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BERLIN / POLIZEI Witz im Sitz

aus DER SPIEGEL 45/1967

Beim Schah-Besuch, vor der WestBerliner Oper, nahm die Polizei ihre alten Waffen: Sie zerrieb die Demonstration gegen Persiens Kaiser blutig mit Knüppel und Pistole.

Vier Monate danach setzte die Ordnungstruppe gegen die Polit-Protestaaten der Halbstadt eine neue Waffe ein: Lachkanone Werner Textor, 46, Oberkommissar der Schutzpolizei.

Der Vietnam-Marsch der Berliner Jugend -- 6000 hatten am vorletzten Sonnabend gegen Amerikas Intervention im fernöstlichen Reisland demonstriert -- war friedvoll abgeschlossen, da traf im Hauptquartier die Alarm-Meldung ein: Etwa 300 Marschierer blockierten »vermittels Sitzstreik« den Kurfürstendamm zwischen »Kranzier« und »Kindl«. Die Situation sei außerordentlich gespannt.

Schupo-Kommandeur Hans-Ulrich Werner entschied sich für außerordentliche Entspannung. Er beorderte Werner Textor samt Lautsprecherwagen an die Straßenfront.

Textor, der sich auf diversen Polizei-Festen als Spaßvogel bewährt hat, begriff den Ernst der Lage und machte einen Witz daraus. Er verhieß per Mikrophon den »Demonstranten im 17. Semester vor der Räumaktion eine Verschnaufpause«, kündigte die »Vorführung von Wasserspielen« an ("Bitte, legen Sie Bademäntel und Badehosen bereit"), informierte die Boulevard-Hocker über die Ergebnisse der Bundesligaspiele und bedauerte, die »neuen Lottozahlen noch nicht parat« zu haben.

Als die Kommilitonen sich zunächst nicht rührten, spottete Textor: »Bleiben Sie ruhig sitzen, wir holen jetzt Stühle für unsere Beamten, das ist gemütlicher.« Er kündigte Tanzmusik für den Fall des Streik-Abbruchs an und konterte die Protestierer-Frage »Warum nicht gleich?": »Weil man im Sitzen nicht so gut tanzen kann«

Für den Oberkommissar war es endlich Gelegenheit, seine Theorien in der Praxis zu erproben -- daß nämlich bei Krawall Psychologie wirksamer ist als Prügel. Textor leitet im Schupo-Kommando die Abteilung »Polizeiverwendung«, und er grämt sich heute noch, daß er ausgerechnet am 2. Juni während der Knüppel-Aktion vor der Oper in Urlaub war.

Der Berliner Beamte, Nachkomme aus der Familie der Goethe-Mutter Elisabeth Textor, hatte als Jüngling Architektur studieren wollen, mußte sich nach Militärzeit und Gefangenschaft jedoch als Maurer verdingen, um die Familie ernähren zu können. Und als die Nachkriegs-Polizei ihre Reihen auffüllte, vertauschte er die weiße Arbeiterkluft mit der blauen Uniform.

Fachkenntnis verhalf ihm in die Führungsmannschaft des Präsidiums, kabarettistische Begabung machte ihn zum populären Führungsoffizier, der auch knifflige innerbetriebliche Situationen bewältigt. Und darum holte ihn das Schupo-Kommando vom Schreibtisch auf die Straße, als es wieder einmal knifflig war. Von Buhs und Beifall begrüßt, räumte Streikbrecher Textor prompt im psychologischen Einmann-Einsatz den Kurfürstendamm.

200 Demonstranten und 2000 Zuschauer verließen kampflos die Kampfstätte, als der Oberkommissar nach zweistündigem Scherzen die letzte Warnung aussprach: »Lassen Sie nicht den Kudamm wie zur Zeit des Großen Kurfürsten zum Knüppeldamm werden.«

Nur hundert Unentwegte, bei denen der Witz im Sitz nicht verschlug, mußten durch die Kollegen von der Wasserwerfer-Abteilung vertrieben werden.

Schupo Textor: »Es gibt immer ein paar Humorlose.«

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