POLITIKER »Wünscht mir Glück«
Es ist seltsam bei einem Freitod, aber Jürgen W. Möllemanns letzte Worte waren ein Versprechen: Als die rotweiße Propellermaschine vom Typ Pilatus Porter am Donnerstag vorvergangener Woche vom Flughafen Marl-Loemühle startete, saß der einstige Spitzen-Liberale auf dem Platz des Co-Piloten, mit dem Gesicht zu den anderen neun Fallschirmspringern.
Sein alter Spring-Kamerad Guido Bleckmann hockte direkt vor ihm. Im Flugzeug redet man nie viel. Aber kurz bevor die Tür geöffnet wurde, fiel Bleckmann noch etwas ein. »Eh ich es vergesse«, sagte er, »ich hätte gerne noch ein Buch mit Widmung« - ein Exemplar von Möllemanns
»Klartext«. Der erwiderte: »Kein Problem. Machen wir unten!«
Kurz danach sprang Möllemann. Auf 1600 Meter Höhe zog er seinen Hauptschirm und steuerte ihn durch die Luft, gekonnt wie immer, bis hinunter auf etwa 600 Meter.
Dann löste der erfahrene Springer Möllemann jedoch den Hauptschirm plötzlich ab. Ziemlich genau 16 Sekunden hatte er danach noch Zeit, sich gegen seinen Tod zu entscheiden - bis 3 Sekunden vor dem Aufschlag hätte er sich noch retten können. Doch statt seinen Reserveschirm zu ziehen, riss sich Möllemann auch noch die Sprungbrille vom Kopf. Die letzten Sekunden in seinem Leben wird er nichts mehr gesehen haben. Als er aufschlug, hatte er seine Arme weit ausgebreitet.
Alles hatte Jürgen W. Möllemann, 57, in einer steilen Karriere einmal erreicht. Landtagsabgeordneter. Mitglied des Bundestags. Staatsminister im Auswärtigen Amt. Bildungsminister, Wirtschaftsminister, Vizekanzler.
Dann aber der Abstieg des FDP-Stars: der Krach mit Parteichef Guido Westerwelle. Fraktionsausschluss in Berlin. Parteiaustritt. Und in den letzten Wochen waren Stationen seines Lebens schließlich nur noch Chiffren: in den Akten der Polizei, der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft.
EA 01 - das Kürzel steht bei den Beamten für Möllemanns Zimmer im Landtag von Nordrhein-Westfalen. EA 06 - die Chiffre für sein Wohnhaus im gediegenen münsterschen Stadtteil Gievenbeck. EA 20 - das Büro im Deutschen Bundestag. EA 32 - die Villa »Nuestro Sueño« (Unser Traum) auf Gran Canaria. Hinter den Buchstaben EA verbirgt sich der Begriff »Einsatzabschnitt«. So definiert die Kripo jene Bereiche, wo kleine Trupps Durchsuchungen planen. Als sie loslegten, sprang Möllemann.
Seit Wochen hatte sich die Schlinge um ihn immer enger zusammengezogen. Die Fahnder hatten so viele Informationen über Möllemanns dubiose Geschäftsmethoden zusammengetragen, dass er mit massiven Strafen rechnen musste; er wäre nicht nur politisch am Ende gewesen, sondern womöglich auch wirtschaftlich ruiniert. Kurz bevor er starb, war der Liberale so in einer juristisch nahezu ausweglosen Lage - und dann drohte noch dieser ganz derbe Schlag: die größte Durchsuchungsaktion, die Fahnder je gegen einen deutschen Politiker der vorderen Reihe planten.
Das Drama begann mit jenem antiisraelischen Flyer, den Möllemann kurz vor der Bundestagswahl 2002 drucken ließ und mit dem er auch am rechten Rand Wählerstimmen fischte. Das war politischer Selbstmord - vor allem aber ein teures Unterfangen: Druck und Vertrieb des Flyers kosteten eine knappe Million Euro.
Sofort interessierten sich Staatsanwälte und Steuerfahnder dafür, woher dieses Geld stammen könnte. Ihre Ermittlungsverfahren erbrachten bald immer mehr Informationen über Möllemanns Schattenreich - eine ominöse Firma, Konten im Ausland, mysteriöse Geldtransfers. Die Fahnder stellten sich schnell eine ungeheuerliche Frage: Hatte Möllemann für Hilfe bei einem Panzerdeal Schmiergeld kassiert - und das im Ausland am Fiskus vorbeigeschoben?
Beispielsweise hatten die Ermittler ein Möllemann-Konto bei der luxemburgischen Filiale der Banque Nationale de Paris (BNP) entdeckt, über das im Laufe mehrerer Jahre Millionen geflossen waren. Allein zwischen dem 6. November 1997 und dem 28. Januar 2000 wurden nach neuen Erkenntnissen von hier aus 8,7 Millionen Mark Richtung Liechtenstein transferiert - auf ein Konto einer Briefkastenfirma mit dem Namen Curl AG.
Als Überweisungsgrund war stets angemerkt: »Darlehensrückzahlung«. Aber wer da wem ein Darlehen gewährt hatte und warum, das vermochte Möllemann den Fahndern nicht schlüssig zu erklären.
Die Curl AG wiederum überwies etwa im gleichen Zeitraum 3,7 Millionen Mark an Möllemanns Düsseldorfer Firma mit dem Namen Web/Tec, die offiziell Unternehmen bei Ausschreibungen für Infrastruktur-Projekte berät.
Das war nicht die einzige dubiose Zahlung an die Web/Tec. 1996 und 1997 erhielt Möllemanns Unternehmen, neben Riesenhonoraren aus dem Reich des Medienmoguls Leo Kirch, eine Million Mark aus einer ganz verdächtigen Quelle. Den Absendeort des Geldes hatten die Fahnder schnell identifiziert: Monaco. Auch den Absender: Rolf Wegener.
Der Name ließ bei den Ermittlern alle Alarmglocken schrillen. Denn Wegener ist nicht nur ein alter Möllemann-Freund. Der umtriebige Kaufmann soll vor allem kräftig abgesahnt haben, als im Jahr 1991 die deutsche Waffenschmiede Thyssen 36 Panzer vom Typ »Fuchs« nach Saudi-Arabien liefern durfte: 8,93 Millionen Mark waren nach dem heftig umstrittenen Deal auf ein Konto der panamaischen Briefkastenfirma »Great Aziz« in Liechtenstein überwiesen worden - und die gehörte nach den Erkenntnissen der Ermittler Wegener. Für den Panzer-Export hatte sich der Arabien-Fan Möllemann als Bundeswirtschaftsminister stark gemacht, gegen harten parteiinternen Widerstand.
Zufall oder nicht: Im Mai 1994 wurde Great Aziz liquidiert - und im August des- selben Jahres tauchte plötzlich die Curl AG auf. Derzeit gehen Fahnder der Frage nach, ob Wegener auch hinter der Curl steckte und ob Möllemann für deren Konto bei der Liechtensteinischen Landesbank zeichnungsbefugt war.
Dass Möllemann eigentlich hinter dem Panzerdeal steckte und Wegener sein Strohmann war, ist eine Überlegung der Ermittler. Belege dafür gibt es nicht. Noch nicht.
Sicher scheint den Fahndern hingegen schon, dass es zwischen der Millionen-Abhebung vom BNP-Konto und der Finanzierung des Flyers einen direkten Zusammenhang gab. Weil das Geld gestückelt und unter Phantasienamen auf ein Sonderkonto Möllemanns eingezahlt wurde, bewertet die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft dies als einen gravierenden Verstoß gegen das Parteiengesetz.
Als Möllemanns Verteidiger Eberhard Kempf im Frühjahr bei Staatsanwälten vorfühlte, was denn als Strafe dafür zu erwarten sei, gab es düstere Nachrichten: Eine Haftstrafe auf Bewährung sei »angemessen«, zumindest aber ein Strafbefehl über ein Jahr Gefängnis - die höchste Strafe, die auf diesem Weg zu kassieren ist.
Doch es gab nicht nur das Ermittlungsverfahren in Düsseldorf. Inzwischen hatten sich auch Steuerfahnder aus Münster eingeschaltet: Egal woher die Luxemburger Millionen stammten - versteuert hatte Möllemann sie wohl nicht. Nach Meinung der münsterschen Fahnder hätte die Steuerhinterziehung nur mit einem saftigen Strafbefehl geahndet werden können - 620 Tagessätze à 1000 Euro, also 620 000 Euro. Hinzu kämen Nachzahlungen in Millionenhöhe.
Und das wäre immer noch nicht alles gewesen. Aus Rechtsgründen hätte es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe kommen müssen - wohl nicht unter zwei Jahren Haft auf Bewährung.
Die Verfahren, sagt Kempfs Mitverteidigerin Annette Marberth-Kubicki, Ehefrau des besten Möllemann-Freundes Wolfgang Kubicki, seien »schwierig, aber beherrschbar« gewesen. Doch Möllemann, der ursprünglich einmal durchaus »gesprächswillig« gewesen sei, so ein Staatsanwalt, habe unter dem enormen Druck immer weniger Entgegenkommen gezeigt. Und weil er den Fahndern auch noch höchst unterschiedliche Versionen etwa über die Besitzverhältnisse des luxemburgischen BNP-Kontos auftischte, hatte er sich bald so tief verstrickt, dass auch die besten Anwälte ihn nicht mehr raushauen konnten.
Schließlich platzte den Ermittlern ob all der Versionen Möllemanns der Kragen. Sie wollten sich seine Akten ansehen, seine Konten, alles. Schon im März hatte das Amtsgericht Münster einen Durchsuchungsbeschluss erlassen, der freilich erst mal noch auf Eis gelegt wurde. Am 22. April aber schob das Amtsgericht Düsseldorf einen weiteren Durchsuchungsbeschluss nach. »Der Beschuldigte«, schreibt Amtsrichter Christian Sönnichsen in seinem Verdikt, »hat sich bisher zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht geäußert und ist zu einer Kooperation mit den Ermittlungsbehörden nicht bereit.«
Da musste die Justiz handgreiflich werden: Kurz nach einer stundenlangen Einsatzbesprechung am 21. Mai schickten Düsseldorfer und münstersche Staatsanwälte Rechtshilfeersuchen nach Luxemburg, Spanien und Liechtenstein, wo sie unter anderem durchsuchen wollten.
Die Schreiben datieren vom 26. Mai - just von jenem Tag, an dem auf der Redaktionskonferenz des Talkshow-Teams von Sabine Christiansen über die Gäste für die kommende Sendung debattiert wurde. Einem kam die Idee, doch die »beiden Outlaws der Republik« einzuladen. Nämlich Oskar Lafontaine und Möllemann. Ein solches Duo in der Sendung bringe bestimmt eine fette Quote.
Fünf Tage später ging beim Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestags ein dickes Aktenkonvolut aus Nordrhein-Westfalen ein: der Fall Möllemann. Offenbar hatten die Staatsanwälte gute Arbeit geleistet. Die Ausschussvorsitzende Erika Simm, einst selbst Anklägerin, lobt die Unterlagen der ehemaligen Kollegen als »sehr sorgfältig erarbeitete Anträge, mit Akribie zusammengetragen, voller Detailwissen«. Der Ausschuss könne gar nicht anders, als dem Parlament zu empfehlen, die Immunität des fraktionslosen Abgeordneten Möllemann aufzuheben - und damit die Durchsuchungen zu erlauben.
Eine Viertelstunde vor Sabine Christiansens Sendebeginn am Sonntag, gegen 21.30 Uhr, ließ sich Möllemann ins Fernsehstudio chauffieren. Nach dem Gang in die Maske trug er sich ins Gästebuch ein, zwischen Lafontaine und dem CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Möllemann schrieb: »Jürgen W. Möllemann, wieder da.« Und machte dahinter ein Ausrufungszeichen.
Es sollte sein letzter Auftritt im Fernsehen sein. Die Quote war gut - und ein seltsamer Satz Möllemanns ging etwas unter: »Wenn man einen Punkt erreicht, an dem es nicht mehr geht, dann muss man sich auch verabschieden können.«
Und dann ging es Schlag auf Schlag: Montag, 2. Juni, Immunitätsausschuss. Erika Simm (SPD) hatte kurzfristig eine Besprechung der vier Obleute anberaumt. Nach den parlamentarischen Regeln müssen an Durchsuchungen bei Abgeordneten Vertrauensleute teilnehmen. Zwei Tage später lag Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eine Liste mit sieben Namen vor. SPD-MdB Peter Danckert etwa erfuhr bald, dass er bei der Durchsuchung im NRW-Landtag - bei EA 01 - zugegen sein sollte, Volker Neumann (SPD) in Münster und der CSU-Abgeordnete Wolfgang Götzer bei Web/Tec, Einsatzkürzel: EA 04.
Mittwoch, 4. Juni, 11.30 Uhr, Düsseldorfer Landtag, der Tag vor Möllemanns Tod. Der früher viel beachtete Star im Landesparlament lief als fraktionsloser Abgeordneter durch die Gänge. Keine Kameras, kaum Fotografen. Auf einige Kollegen wirkte er rotgesichtig, angestrengt, bemüht locker - auf andere aber gut gelaunt.
Im Zimmer E 1 C 87 des Düsseldorfer Landtags traf sich Möllemann dann mit seinem Büroleiter zu einem Strategiegespräch. Thema: Wie kommt Möllemann wieder mehr in die Medien? Die beiden machten einen Zeitplan für Pressetermine bis zu den Sommerferien, Auftritte bei der »WIP-Schaukel« im ZDF wurden besprochen, bei N24, bei einem Sommerfest in Thüringen. Im August, vereinbarten beide, würden sie schließlich aber Urlaub machen. »Dann bin ich wieder auf Gran Canaria«, sagte Möllemann.
Auf der Tagesordnung von Möllemanns letzter Plenarsitzung, kurz danach, standen weltbewegende Themen wie das Kleingartenwesen und die multiprofessionelle Schwesternausbildung. Möllemann saß auf seinem separat stehenden blauen Stuhl hinter der FDP-Fraktion. Sein langjähriger Parteifreund Horst Engel kam vorbei, hockte sich hin, fast schaute es aus, als kniete er vor Möllemann. »Was macht Münster, was macht Düsseldorf?«, fragte Engel. Gemeint waren die beiden Ermittlungsverfahren.
»Mit Münster sind wir uns einig«, erzählte Möllemann, der dabei einen ganz aufgeräumten Eindruck auf Engel machte. »Das wird auch Signalwirkungen auf das Düsseldorfer Verfahren haben.« Die Münsteraner wollten, so Möllemann, wohl »einstellen, nach Paragraf 153«. Das würde bedeuten, kein öffentliches Interesse und geringe Schuld.
Damit lag er vollkommen falsch.
Mittwochabend. Falls er wusste, dass dies seine letzten Stunden waren, so war ihm davon nichts anzumerken. »JWM«, wie ihn Fallschirmspringerkollegen nennen, verbrachte sie bizarr normal. Lockeren Schritts betrat er gegen halb sieben in leichtem Sommerhemd das »Restaurant zum Rüschhaus«, ein paar Minuten Fußweg von seinem Bungalow entfernt. Er setzte sich - wie immer - an die helle Buchentheke. Es war angenehm kühl, draußen herrschte schwüle Hitze.
Möllemann trank zwei Pils, eins mehr als sonst. »Eben ein wirklich schöner Abend«, sagt ein Kneipengast. Sie lachten. Möllemann erzählte Anekdoten, machte Strauß nach, bayerischer Akzent. Er werde bald ein weiteres Buch schreiben, verkündete er. Und dass er morgen bei Marl absprin-
gen wolle. »Wünscht mir morgen viel Glück«, sagte er beim Rausgehen.
Zu dem Zeitpunkt war die geheime Kommandosache der Staatsanwälte und Steuerfahnder gegen ihn schon nicht mehr gar so geheim: Bereits am frühen Donnerstagmorgen hatte, kaum war es hell, ein TV-Übertragungswagen vor dem Wohnhaus der Möllemanns in Münster Stellung bezogen. Um 9.30 Uhr klingelte beim FDP-Politiker Kubicki das Handy, Möllemann war dran. Er begrüßte seinen Freund wie üblich: »Hallo Waczlaw.«
Möllemann war ein wenig ratlos: Vor seinem Haus hätten sich Journalisten versammelt, erzählte er, einige Autos hätten Düsseldorfer Kennzeichen. Was das denn zu bedeuten habe? Kubicki: »Du bekommst Besuch von der Staatsmacht.« Um 10.20 Uhr rief Kubickis Frau, Möllemanns Anwältin, bei ihm an. Ihr Mandant sei ihr »nicht übermäßig geschockt« vorgekommen, sagt sie. Beide sprachen darüber, ob eine Pressemitteilung über die Durchsuchungen herausgegeben werden solle.
Danach versuchte die Verteidigerin noch mehrfach, ihren Mandanten zu erreichen - jetzt auf einmal aber vergebens. Stets sprang nur noch Möllemanns Mailbox an.
Ursprünglich sollte der Immunitätsausschuss, der für die Abstimmung im Bundestag eine Vorlage zu erarbeiten hat, an diesem Donnerstag um 15.30 Uhr tagen. Die Sitzung wurde aber auf 11.15 Uhr vorgezogen - eine Bitte der Einsatzleitung der Polizei. So hatten die 100 Beamten, die schon längst vor 25 Objekten in Spanien, Liechtenstein, Luxemburg und Deutschland postiert waren, mehr Zeit für ihre Arbeit.
Die Entscheidung im Ausschuss fiel einstimmig. In der Drucksache 15/1135 heißt es: »Der Bundestag wolle beschließen: Die Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen das Mitglied des Deutschen Bundestages Jürgen W. Möllemann ... wird erteilt.« Um 12.18 Uhr stimmte das Parlament der Vorlage des Ausschusses zu.
Bis zum Flugplatz Marl-Loemühle ist es eine Autostunde von Möllemanns Haus aus. Die A 43 führt durch weite, grüne Landschaft. Die Stadt ist ein Provinzidyll, eingeklemmt zwischen Ruhrpott und Münsterland, mit mustergültiger Fußgängerzone, mehreren Gardinengeschäften und italienischen Eiscafés. Der kleine Flugplatz am Ortsrand ist hier eine Attraktion. Mit Biergarten, Kinderspielplatz und Besucherterrasse - ein Ort, an dem auch Möllemann noch einmal Attraktion sein durfte.
Am Dienstag, zwei Tage vor seinem Tod, war er zum ersten Mal hier aufgetaucht. Er hatte sich unter die Sportkameraden des Vereins für Fallschirmsport Marl e. V. gemischt, die gerade eine so genannte Sprungwoche abhielten - und beiläufig nach Sprungterminen gefragt.
Als ihn Ronald Scherrinsky, der Wirt der Flugplatz-Kneipe, um einen Eintrag ins Gästebuch bat, hatte Möllemann das vermutlich letzte Autogramm seines Lebens gegeben. Bereitwillig verschenkte er eine vierfarbige Autogrammkarte und schrieb ein paar joviale Zeilen in Scherrinskys weiß-blaue Plastik-Kladde. Nichts Besonderes. Keine Spur von Abschied. Für den nächsten Tag versprach der Politiker, noch ein signiertes Exemplar seines Buches »Klartext« vorbeizubringen.
Er hielt sich an sein Versprechen. Als Möllemann am Mittwoch am Flughafen erschien, hatte er an das Buch für Scherrinsky gedacht. Der geplante Fallschirmsprung fiel jedoch aus; wegen schlechten Wetters. Man vertagte sich auf Donnerstag 9 Uhr.
Doch an diesem Donnerstag, seinem letzten Tag, war er unpünktlich - um 9.48 Uhr hob die erste Maschine ohne ihn ab. Erst gegen 10.45 Uhr ging die Nachricht um, der prominente Kamerad sei endlich eingetroffen. Er sitze in seinem Auto auf dem Besucherparkplatz und telefoniere.
Kein Problem, die Springer warteten sowieso erst noch auf besseres Wetter und beobachteten, wie sich Möllemann schließlich in der Blockhütte rechts des Towers zum nächsten »Load« anmeldete. Er redete nicht viel mit den Sportskameraden. Bei Scherrinsky bestellte er Mineralwasser; Möllemann wirkte auf den Wirt »ruhig, konzentriert, völlig normal«.
Gegen Mittag versprach der Wetterbericht endlich wieder passable Bedingungen. Die Sprungleitung gab das Kommando »noch 20 Minuten«. Möllemann zog sich an seinem Wagen auf dem Parkplatz um. Eine blaue Sprungkombi. Den Fallschirm hatte er bereits seit Tagen im Kofferraum. Anders als seine Kameraden schaltete er das automatische Notauslösesystem offenbar nicht ein. Seinen Wagenschlüssel gab er bei der Sprungleitung ab, dazu einen Zettel mit seiner Düsseldorfer Büronummer.
Die Sportskameraden fragten ihn, ob er mit ihnen einen »Stern« springen wolle - also in Formation. Doch Möllemann lehnte ab: »Ich springe heute einen Einzelstern.« Pilot Markus Engstenberg warf die Turbine der »Pilatus Porter« an. Gegen 12.14 Uhr rollte das Flugzeug zur Startbahn »Zwo-Fünf«.
In 1500 Meter Höhe verließ der erste Springer, ein Fallschirm-Schüler, die Maschine. Auf 4250 Meter Höhe kam schließlich das »Exit«-Kommando für die anderen. Die Schiebetür wurde aufgezogen, und als Erste verließen die fünf »Stern«-Springer das Flugzeug.
Dann Möllemann.
GEORG BÖNISCH, ANDREA BRANDT,
MARKUS DETTMER, GEORG MASCOLO,
ALEXANDER NEUBACHER, SVEN RÖBEL,
BARBARA SCHMID, CAROLINE SCHMIDT
* Am vergangenen Freitag in Münster.* Oben: Witwe Carola Appelhoff-Möllemann (M.), Töchter Maike,Esther bei der Trauerfeier in Münster; unten: 1983 mit demsaudi-arabischen Außenminister Prinz Saud al-Feisal in Dschidda.* Im Juni 2002 auf einer FDP-Vorstandssitzung in Berlin.