Verfassungsschutz Wo steht der Feind?
Ein Mensch führt, zu gegebnen Fristen, brav über andre Menschen Listen.
Der Tag, an dem Renate Wohlgemuth**, 21, beschloß, ein anderer Mensch zu werden, begann mit einem Herrenbesuch. Der sportlich gekleidete Mittdreißiger übergab ihr einen gefälschten Personalausweis, einen Reisepaß und einen Führerschein - alles ausgestellt auf einen neuen Namen.
Der Mann kam vom Verfassungsschutz, die Kleinarbeit hatte er schon zuvor erledigt. Das Ordnungsamt im rheinischen Städtchen, wo die junge Frau aufgewachsen war, schrieb die Geburtsurkunde um und die Pässe neu; das örtliche Gymnasium erteilte in Amtshilfe ein überarbeitetes Abiturzeugnis.
Renate Wohlgemuth sollte der Bundesrepublik für drei Jahre treu, aber heimlich dienen. Ihr Auftrag: als Agentin des Verfassungsschutzes Kontakt zur militanten Linken aufzunehmen.
Die Bekanntschaft der Herren vom Geheimdienst hatte Renate Wohlgemuth durch Zufall gemacht. In einer Tageszeitung entdeckte sie, nach dem Abitur ohne klaren Berufswunsch, eine Stellenanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln. Im Auftrag des Dienstes sollte sie unter Legende für monatlich 1500 Mark netto plus Beiträge zur Lebensversicherung ein Pädagogikstudium aufnehmen und die Linke »penetrieren« (Geheimdienstjargon).
Renate Wohlgemuth begann ein Studium und suchte Kontakt zu linken Frauengruppen. Sie arbeitete in einem alternativen Projekt mit, um sich das Vertrauen späterer Späh-Opfer zu erschleichen. Verbindungen zu sogenannten Unterstützerkreisen der Roten Armee Fraktion (RAF) und Besuche bei einsitzenden Kämpfern, so malten sich ** Name von der Redaktion geändert. _(* Bei einer NPD-Kundgebung in Rheine. ) die Kölner Strategen aus, könnten den Weg zu militanten Autonomen, zu den Feierabend-Terroristen der Revolutionären Zellen oder gar, aller Fahnder Traum, in die Nähe der Kommandoebene der RAF ebnen.
Der Traum wurde nicht wahr. Brav meldete die Undercover-Agentin ihrem Kölner Arbeitgeber zwar, welcher ihrer neuen Freunde weniger und welcher mehr vom bewaffneten Kampf gegen den Staat überzeugt war. Zumeist aber notierten die Vorgesetzten im Bundesamt »Schafsscheiß« - wie minder wichtige Erkenntnisse qualifiziert werden.
Der Fall ist symptomatisch. Mit immensem Aufwand versuchen die Verfassungsschützer seit Jahrzehnten, freiberuflich arbeitende Vertrauensleute (V-Leute) aus der linken wie der rechten Szene zum Verrat zu animieren oder hauptberufliche Geheimagenten in terroristische Gruppen einzuschleusen. Der Großversuch, auf diesem Weg die Verfassung oder hohe Rechtsgüter zu schützen, ist gescheitert. Kaum je gelang es, Verbrechen linker oder rechter Terroristen zu verhindern.
Wozu noch Verfassungsschutz? Sind etwa weiter, vier Jahre nach Ende des Ost-West-Konflikts, Kommunisten zu verfolgen? Müssen Radikale vom Öffentlichen Dienst ferngehalten werden?
Die Frontlinie zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zieht sich fest und quer durch die Bundesrepublik. Spinnennetzartig hat sich der Verfassungsschutz ausgebreitet, seit die alliierten Militärgouverneure die Bundesrepublik 1949 ermächtigten, einen Inlandsgeheimdienst aufzubauen.
Die Geheimen sind nicht, wie die Polizei, dem Legalitätsprinzip, sondern dem Opportunitätsprinzip verpflichtet. Sie müssen Straftaten nicht verfolgen, sondern dürfen, um nicht enttarnt zu werden, sogar untätig zusehen, wenn Gesetze verletzt werden.
Im Visier traditionell die Linke und, seit den Brandanschlägen der Ausländerfeinde, neuerdings auch die Rechte, sammelt ein Heer von rund 5000 staatlich besoldeten Schnüfflern und einigen hundert Spitzeln immer noch Material gegen alle, die im Ruch stehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung aushöhlen zu wollen. Der Geheimdienst ist nach Einschätzung eines seiner Landeschefs »Opfer der quantitativen Betrachtungsweise von Fragen der inneren Sicherheit« geworden.
Beseelt von der Idee des präventiven Staatsschutzes, werden Terroristen und Extremisten, Atomkraftkritiker wie Frankfurter Startbahngegner, Volkszählungsboykotteure und Demonstranten, Gewerkschafter und ausländische Botschaften wie die des Iran mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet - als hinge davon das Schicksal der Republik ab.
Die Horcher, Späher und Lauscher sind nicht nur Parteien auf den Fersen, die sie für verfassungsfeindlich halten. Potentielle Sicherheitsrisiken sind für sie auch Bürgerinitiativen und sogenannte Kampagnenbündnisse wie jenes, das im vorigen Jahr den Protest gegen den Münchner Weltwirtschaftsgipfel organisierte.
Der bloße Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit reicht aus, um heimlich Telefone abzuhören, mit versteckten Videokameras zu filmen und zu fotografieren, Briefe und Telefaxe zu lesen, bezahlte Spitzel anzusetzen und Millionen von bisweilen höchst intimen »Erkenntnissen« in streng geheimen Computeranlagen zu speichern - der Große Bruder ist über 1,5 Millionen Bürger bestens unterrichtet.
Mit großem Geschick und tatkräftiger Hilfe von Law-and-order-Politikern in der Bonner Koalition und auch in der SPD-Opposition hat der Geheimdienst das Ende der Ost-West-Konfrontation überlebt.
Anstatt die Behörde abzuschaffen oder zumindest drastisch zu verkleinern, planen Bonner Politiker, die Verfassungsschutzkompetenzen in einem neuen Sicherheitskonzept zu erweitern, das den Bundesbürgern zum Superwahljahr 1994 die Entschlossenheit des Staates im Kampf gegen Autodiebe wie international operierende Verbrecherbanden suggerieren soll. Dem Verfassungsschutz wird ein neues Aufgabenfeld zugedacht - die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.
Angesichts steigender Kriminalitätsraten, ob beim Wohnungseinbruch oder bei Anschlägen auf Ausländer, setzen Innenpolitiker der Regierungskoalition, aber zunehmend auch der SPD, zur Volksberuhigung auf Methoden, die nach dem Überwachungsstaats-Trauma der siebziger Jahre überholt schienen: die Bespitzelung von Untertanen im sogenannten Vorfeld von Straftaten - als ob das Strafrecht nicht ausreiche gegen Missetäter, die Gesetze verletzen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fordert, daß Verfassungsschutz und Polizei bei der Verfolgung organisierter Straftäter zusammenarbeiten. CDU-Generalsekretär Peter Hintze will Strukturen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität vom deutschen Inlandsgeheimdienst beobachten lassen, Verfassungsschutzpräsident Eckart Werthebach möchte diese neue Aufgabe gern erledigen.
Vom Handel mit Nachrichten über politisch Mißliebige lebt in der Bundesrepublik ein ganzer Erwerbszweig. Bund und Länder lassen sich das Ausspionieren vermeintlicher und tatsächlicher Verfassungsfeinde, von denen die meisten nie straffällig geworden sind, viel Geld kosten. Hunderte von Millionen Mark verschlangen das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 Landesämter im vergangenen Jahr.
Niemand, außer der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne, traut sich, die »Warnlampe der Demokratie« (Eigenwerbung des Verfassungsschutzes) auszuknipsen.
Das würde nicht viel schaden. Der Dienst verfehlt das Ziel, »vor Anschlägen zu warnen und Attentate zu verhindern« (Verfassungsschutz-Werbefilm) bei weitem.
Weder verhinderte die Abteilung III des Bundesamtes, die sich um Linke und Terroristen kümmert, Attentate der RAF oder Molotow-Cocktails auf Sexshops, noch die Abteilung II, die sich um die Aufklärung des Terrors von rechts müht, Brandanschläge gegen Ausländer.
Die für Sicherheitsüberprüfungen zuständige Abteilung ließ den DDR-Agenten Günter Guillaume bis an die Seite Willy Brandts im Kanzleramt aufsteigen. Der hauseigene Geheimschutz bemerkte nicht, daß sich der alkoholkranke Chef der Spionageabwehr DDR, Hansjoachim Tiedge, ebenso zur Stasi hingezogen fühlte wie dessen Zuarbeiter Klaus Kuron.
Über die Feierabendterroristen der Revolutionären Zellen war die DDR-Staatssicherheit besser im Bild als der westdeutsche Dienst - führte sie doch eine Quelle bei den Revoluzzern. Und daß ihr jahrzehntelanges Hauptausforschungsobjekt, die DKP, gemeinsam mit der SED in Deutschland-West eine paramilitärische Untergrundorganisation aufgebaut hatte, erfuhren die Geheimdienstler aus dem SPIEGEL.
Was die Verfassungsschützer in den sechziger und siebziger Jahren als große Erfolge verbuchten, stärkte das Fundament der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kaum: In Berlin hatte das Landesamt für Verfassungsschutz so viele V-Leute im Landesvorstand der NPD, daß der Landesverband per ordentlichem Beschluß aufgelöst werden konnte. Und die Deutsche Friedens-Union war zeitweise derart von Verrätern durchsetzt, daß die Partei nach dem Urteil von Experten »keiner unkontrollierten Bewegung mehr fähig« war.
Jetzt scheint der Rechtsradikalismus dem Verfassungsschutz zu helfen, fast unangefochten weiterzuschnüffeln. Kaum ein Abgeordneter der Bonner Altparteien wagt es, den Dienst in Frage zu stellen. Niemand will sich sagen lassen, er setze die Sicherheit der Bundesrepublik aufs Spiel.
Bisweilen allerdings sorgen die Schnüffelbeamten selber für Verunsicherung. Jahr für Jahr hält der Bundesbeauftragte für den Datenschutz dem Geheimdienst eklatante Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen vor.
Ob der Dienst einst die DKP-Zeitung Unsere Zeit las, um aus Traueranzeigen die Namen von Angehörigen verstorbener Genossen abzuschreiben und zu speichern, oder ob er Kennzeichen von Autos notierte, die in der Umgebung von Gaststätten bei politischen Veranstaltungen parkten - stets war die Neugier größer als der Respekt vor dem Gesetz. In seinen Berichten legte der damalige Bundes-Datenschutzbeauftragte Alfred Einwag fast alljährlich dar, wie Verfassungsschützer versuchen, Vorschriften zu umgehen und Rechtsbrüche zu verschleiern.
Drei der jüngsten Verstöße gegen Datenschutzvorschriften hätte der Geheimdienst lieber verborgen gehalten: *___Eine 32jährige Frankfurterin, Pressereferentin einer ____Anlagenbaufirma, erhielt an ihrem Arbeitsplatz Besuch ____vom Verfassungsschutz. Sie sollte Auskunft über Freunde ____geben, die dem RAF-Umfeld zugerechnet wurden. Als sich ____die Frau weigerte, informierte das Bundesamt ihren ____Arbeitgeber über den gescheiterten Anwerbeversuch. *___Der brandenburgischen FDP-Landtagsabgeordneten ____Rosemarie Fuchs war nicht geheuer, daß das Bündnis 90 ____den als Geheimdienstkritiker bekannten Thilo Weichert ____zum Potsdamer Datenschutzbeauftragten ernennen wollte. ____Fuchs, damals noch Mitglied der Parlamentarischen ____Kontrollkommission und des Landtagsinnenausschusses, ____bat das Bundesamt für Verfassungsschutz um Hilfe. ____Präsident Werthebach ließ ihr aus dem Kölner Fundus von ____1,5 Millionen Datenspeicherungen ein Dossier inklusive ____Bewertung zusenden. *___Ein Kölner Verfassungsschützer wollte eine Hamburgerin ____besuchen, die Kontakt zu einer Person hatte, die im ____Verdacht stand, für einen ausländischen Geheimdienst zu ____arbeiten. Weil die Dame außer Haus war, »informierte er ____kurzerhand einen ihrer Mitbewohner«, so die Kritik der ____Datenschützer.
Immerhin erfuhren die Betroffenen von den Ausforschungsversuchen des Großen Bruders. Noch in den achtziger Jahren waren mehr als 16 000 Westdeutsche ohne ihr Wissen in der Nadis-Spezialdatei »P 2« gespeichert worden. Diese sogenannte Merkmalsdatei sollte Verdächtige identifizieren und Besonderheiten von Bundesbürgern festhalten, die angeblich konspirativ tätig waren.
In geduldiger Fleißarbeit hatten Zuträger und Beamte Persönlichkeitsmerkmale von Verdächtigen notiert und verschlüsselt gespeichert. H 10 stand für »gepflegt«, H 11 für »ungepflegt«; H 35 für »erzählt Witze«, H 40 für »starker Esser, nascht«. Wie mit Luchsaugen registrierte die Spitzelschar, wenn ein ihnen suspekter Deutscher sich modisch kleidete (H 12) oder gar bisexuell sein sollte (H 72).
Grüne wurden ausgeforscht und SPD-Politiker, Rechtsanwälte und Kabarettisten. Vorige Woche erfuhr die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vom SPIEGEL, daß das Kölner Bundesamt Ende der siebziger Jahre in Personalakten Material über sie und ihren Parteifreund Wolfgang Roth gesammelt hatte - als hätten die beiden jemals den Fortbestand der Bundesrepublik gefährdet.
80 Prozent der Informationen, die er speichert, erhält der Geheimdienst aus öffentlich zugänglichen Quellen. Den Rest besorgen Spitzelzuträger, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, oder Ausländer, die eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis beantragt haben und für den Preis der Mitarbeit beim Verfassungsschutz in der Bundesrepublik bleiben dürfen.
Die V-Leute, der »Bodensatz des Gewerbes« (ein Verfassungsschützer), sind die Stütze des Überwachungsunternehmens. Das Bremer Landesamt mutet Hanseaten, die Vertrauensleute werden wollen, auch »die Ochsentour« (Geheimdienstjargon) zu: Wer sich auf die Annonce einer eigens gegründeten Tarnfirma meldet, um eine »interessante Tätigkeit im Rahmen einer Forschungsarbeit« zu erledigen, muß zur Prüfung seiner Zuverlässigkeit schon mal für 200 Mark monatlich an Tankstellen Preise für Schokolade und Benzin notieren und vergleichen.
Für konspirative Treffen mit Verrätern der Szene werden gern Zimmer in Hotels gemietet. Gute Spitzel können viel verdienen: Ob sie in Deutschland lebende Kurden oder die sogenannten Unterstützergruppen der Roten Armee Fraktion ausspionieren - bis zu 100 000 Mark jährlich sind drin, steuerfrei.
Der Verfassungsschutz ist zumeist ein fürsorglicher Auftraggeber. Wird ein V-Mann abgeschaltet, geschieht das sozialverträglich.
Ein 45jähriger Bremer, der jahrelang für 1000 Mark monatlich die DKP ausspioniert hatte, wurde kurz nach der DDR-Wende frühpensioniert. Der Verfassungsschutz zahlte ihm eine Abfindung von 24 000 Mark, zwei Jahresgehälter des Spitzellohns. Die Gegenleistung des V-Mannes: Verschwiegenheit bis zum Ende aller Geheimdiensttage.
Doch all die Mühe kann leicht vergeblich sein. Je höher ein Spitzel in der Hierarchie einer vermeintlich verfassungsfeindlichen Gruppe steigt, desto leichter entgleitet er dem Geheimdienst.
V-Leute wie Klaus Steinmetz, der die mutmaßlichen RAF-Terroristen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld ausspionieren sollte, sind von den Verfassungsschützern kaum kontrolliert geführt worden. V-Mann Klaus, sagt ein Verfassungsschützer, war »zumindest zuletzt kein V-Mann mehr«. Er habe sich als »Mittler zwischen den Fronten« verstanden und wollte den Krieg zwischen der RAF und dem Staat beilegen. Was er den Geheimdienstlern mitteilte und was er für sich behielt, habe Steinmetz »nach Belieben entschieden«.
Die V-Leute operieren im Feindesland. Sie sind die dubiosen Frontkämpfer in einem Krieg, der nur noch in den Hirnen der beamteten Verfassungsschützer tobt. Was die sich zusätzlich im Normalbetrieb einfallen lassen, hat bisweilen groteske Züge.
Mit deutscher Gründlichkeit wird der Staat an allen Ecken und Kanten geschützt. Flugblätter und Zeitungen von Linken und Rechten werden oft vierfach gelesen, ausgewertet und archiviert: in den Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter, in den Landesämtern für Verfassungsschutz, im Bundeskriminalamt (BKA) und im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz.
Wer so viel tut, macht auch viele Fehler. Sinnvoll mag es sein, wenn Sekretärinnen des Kanzleramtes oder Beschäftigte in Atomkraftwerken eine Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen müssen. Aber das »pathologische staatliche Mißtrauen« (der frühere Chef des Militärischen Abschirmdienstes Elmar Schmähling) führt zur ungerechtfertigten Überprüfung Hunderttausender.
Namen und persönliche Daten von 600 000 Frauen und Männern wurden nach Sicherheitsüberprüfungen in den Verfassungsschutzcomputern gespeichert. Jahr für Jahr kamen zwischen 100 000 und 200 000 neue Prüfungen hinzu - darunter auch die von 270 Arbeitern, die im baden-württembergischen Innenministerium ein paar Handwerksarbeiten zu erledigen hatten.
Rechenschaft muß der Geheimdienst nur hinter verschlossenen Türen vor der Parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestages ablegen. Ausgespähte, deren persönliche Daten zehn Jahre gespeichert werden dürfen, haben nur auf dem Papier Anspruch auf Auskunft über alle Daten, die sie betreffen.
Ob sich in den Geheimdienstcomputern etwas zusammenbraut, kann ein Bundesbürger erst erfahren, wenn er »auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt«.
Ein abwegiges Verlangen. Ein vermeintlicher Verfassungsfeind müßte dem Verfassungsschutz mitteilen, bei welcher möglicherweise verfassungsfeindlichen Tat er meint, beobachtet worden zu sein. Durch die edle Offenbarung wäre er ein Fall für den Dienst.
In den rot-grün regierten Bundesländern Niedersachsen und Hessen sowie in Brandenburg mit seiner Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis werden die Bürger ein bißchen mehr vor dem Verfassungsschutz geschützt. Wer wissen will, ob er ins Visier der Geheimdienstler geraten ist, muß dort kein »besonderes Interesse« nachweisen, in Potsdam kann er sogar Einsicht in seine Akte verlangen.
In Niedersachsen darf der Verfassungsschutz nur noch »Bestrebungen« gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beobachten, die »auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder sich in aktiv kämpferischer, aggressiver Weise« gegen Verfassungsgrundsätze richten.
Ein bißchen Glasnost für die Dienste, immerhin. Aber führt Transparenz zu größerer Effizienz? Kann mehr Legalität den Verfassungsschutz retten?
Der Geheimdienst leistet nicht, und kann nicht leisten, was ihm gesetzlich auferlegt wird. Schlimmer noch: Er verstößt selber gegen elementare Bürgerrechte.
Strafverfolger in den Landeskriminalämtern registrieren mit Spott, wenn »einmal im Monat« (ein hochrangiger Kriminalbeamter) Hinweise vom Verfassungsschutz eingehen, »die wir nicht selbst hatten und mit denen wir etwas anfangen können«.
Experten wissen, daß ein erheblicher Teil der Hinweise auf Rechtsextremisten, die der Verfassungsschutz in seinem Computer speichert, ohnehin kein Ergebnis emsiger V-Mann-Arbeit ist. Routinemäßig liefert die Polizei Kopien von Vernehmungsprotokollen an die Kollegen vom Geheimdienst.
Unschuldige dürfen nicht von den Ermittlungsbehörden - Staatsanwaltschaft, Polizei -, wohl aber vom Geheimdienst verfolgt werden. »Doppelzuständigkeiten«, warnt die Humanistische Union, »sind ein Kennzeichen totalitärer Systeme, um Regelungen, die in einem Bereich gelten, im anderen Bereich unterlaufen zu können.«
Darf die Polizei Daten über Verdächtige, deren Ermittlungsverfahren eingestellt sind, nicht in ihrem Apis-Computer speichern, werden sie oft in die Verfassungsschutz-Großrechneranlage Nadis eingegeben - tägliche Übung der Gesamtvernetzung der Staatsschutzapparate.
Die Lehre, daß der überdimensionierte Apparat als »Seismograph« (Verfassungsschutzpräsident Werthebach) der politischen Entwicklungen in der Gesellschaft nicht taugt, hätten deutsche Innenpolitiker aus den vergeblichen Anstrengungen des Dienstes gegen linke Gewalt ziehen müssen.
Einfallsreich hatten Verfassungsschützer aus Bund und Ländern versucht, den Verfassungsgegnern der militanten Linken nahezukommen. Merkten sie, daß RAF-Angehörige aus Angst vor Entdeckung keine konspirativen Wohnungen mehr mieteten, sondern in Universitätsstädten immer mal nach Übernachtungsmöglichkeiten suchten, hängten sie, wie an der Heidelberger Uni, am Schwarzen Brett Zettel aus: »Zimmer, kurzfristig, tageweise und auch für länger zu vermieten.«
Erfuhr der Verfassungsschutz, daß Mitglieder der Revolutionären Zellen und ihres feministischen Flügels »Rote Zora« in den achtziger Jahren zu konspirativen Treffen Fahrten bei Mitfahrer-Zentralen buchten, boten seine Spione kurzerhand »Mitfahrgelegenheiten« an - auf daß sich zwischen Fahrer und Fahrgast eine persönliche Beziehung entwickele.
Die Jagd nach Verfassungsfeinden gewann gelegentlich kuriose Züge. In Frankfurt hatte der Geheimdienst ein Pärchen »unter Wind genommen« (so nennen Geheimdienstler das Abhören von Telefonen), das den Feierabendterroristen der Revolutionären Zellen zugerechnet wurde. Die staatlich besoldeten Lauscher erfuhren, daß das Paar einen Zelturlaub auf Föhr plante.
Zwei Beamte des Dienstes reisten mit Zelt, Luftmatratzen und Gaskocher nach Nordfriesland.
Zehn Tage dauerte es, bis bei einem Unwetter der Kontaktversuch gelang. Aus der Nachbarschaftshilfe, Zelt an Zelt, wurde eine Freundschaft mit regen politischen Diskussionen. Nur über Bomben erfuhr das Bundesamt nichts.
Mitunter können sich Geheimdienstler sogar auf Staatskosten weiterbilden, wenn es dem Schutz des Grundgesetzes dient. Per Inserat in einer Wiesbadener Alternativ-Zeitung bot eine Frau, die dem Unterstützerkreis der RAF angehörte, Klavierunterricht an. Der Verfassungsschutz hatte die Frau schon »voll zugeklebt« (Geheimdienstjargon): ihr Telefon abgehört, sie mit Videokameras gefilmt und von achtköpfigen Observationskommandos Tag und Nacht beobachten lassen - ohne Erfolg.
Nicht den geringsten Verdacht hatte die linke Musikantin, als ein Mann des Verfassungsschutzes inkognito an ihrer Wohnungstür klingelte, um sich mit Etüden zu quälen. Der Geheimdienstmann brachte es bis zum Vortrag einfacher Mozart-Kompositionen. 1984 tauchte die Pianistin trotz ständiger Observation in den Untergrund ab, der Geheimdienst verlor ihre Spur, der Agent seine Klavierlehrerin.
Erst Jahre später konnten die Beamten dank V-Mann Klaus Steinmetz wieder Spur aufnehmen. Birgit Hogefeld, 37, die Klavierlehrerin aus Hessen, wurde von BGS-Beamten im Bahnhof des mecklenburgischen Bad Kleinen überwältigt, ihr Begleiter, der 40jährige Wolfgang Grams, kam bei dem mißglückten Polizeieinsatz ums Leben.
Die Fälle sind modellhaft. Der Verfassungsschutz bekommt bei Terroristen »kaum einen Fuß in die Tür« (ein hochrangiger Geheimdienstler). Zur Aufklärung von politisch motivierten Straftaten kann er so gut wie nichts leisten - selbst wenn Rechtsradikale »wegen ihrer oft geringeren geistigen Flexibilität« (ein V-Mann-Führer) sich nicht so intelligent abzuschotten vermögen wie linke Extremisten.
Die »Polizeiliche Kriminalstatistik Staatsschutzdelikte« legt Zeugnis davon ab, wie überflüssig der Verfassungsschutz bei der Bekämpfung strafbaren politischen Verhaltens ist. Gerade 0,2 bis 2,7 Prozent aller Ermittlungsverfahren werden aufgrund von Hinweisen der Geheimdienste eingeleitet - Lappalien wie Parolenmalerei an Hauswänden eingeschlossen.
Auf den Terror von rechts reagierte der Verfassungsschutz landauf, landab mit Aktionismus. Der geplante Stellenabbau wurde gestoppt, die Abteilungen für Rechtsextremismus aufgestockt; Beamte, die sich um Verräter aus der linken Szene bemühten, suchen jetzt solche unter den Rechten.
Damit ihre Art nicht ausstirbt, denken sich die Geheimdienstler eine Menge Tricks aus, um ihr Dasein zu rechtfertigen. Die Jünger Franz Schönhubers werden als Gefahr für die Grundordnung mitgezählt - hohe Zahlen suggerieren große Aufgaben.
Streit gibt es zwischen Verfassungsschutz und Polizei, wenn der Geheimdienst Listen über Anschläge führt, bei denen ein extremistisches Tatmotiv vermutet wird, obwohl die Polizei dies ausgeschlossen hat. »Das machen die gern, weil sich die Zahlen dann besser machen«, weiß ein leitender Polizeibeamter.
Die kleinen Tricks bringen kurze Erfolge. Mit Schwung arbeiten die Verfassungsschützer jetzt am großen Wurf, der Arbeitsplätze bis in ferne Zukunft sichern könnte. Der Dienst ist dabei, »sich eine klassische Polizeiaufgabe« anzueignen (ein LKA-Beamter). Der Verfassungsschutz will, unterstützt von CDU-Innenminister Manfred Kanther, die Organisierte Kriminalität beobachten - obwohl davon im erst 1990 überarbeiteten Verfassungsschutzgesetz nichts steht.
Liberale Innenpolitiker wie der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch warnen davor, die Aufgaben des Verfassungsschutzes zu erweitern. Kriminalitätsbekämpfung dürfe nicht zu einem »Arbeitsbeschaffungsprogramm für unausgelastete Verfassungsschützer« werden, sie müsse den »Fachleuten« vorbehalten bleiben. Der Apparat, so Hirsch, beginne sich Arbeit zu suchen und sich zu verselbständigen. Er reiße »das mit dem Hintern ein, was er mit den Händen schützen soll: den Rechtsstaat«.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist sicher, daß die Lage längst nicht so ernst ist, wie konservative Politiker glauben machen wollen: »Es trifft nicht zu, daß Organisierte Kriminalität den Bestand der Bundesrepublik in seiner Substanz gefährdet.«
Auf die »Suche nach dem verlorenen Feind« (ein Verfassungsschützer) könnte sich der Geheimdienst schadlos mit halber Kraft begeben. Eine Reduzierung der 2400 Planstellen im Kölner Bundesamt auf 1500, meint ein Landes-Verfassungsschützer, würde die Zentrale überstehen, ohne die bisherige Arbeit ernsthaft einzuschränken.
Externen Kritikern des Apparats ist das zuwenig. Der Verfassungsschutz habe im sogenannten Vorfeld von Straftaten nichts zu suchen, meinen die Radikalliberalen von der Humanistischen Union - der Dienst gehöre abgeschafft. Die reine Beobachtung extremistischer politischer Gesinnung, ob links- oder rechtsradikal, sei »keine Staatsaufgabe«.
Verfassungsschutzpräsident Werthebach glaubt unbeirrt daran, daß der Dienst Straftäter »bereits im Vorfeld strafbarer Handlungen beobachten und Informationen an die Polizei weitergeben« sollte.
Der Liberale Hirsch hat dafür nur noch Spott übrig: »Wo will man die Grenze ziehen? Das Vorfeld beginnt mit der Geburt.« Y
Die Neugier ist größer als der Respekt vor dem Gesetz
Verfassungsschützer tricksen, um ihr Dasein zu rechtfertigen
** Name von der Redaktion geändert. * Bei einer NPD-Kundgebung inRheine.