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ÖSTERREICH Womit locken?

49 von Österreichs 84 größeren Seilbahngesellschaften arbeiten mit Defizit. Nicht eine zahlt Dividende. Nur mit Staatshilfe werden neue Gondelbahnen gebaut werden können.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Österreichs Fremdenverkehr hängt an unserem Seil«. mahnt Viktor Schlägelbauer. Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Seilbahnen. Seine Gleichung: »Je mehr Gondeln. um so mehr Touristen.«

Eben dieses Seil aber droht nun zu reißen. Die rot-weiß-roten Bergbahnen, hinter denen schlangestehende Skifahrer das große Geschäft wittern, sind in Wahrheit eine große Pleite. 1970 machten sie zusammen ein Minus von 45 Millionen Schilling (etwa 6,5 Millionen Mark).

Trotz der Rekordzahl von 31,3 Millionen beförderten Passagieren (mehr als viermal die Einwohnerzahl des Landes) haben Österreichs 148 Seilbahnen -- Großanlagen wie Standseilbahnen, Pendelbahnen, Umlaufbahnen und Doppelsessellifte -- im Jahr 1970 keine Dividende abgeworfen. 49 der 84 größeren Gondelgesellschaften melden Verluste. Tief in den roten Zahlen stecken selbst die berühmte Valluga-Bahn am Arlberg, die Zettersfeldbahn in Lienz, die Innsbrucker Patscherkofelbahn. die Salzburger Untersbergbahn.

Nicht einmal die Kitzbühler Bergbahn A. G. mit ihren 380 Angestellten, reiche Besitzerin von »praktisch allem, was zwischen Pass Thurn und Kirchberg auf einen Berg krabbelt« (Schlägelbauer), konnte ein Plus einwirtschaften.

Als Ursachen für die »beklagenswert windigen Luftgeschäfte« nennt Schlägelbauer:

* Extrem hohe Baukosten im extrem schwierigen Gelände. Beispielsweise verschlang die 1,8 Kilometer lange Dachsteinsüdwandbahn runde 100 Millionen Schilling, obwohl ein Seilbahnkilometer im Europa-Durchschnitt bloß auf 20 Millionen geschätzt wird.

Schlechte Kredit-Bedingungen: an relativ billigen Geldern stehen in Österreich pro Jahr ganze 60 Schilling- Millionen für sämtliche Seilbahn- und Luftbauten bereit. Zusätzliche Finanzmittel kosten 10 Prozent Zinsen.

Steigende Löhne -- bis zu 40 Prozent der Betriebseinnahmen gehen für Personal drauf.

* Baubehördliche Vorschriften, die »Österreichs Seilbahnen zu den sichersten Verkehrsmitteln der Welt machen« (Schlägelbauer).

Nebenkosten. wie Pistenanlage ("mindestens 50 Meter breit, mindestens eine Million Schilling pro Kilometer"), Pistenpflege. Lawinensicherung. Markierungen, Rettungsdienst. Schlägelbauer: »Vor zehn Jahren verletzte sich ein Promille der Seilbahnbenutzer bei der anschließenden Abfahrt. heute dank guter Pisten nur noch ein Zehntel davon. Aber der Erfolg kostet die Seilbahngesellschaften 20 Prozent ihrer Jahreseinnahmen:«

überhaupt fühlen sich die Seilbahnbesitzer als unbedankte Pioniere des Fortschritts. Der Tiroler Dr. Günther Schöffel, Vorsteher des Seilbahnenverbandes: »Wir müssen immer nur zahlen, die anderen dürfen dafür immer verdienen.«

Die Liste der angeblich immer Verdienenden umfaßt nach seiner Meinung »einfach alle, die von der Erschließung neuer Urlaubsgebiete profitieren Dazu gehören der private Zimmervermieter. der Hotelier und natürlich der Huberbauer, der auf seiner bislang wertlosen sauren Alm für wenig Geld einen sehr rentablen Schlepplift montiert. Dazu gehören ferner die jeweilige Gemeinde, das Bundesland, ja letztlich auch der österreichische Staat, dem der Fremdenverkehr alljährlich einen Devisenerlös von rund 20 Milliarden Schilling einträgt.

Weil so viele von den Zubringerdiensten der Seilbahnen leben, sollen, so die Bahn-Bauer. auch viele zur Rettung der Seilbahnen beitragen. Schlägelbauer führt derzeit einen mehrfrontigen Schnorrfeldzug. Von den Staatsbanken verlangt er billigere Kredite, von den Gemeinden die freiwillige Mithilfe bei der Pistenbetreuung. von den Landesregierungen bessere Straßen zu den Seilbahn-Talstationen » von der Baubehörde den Verzicht auf übertriebene Sicherheitsnormen, vom Finanzminister steuerliche Begünstigungen. Sonst sieht er schwarz.

Denn 1970 ist erstmals seit 1960 zwischen Bregenz und Eisenstadt keine einzige größere Seilhahn in Betrieb genommen worden -- just zur selben Zeit. da Frankreich energisch daran geht. jegliche Wartezeiten vor Gondeln und Lifts abzuschaffen. Schlägelbauer und Schöffel im Kassandra-Chor: »Und womit will Österreich anno 2000 die ausländischen Touristen ins Land locken?«

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