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PROSTITUTION Wohl zu Recht

Baden-württembergische Richter müssen sich mit der Frage befassen, ob Prostitution der Erholung dient. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Seit dem Frühjahr 1982 parken zwei Prostituierte namens Linda, 40, und Doris, 33, ein Wohnmobil am Rande der Bundesstraße 27 zwischen Stuttgart und Tübingen. Dort, mitten im Schönbuch-Forst, obliegen die beiden, blond und vollschlank, von Montag bis Freitag ihrem Gewerbe, meist von mittags bis Sonnenuntergang.

Durch das Wohnmobil wird weder der Verkehr gestört, noch nehmen Wandersleute Anstoß. Denn die durch Mundpropaganda geworbenen Freier, darunter viele Berufspendler aus Tübingen und Stuttgart, bemühen sich um Unauffälligkeit, ebenso wie die beiden Schlafwagen-Schafferinnen. Wenn die Bäume belaubt sind, ist ihr Wohnmobil von der Straße aus kaum zu sehen. Erst als vor zwei Jahren weitere Prostituierte den Waldparkplatz ansteuerten, erließ das Forstamt Bebenhausen eine Verbotsverfügung »wegen Prostitution im Wohnwagen« gegen die beiden Stuttgarterinnen.

Seither müssen südwestdeutsche Gerichte in einer skurrilen Serie von Prozessen der Frage nachgehen, ob Prostitution der Erholung dient. Denn, argumentiert Regierungsdirektor Hartmut Frosch von der Forstdirektion Tübingen Wanderparkplätze seien »im Rechtssinne Wald«, und mithin dürften dort nur Autofahrer parken, wenn sie, wie es im Waldgesetz heißt, »Erholung« suchen, also, so die eine amtliche Interpretation, »wandern oder vespern« wollen.

Zunächst hatten die beiden Frauen beim zuständigen Verwaltungsgericht Sigmaringen Widerspruch gegen den sofortigen Vollzug der Ausweisungsverfügung eingelegt, nachdem die Polizei umgehend angerückt war und das Lustmobil vertrieben hatte. Argument ihrer Anwälte: Die Ausübung der Prostitution stehe »der besonderen Zweckbindung des Waldes nicht entgegen«, falle zudem in den Schutzbereich von Grundgesetz-Artikel 12, der freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiert. Das Forstamt hingegen beharrte auf dem Erholungsparagraphen 37 des baden-württembergischen Landeswaldgesetzes.

Im Widerspruchsverfahren räumten die Verwaltungsrichter zwar ein, Prostitution im Wald sei möglicherweise als »Störung der öffentlichen Ordnung« anzusehen. Auch unbefugtes Abstellen eines Fahrzeugs komme als Delikt in Betracht, weil eben jener Paragraph 37 »das Fahren, Zelten, Abstellen von Wohnwagen und Aufstellen von Bienenstöcken im Wald« nur mit besonderer Befugnis gestattet.

Gleichwohl entschied das Gericht zugunsten der Frauen, zumal die Forstverwaltung zwei Jahre habe verstreichen lassen, ohne gegen den Parkplatz-Verkehr einzuschreiten: »Die vom Gewerbe der Antragstellerinnen ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit sind bisher jedenfalls (wohl zu Recht) nicht als sonderlich gravierend eingeschätzt worden.« Dem Widerspruch wurde stattgegeben, der Sofortvollzug aufgehoben, Doris und Linda luden wieder zur Waldeslust in den Schönbuch. Das Hauptverfahren blieb in Sigmaringen anhängig.

Nun schickte die Forstbehörde den beiden Frauen Bußgeldbescheide über je 5000 Mark zuzüglich 255 Mark Gebühren, die sie nach dem Landeswaldgesetz bei Ordnungswidrigkeiten verhängen kann. Begründung: »Fortgesetzte vorsätzliche mißbräuchliche Benutzung einer Erholungseinrichtung im Wald.«

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Erwin Abele, Rechtsvertreter der Doris, hielt die Höhe des Bußgeldes für gänzlich unangemessen und legte Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft Tübingen ein. »Normalerweise angemessen«, so der Anwalt, sei viel)eicht eine Buße bis zu fünfzig Mark. Der Anspruch auf eine höchstmögliche Geldbuße könne nur mit der »Verärgerung« des Forstamts über die Niederlage beim Sofortvollzug erklärt werden.

Während auch das Bußgeld-Verfahren - bis heute unerledigt - anhängig blieb, entwickelten die Forstbeamten von Bebenhausen eine neue Vertreibungsidee: Sie ließen vor dem Waldparkplatz eine rot-weiße Hochschranke aufstellen, unter der zwar Personenwagen durchfahren konnten, nicht aber das Wohnmobil.

Anwalt Abele beantragte Entfernung des Hindernisses, nannte das Vorgehen der Behörde »rechtsmißbräuchlich« und bekam recht. Vergebens hatte Forstjurist Frosch geltend gemacht, die Barriere im staatlichen Wald sei »in Ausübung privaten Eigentumsrechts« errichtet worden - eine Maßnahme, die nach Paragraph 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches ("Befugnisse des Eigentümers") zulässig sei.

Das Verwaltungsgericht Sigmaringen war anderer Meinung: Ein Waldbesitzer sei in seinen Befugnissen »in verschiedener Richtung« eingeschränkt. Er könne den Wald oder Teile des Waldes nicht nach eigenem Belieben, sondern nur »aus wichtigem Grund« sperren - die Forstbehörde mußte die Schranke wieder öffnen, legte jedoch gegen diese Entscheidung Berufung beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ein.

Das war im November letzten Jahres. Im Dezember unterlagen Linda und Doris mit ihrer Klage gegen die Ausweisung aus dem Schönbuch dann doch noch, anders als in Sachen Sofortvollzug: Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen schloß sich der Auffassung der Forstverwaltung an, wonach der Wald nur zu Erholungszwecken betreten werden dürfe, obwohl das »nur« nicht im Waldgesetz steht.

Wenig später aber, in Sachen Schranke, obsiegten die beiden Prostituierten vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim: Die Beschwerde der forschen Forstler wurde abgewiesen, der Sperrbalken muß hochgestellt bleiben.

Im neuen Jahr bleibt zunächst alles wie bisher, seit 1982. Denn gegen das generelle Sigmaringer Verbotsurteil soll Berufung in Mannheim eingelegt werden - wegen der »exemplarischen Materie«, so Anwalt Abele, der darauf beharrt, daß »Prostitution nicht im Widerspruch zum Erholungsgedanken steht«.

Die beiden Wohnmobil-Gefährtinnen üben ihren Beruf vorläufig ungehindert aus, schrankenlos, zur Winterzeit mit Standheizung.

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