnungen. Der Frankfurter Untergrundfürst Bernd Brummbär, der für den Melzer-Verlag Sammelbändchen amerikanischer Porno-Comics zusammenstellt, kann sich sein Dasein in einem Neubau kaum denken. Fatima. seine Gefährtin, wie er gelegentlich Modell für Porno-Photos. findet sogar: »Neubau. das kommt mir vor wie im Klo.« Diese Leute nehmen Obdach suchende Freunde nur widerstrebend in ihre fünf Zimmer.
Bernd Brummbär begann seine Untätigkeit, indem er auf das Pflaster berühmter Plätze Europas Bilder kreidete. Einer seiner ausgewählten Wohngenossen lernte davon zu leben, daß er, gegen Bezahlung, andere Menschen lobt. Brummbär sagt: »Was mir vorschwebt, ist ein etabliertes Leben ohne Leistung.«
Das System hat Marktlücken für verlorene Söhne.
Wieder andere treten selbst dieses Ideal schon mit Füßen. Düsseldorfs erster Lightshow-Revolutionär Lothar Hübinger erschuf aus einer Kreativgemeinschaft technisch talentierter Dropouts ein Unternehmen mit Büroluxus und sehr ausgeprägtem Leistungswillen.
Nachdem er 100 Poptempel, zuvorderst das Düsseldorfer »Creame cheese«, mit den der Bewußtseinswandlung so dienlichen Lichtorgel-Effekten versehen hatte, war keiner seiner ehemaligen Hasch-Kumpane noch da. Der junge Unternehmer beliefert nun Neckermann mit Psychedelik.
Trägt nämlich -eine ökonomische Basis, so sprengt die Dynamik kapitalistischen Erfolges die reinen Vorsätze zur Gegengesellschaft. Ein Typ namens Klint Knorndel gab letztes Jahr bekannt: »Die Zeit ist auf unserer Seite. Wir werden bald in unseren eigenen Fabriken arbeiten ... und bestimmen. wie ...
Nun eröffnete er in Frankfurt den Großvertrieb »Totakom«. Der liefert alles, was die Scene braucht, an über hundert Hippie-Boutiquen, von denen alle bis auf drei kapitalistisch funktionieren, und konkurriert dabei mit »Digggers Garden«.
Gläserne Haschpfeifen, von denen »Totakom« heuer angeblich bereits über 30000 verkaufte, läßt Knörndel nicht
* Bei Bargteheide, Schleswig-Holstein.
etwa von Typen fertigen, die sich darauf verstehen. Die brauchen zu allem so lange. Darum bestellte »Totakom« bei einer kapitalistischen Glasfabrik und wurde prompt bedient. Knörndel bedauert, daß es nun mal so ist. Sucht er eine Sekretärin, »dann natürlich leider eine, die was leistet«. Drop in.
Typen, aus deren Bewußtsein sich nach psychedelischem Durchschütteln ein hervorragender Geschäftssinn herauskristallisiert. picken sich für handwerkliche Gelegenheitsdienste Schwächere aus der Scene. Und sie sind so gut, diesen um den Erweis kreativer Tüchtigkeit bemühten Brüdern ein Taschengeld und Lob und Liebe zu spenden. Soziale Lasten fallen nicht an. Das ermöglicht eine breitere Handelsspanne. Mehrwert und Ausbeutung -- wie gehabt?
So führt der Weg im Kreis: raus aus der Gesellschaft, der Gesellschaft vermeintlich voraus, rein in die Gesellschaft -- ja hinter sie zurück. Sie hat offene Arme und Marktlücken für ihre verlorenen Söhne.
Es ist dann schon viel, wenn der zurücklaufende Film noch Spuren der durchgekosteten Freiheitswunder übrigläßt. Beispielsweise, worauf der Berliner Gürtelmacher Wolf Rüdiger Komnick, 28, schwört: »ein menschlicheres Leben«. Schon arbeitet er bis zu zwölf Stunden am Tag. Teils in einer Sattlerwerkstatt. die ihm gutmütige Handwerksmeister mit altem Werkzeug ausstatteten; teils auf dem Kudamm« wo er bei Kranzler auf dem Bürgersteig mit dem Lederzeug handelt.
Das letzte Jahrzehnt verbrachte er auf der Walz: in Indien. Pakistan, Jugoslawien, Marokko, Spanien und Amsterdam. »Ein langer, langer Weg zurück.« Nun, bei Handarbeit mit Gleichgesinnten, fühlt er sich am Ziel.
»lst das nicht »ne wesentliche Änderung«, sagt er, »wenn man sich das Leben gemeinsam schön macht?« Ein Steuerhelfer, ein Bauarbeiter, ein halbfertiger Volkswirt teilen mit ihm in unverbindlicher Kooperative Werkstatt und apolitische Ansichten.
Komnicks Gürtel gehen gut. Vielleicht werde er doch zu maschineller Fertigung übergehen, sagt er. »Dann kann ich statt hundert auch tausend machen.«
Bei »Amon düül«, Deutschlands bekanntester Land- und Pop-Kommune im niederbayrischen Kronwinkl. setzen die glücklichen Musikrebellen gerade an, das Problem der Konsumverweigerung ebenfalls im positiven Sinne zu lösen.
Dieses Kollektiv, dessen Mitglieder wieder eigene Stadtquartiere und eine unabhängige private Basis für jeden erstreben, erklärt sich für so frei, am Verbrauch von Luxusgütern nach Belieben wieder teilzunehmen. Freilich dürfe er nicht zu Statuszwecken dienen.
In diesem Sinne wünschen sie sich endlich einen Farbfernseher. »Übrigens«, sagt einer, »ich hab's ehrlich genossen, wieder mal bei Karstadt zu bummeln.«
Robinson kehrt doch zurück.