Zur Ausgabe
Artikel 18 / 78

BUNDESHAUS-RESTAURANT Wirt beleidigt

aus DER SPIEGEL 20/1966

Schadenfroh verfolgten die drei Parlamentarier die Bemühungen ihres Tischgastes, seines Rinder-Saftbratens Herr zu werden. Angestrengt hantierte er mit Messer und Gabel. Doch das Tellerfleisch trotzte allen Zerkleinerungsversuchen.

Gast und Gedeck stammten aus dem Bonner Bundeshaus-Restaurant. Im Auftrag des Parlaments-Vorstandes hatten die Abgeordneten Ingeborg Geisendörfer (CSU), Hedwig Meermann (SPD) und Werner Mertes (FDP) den Bundeshaus-Wirt Paul La Roche, 41, in ein Séparée der Bonner Parlamentarischen Gesellschaft geladen. Auf neutralem Tisch setzten sie dem Wirt sein eigenes Essen vor. La Roche gequält: »Wirklich zäh wie Leder.«

Mit dem Untersuchungsauftrag an die parlamentarische Küchen-Kommission entlud sich jahrelanger Abgeordneten-Groll. Quer' durch alle Fraktionen des Hohen Hauses herrscht Einmütigkeit, die Kost aus der Garküche des Bundeshauses sei zu teuer, die Qualität gering und der Service miserabel. Für ein Paar winzige Nürnberger Rostbratwürste mit Sauerkraut und Kartoffelbrei verlangt La Roche 4,50 Mark.

Dabei kocht und brät der Wirt, der bereits 1950 - gerade 25 Jahre alt - die Raststätte neben dem Plenarsaal übernahm, mit kräftiger Finanzhilfe des Bundes. So zahlte die Bundeskasse dem Wirt das gesamte Inventar bis hin zu Aschenbechern und Sahnekännchen. 1952 steckte der damalige Buhdesfinanzminister Fritz Schäffer »zur Abwendung des drohenden Konkurses« weitere 116 000 Mark in die Kantine am Rhein. Später nahm das Parlament den Pächtern auch noch die Kosten für Heizung, Gas, Wasser, Strom, Reinigung und Wäsche ab. Überdies verpflichtete sich Bonn, laufend Zuschüsse für die Ersatzbeschaffung auch des sogenannten »kleinen Inventars« zu leisten. Als Pachtzins braucht die Gesellschaft weder eine fixe Summe noch einen Umsatz-Anteil abzuliefern. Der Vertragspartner beschied sich mit einem Drittel des versteuerten Reingewinns.

Trotz großzügiger Finanzhilfen und heiliger Besserungsschwüre des Geschäftsführers La Roche blieb das Wirtshaus am Rhein den Abgeordneten ein Ärgernis. Der Betrieb, der im vergangenen Jahr etwa 1,5 Millionen Mark umsetzte, zeigte sich dem parlamentarischen Stoßbetrieb nicht gewachsen. Überfülle an Sitzungstagen wechselt mit Leere in der sitzungsfreien Saison.

Die FDP-Alterspräsidentin Marie -Elisabeth Lüders beschwerte sich über den Lärm während der Tischzeit. Phonometer an den Tischen bayrischer Abgeordneter schlugen bis zu 76 Phon

- starker Straßenlärm - aus. Die Verwaltung ließ daraufhin eine schallschlukkende Decke einziehen.

Ein Tischnachbar Fritz Erlers, der mit einer zu kleinen Kohlroulade bedient worden war, forschte beim Kellner: »Welche Sorte Kohl nimmt man eigentlich für Kohlrouladen?« Antwort: »Weißkohl.« Daraufhin Erler: »Es sieht aus, als nähme man Rosenkohl.«

Bereits 1957 erstattete der CDU-Abgeordnete Hermann Ehren beim Regierungspräsidenten in Köln Anzeige wegen »Preiswuchers«. Ein Jahr später demonstrierte der SPD-Abgeordnete Karl Mommer einer eigens eingeladenen Journalistenrunde den Unterschied zwischen einer Tasse mit gutem Kaffee (Kosten 20 Pfennig) und einer mit Bundeshaus-Kaffee (Preis 65 Pfennig). Nach Mommers Berechnungen brühte der Bundeswirt aus einem Pfund Kaffee 88 Tassen.

1962 wetterte auch Erich Mende: »Die Preise sind dort bis zu 100 Prozent überhöht.« Zwei Jahre später zog der Bundeshaus-Personalrat wegen Erhöhung der Gedeck-Preise in der dem Restaurant angegliederten Kantine bis vor das Verwaltungsgericht in Köln.

Am Tage nach der Ermordung des Vietnam-Präsidenten Diem und Vertreibung der Präsidenten-Schwägerin Madame Nhu stellten Bonner Journalisten dem Wirt ein Billett mit dem Spruch zu: »Heute Nhu, morgen Du!«

Ungeachtet aller Vorhaltungen zogen die Preise im Bundeshaus stetig nach oben, im letzten Jahr allein um zehn Prozent. Im November 1965 ließen sich deshalb 100 SPD-Abgeordnete unter Führung des Präsidiumsmitglieds Egon Franke auf den abgewetzten Stühlen bei La Roche zu einer Protestsitzung nieder. Demonstrativ breiteten die Parlamentarier Stullenpakete auf den Tischen aus und bestellten jeweils ein Glas Milch. Die Freidemokraten verschanzten sich bei selbstgebrautem Kaffee und Wurstbroten in ihren Abgeordneten-Zimmern.

Auf seiner letzten Sitzung beschloß der Bundestagsvorstand, La Roche in Töpfe und Bücher zu gucken. Zum Küchen-Inquisitor wurde der Diplom -Volkswirt Werner Mertes ernannt. SPD -Mommer: »Der kann wenigstens die Bilanzen von Herrn La Roche lesen.« Die beiden Damen Geisendörfer und Meermann sollen ihm assistieren.

In einem Vier-Seiten-Brief an alle Abgeordneten klagte der Wirt, der es mittlerweile zu einem Landhaus in der Eifel, einer Hühnerfarm und einem Rennboot gebracht hat, über

- die unregelmäßige Inanspruchnahme während der Sitzungs- und Ferienwochen;

- den Schwund der Touristen, für die das »Weiße Haus am Rhein« keine Attraktion mehr sei;

- die kostspieligen Bestellungen außer

Haus;

- den Rückgang des Alkoholkonsums.

Durch die ständigen Beschwerden, so schrieb der Gastronom, sei er »in der Berufsehre verletzt, in der Verantwortlichkeit beleidigt und in der Existenz vermutlich geschädigt« worden.

Gekränkt sind auch die Kellner bei La Roche. Als der CDU-Abgeordnete Hermann Siemer, Bauer und Kaufmann aus Spreda, kürzlich einen Bundeshaus-Ober wegen der langen Wartezeiten rüffelte, belehrte ihn der Kellner: »Wenn die Abgeordneten ihre Gesetze halb so schnell machen würden, wie ich Sie bediene, dann wäre alles besser.«

Bundeshaus-Wirt La Roche

Welche Sorte Kohl ...

... nimmt man für Kohlrouladen?: SPD-Protestmahlzeit im Bundeshaus

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 78
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren