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»Wir wollen doch keinen Bürgerkrieg«

SPIEGEL-Interview mit dem früheren Generalsekretär der KP Spaniens, Santiago Carrillo *
aus DER SPIEGEL 19/1985

SPIEGEL: Herr Carrillo, die Kommunistische Partei Spaniens ist dabei, sich selbst zu zerstören. Hätte sich Flick seine Spendengelder, mit denen der Einfluß der Kommunisten in Spanien zurückgedrängt werden sollte, sparen können?

CARRILLO: Dieses Geld war natürlich nicht ausschlaggebend für unser gegenwärtiges Debakel. Aber ich glaube schon, daß der Einfluß dieser Spendenpolitik, hinter der Flick und die deutsche Großindustrie standen und an dem die Amerikaner nicht unbeteiligt waren, dazu beigetragen hat, die Krise der PCE zu vertiefen.

SPIEGEL: Wie denn, bitte?

CARRILLO: Auf den rechten Flügel der Partei wirkte ohne Zweifel ein großer ideologischer Einfluß von Männern wie Fernando Claudin, _(Claudin wurde 1964 vom damaligen ) _(Generalsekretär Carrillo wegen ) _(Rechtsabweichung aus der Partei ) _(ausgeschlossen. Seit 1980 ist Claudin ) _(Leiter der sozialistischen Stiftung ) _(Pablo Iglesias, die eng mit der ) _(Friedrich-Ebert-Stiftung ) _(zusammengearbeitet hat. )

der in der Presse fast täglich sehr kritisch über die Parteiführung schrieb. Ich sage nicht, daß sich jemand von uns mit Geld hat korrumpieren lassen. Aber der ideologische Einfluß hat seine Wirkung in unserer Partei nicht verfehlt.

SPIEGEL: Sie waren 22 Jahre Generalsekretär Ihrer Partei. Jetzt wurden Sie von den eigenen Genossen aus allen Parteiämtern ausgestoßen und zum einfachen Parteimitglied degradiert. Ist das die Rache an dem von Ihnen vertretenen Eurokommunismus?

CARRILLO: Ich sah all diejenigen, die einst mit mir für den Eurokommunismus gekämpft haben, jetzt gegen mich stimmen. Sie haben sich mit den alten Sowjet-Anhängern in der Partei zusammengetan, gemeinsam stimmten sie für die Eliminierung des Eurokommunismus. Doch eigentlich geht es denen nicht um die Definition der Partei, sondern nur um die Macht.

SPIEGEL: Ihr Nachfolger als Generalsekretär der spanischen KP, Gerardo Iglesias, sagt, Sie könnten die Wahlniederlage von 1982 und Ihren deswegen erzwungenen Rücktritt nicht verkraften und wollten jetzt nur noch die Partei zerstören.

CARRILLO: Das sagt er. Aber ich glaube nicht, daß er es glaubt. Im übrigen haben wir die Wahlen 1982 nicht so sehr wegen unserer internen Diskussionen verloren, sondern wegen des Putschversuchs der Militärs vom Februar 1981. Da kam bei vielen Spaniern sofort wieder die Angst vor dem Bürgerkrieg hoch. Sie glaubten, die Militärs würden die Sozialisten eher akzeptieren als uns Kommunisten.

SPIEGEL: Sie stehen nun vor den Ruinen Ihres Lebenswerks. Ihre Partei ist hoffnungslos zerstritten, sie hat praktisch jeden politischen Einfluß verloren. Gibt es keinen Grund zur Selbstkritik?

CARRILLO: Nun ja, es gibt ein paar Punkte. Ich glaube, ich war damals zu unvorsichtig und habe die Partei zu schnell aus der Illegalität zur demokratischsten aller kommunistischen Parteien entwickelt. Ich hätte die traditionellen Werte der Partei länger erhalten sollen. Der portugiesische KP-Führer Alvaro Cunhal war da viel vorsichtiger. Wir Spanier haben Moskau am heftigsten kritisiert. Auch darin wäre ich heute viel vorsichtiger.

SPIEGEL: Sie haben Moskau mit Ihrem Eurokommunismus provoziert, Sie haben gar Lenin vom Sockel gestürzt.

CARRILLO: Wir haben Lenin nicht vom Sockel gestürzt, sondern ihn dem Wandel der Zeit angepaßt. Während des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie haben wir, im reinsten Geiste Lenins, Allianzen mit der Bourgeoisie geschlossen. Ein Fehler von mir war dabei, das Gewicht von 40 Jahren Diktatur innerhalb meiner eigenen Partei, die theoretische Bildung meiner eigenen Parteimitglieder über Lenin, zu hoch eingeschätzt zu haben. Statt Lenins Lehre anzuwenden, ließ man eine infantile linksradikale und eine rechte, sozialdemokratische Fraktion entstehen.

SPIEGEL: Als Generalsekretär waren Sie bekannt dafür, alle internen Rebellionen radikal niederzuschlagen. Jetzt rebellieren Sie selbst gegen Ihren Nachfolger. Und Generalsekretär Iglesias bekämpft Sie mit Ihren Waffen - mit Ausschluß aus dem ZK.

CARRILLO: Es ist eine Legende, daß ich den demokratischen Sozialismus mit zuviel Härte verfochten hätte. Auch zu

meiner Zeit hat es Ausschlüsse gegeben, ja. Aber ich war der am wenigsten dafür Verantwortliche. Diejenigen, die jetzt mich und 18 weitere Mitglieder aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen, haben, sind auf diesem Gebiet viel erfahrener als ich.

SPIEGEL: Haben Sie Ihren Ausschluß durch Ihren Verstoß gegen die Parteidisziplin nicht selbst provoziert?

CARRILLO: Es stimmt, ich habe die formalen Regeln des demokratischen Zentralismus nicht mehr respektiert. Aber die Gruppe um Generalsekretär Iglesias hat mit dem Geist des demokratischen Zentralismus viel eher gebrochen. Obwohl wir auf dem letzten Parteikongreß fast die Hälfte der Stimmen bekamen, wurden wir voreilig an den Rand gedrängt. Die jetzige Parteiführung macht eine Politik, die zur Eliminierung der Kommunistischen Partei Spaniens führt.

SPIEGEL: Jede Richtung wirft der anderen vor, die Partei liquidieren zu wollen. Wie erklären Sie diesen Zwist?

CARRILLO: Uns trennt die Zukunftsprojektion der Partei. Die Gruppe um Iglesias hat sich durch die Grünen in Deutschland und die Radikalen in Italien beeinflussen lassen; sie tendiert zu einer klassen- und ideologielosen Linken. Sie glaubt, daß das Proletariat bald verschwinden werde. Wir dagegen halten die Existenz einer ideologisch klar definierten Kommunistischen Partei, mit direktem Bezug auf die Arbeiterklasse, für notwendig.

SPIEGEL: Die Mehrheit der spanischen Arbeiter blickt ziemlich unbeteiligt auf die Selbstzerstörung der Kommunistischen Partei. Man könnte fast den Eindruck bekommen, daß zumindest die Arbeiter keine Kommunistische Partei mehr brauchen.

CARRILLO: Natürlich braucht Spanien eine Kommunistische Partei. Davon bin nicht nur ich, davon ist selbst die spanische Rechte überzeugt. Gestern haben mir zwei Damen von Fraga Iribarnes rechter Volksallianz geschrieben und gegen die Ungerechtigkeit protestiert, die an mir begangen wurde. Sie erklären sich bereit, das nächste Mal mich zu wählen, damit ich wieder ins Parlament komme.

SPIEGEL: Die Basis der Kommunistischen Partei hat Ihren Ausschluß aus dem ZK aber ziemlich gelassen aufgenommen ...

CARRILLO: Was? Gelassen? Keine Spur davon. In Andalusien wurden neun Genossen, die protestiert hatten, aus dem regionalen ZK ausgeschlossen. In Granada haben alle Ortsverbände außer einem rebelliert, in Malaga war es die Hälfte der Partei. Es gibt eine Rebellion. In Madrid mußten wir die empörten Genossen zurückhalten, das Parteigebäude zu stürmen und die Führungsspitze auf die Straße zu werfen. Das hätte Verletzte und Tote geben können. Und wir wollen doch keinen Bürgerkrieg. Dann wäre es unmöglich, die Einheit dieser Partei wiederherzustellen.
*KASTEN

Santiago Carrillo *

war in den 60er und 70er Jahren der wohl originellste unter den westeuropäischen KP-Chefs. 1936, kurz vor Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs, in die KP eingetreten, wurde er 1960 Generalsekretär und führte seine Partei auf einen eurokommunistischen Kurs: 1968 begrüßte er den »Prager Frühling« und verurteilte die sowjetische Invasion in der CSSR. In seinem Buch »Eurokommunismus und Staat« lehnte er gar das Sowjetsystem als Vorbild für die entwickelten Staaten Westeuropas ab. Sosehr er zu Moskau auf Distanz ging, unterdrückte er jedoch jeden Ansatz innerparteilicher Demokratie, was die Spaltung der KP und einen dramatischen Mitgliederschwund zur Folge hatte. Bei den Parlamentswahlen 1982 sackte Spaniens KP (10,5 Prozent der Stimmen 1979) auf nur 3,9 Prozent; Carrillo trat als Generalsekretär zurück. Sein Nachfolger wurde Gerardo Iglesias, 39, im Gegensatz zu dem alten Kämpfer Carrillo ein moderner Parteitechnokrat. Im April dieses Jahres wurde Carrillo, 70, von Iglesias'' sogenannten Erneuerern, welche die Partei durch politische Öffnung attraktiver machen wollen, von sämtlichen Ämtern der Parteiführung, vor allem aus dem ZK, ausgeschlossen.

Claudin wurde 1964 vom damaligen Generalsekretär Carrillo wegenRechtsabweichung aus der Partei ausgeschlossen. Seit 1980 istClaudin Leiter der sozialistischen Stiftung Pablo Iglesias, die engmit der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammengearbeitet hat.

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