SPANIEN Wüstes Land
Wir retten den Wald. Wir verteidigen die Zukunft«, verkündete ein Transparent in fetten grünen Lettern. Ein Ökologenkommando aus Madrid hatte es vor Forstarbeitern ausgerollt, die im Gelände rodeten. Noch ehe sie begriffen, was die jungen Leute vorhatten, hängten sich die Grünen mit Ketten und Vorhängeschlössern an die Baggerschaufeln, legten die Maschinen lahm.
Mit Ankettungsaktionen wie im Wald von Palancares, einem kleinen Sierra-Dorf in der Provinz Guadalajara (110 Kilometer nordöstlich von Madrid), hat die Accion Verde, die spanischen Grünen, in den letzten Monaten häufig gegen die staatliche Forstpolitik protestiert.
Zwischen 1945 und 1975 - für die letzten zehn Jahre existiert keine Statistik - starben in Spanien zwei Millionen Hektar Wald keines natürlichen Todes: Die Bäume wurden von Menschen umgelegt.
50 Millionen Hektar ist Spanien groß, davon sind nur 24 Prozent, 12 Millionen Hektar, bewaldet. In Frankreich bedeckt der Wald noch 27 Prozent der Fläche, in der Bundesrepublik 30 Prozent.
Dabei braucht Spanien seinen Wald noch dringender als nördliche Länder, denn die Mittelmeersonne verwandelt mit der Zeit jedes kahle Stück Boden in Pulverstaub. 60 Prozent des Landes sind bereits versteppt oder dabei, zu verkarsten. Am schwersten leiden die südspanischen Regionen Murcia und Andalusien, aber auch die Umgebung der Hauptstadt Madrid.
Wer heute durch Spanien reist, kann sich kaum noch vorstellen, daß bis ins Mittelalter das ganze Land ein riesiger Wald war, zu 83 Prozent bedeckt mit Laubbäumen, zu 8 Prozent mit Nadelhölzern. Nicht mehr als 5 Prozent waren unbewachsen.
»Ein Eichhörnchen kann durch die Baumwipfel von den Pyrenäen bis nach Gibraltar hüpfen, ohne den Boden zu berühren«, schrieb der griechische Geograph Strabon um die Zeitwende. So grün blieb die Iberische Halbinsel, bis das spanische Königspaar Isabella und Ferdinand den Genuesen Kolumbus zur Entdeckung neuer Welten ausrüstete: Für den Schiffsbau wurde Anfang des 16. Jahrhunderts zum erstenmal in großem Stil gerodet. Rund 2000 dicke Stämme mußten für eine Galeone geschlagen werden.
Hundert Jahre später brauchte Philipp II. noch mehr Holz, um seine riesige Armada gegen England zu bauen, die dann wenig ruhmvoll 1588 unterging. Tausende von Bäumen aus spanischen Wäldern verfaulten auf dem Grund des Ärmelkanals, vermoderten vor Irland und Schottland. Während der Säkularisation des Kirchenguts im 19. Jahrhundert wurden die Klosterwälder enteignet und für die Landwirtschaft gerodet.
Besondere Waldfreunde waren die Spanier nie. Wie auch andere Mittelmeervölker holzten sie munter drauflos, um Felder für Weizen und Wiesen für Schafe und Ziegen zu schaffen. Bäume mochten die spanischen Bauern schon deshalb nie leiden, weil sich allerlei Vögel in ihren Wipfeln Nester bauen, um dann hungrig über die frisch gesäten Felder herzufallen. Nur die spanische Oberschicht hatte ein gewisses Interesse daran, daß weiterhin ein bißchen Wald blieb - damit jagdbares Getier, vor allem Wildschweine, heranwachsen konnte.
»Heute müßte sich eine Schlange von den Pyrenäen bis Gibraltar winden, ohne auch nur einen einzigen Moment den Schatten eines Baums zu genießen«, stellt das spanische Magazin »Cambio 16« fest.
»Die fortschreitende Versteppung ist eines unserer ältesten Probleme. Wir ignorieren es seit Jahrhunderten«, klagt Umweltschützer Francisco Llavero und klärt die Spanier auf, daß ein Hektar Wald pro Jahr 10 bis 20 Tonnen Sauerstoff liefert, vier Millionen Liter Wasser speichert und 30 bis 35 Tonnen Staub bindet.
Obwohl Erosionsschäden schon im vergangenen Jahrhundert unübersehbar waren, gelang es erst 1938, private Interessen zugunsten eines gründlichen Aufforstungsplans einzuschränken: Zunächst drei Millionen Hektar sollten wieder bewaldet werden, notfalls auch gegen den Willen der Eigner.
Als die Forstbehörde vor zehn Jahren Bilanz zog, war das Aufforstungssoll zwar erfüllt, aber noch schneller war der Wald verschwunden, so daß der Baumbestand insgesamt unaufhaltsam weiter schrumpfte. Diesen schleichenden _(Text auf Transparent: »Wir retten den ) _(Wald. Wir verteidigen die Zukunft.« )
Schwund lasten spanische Ökologen der staatlichen Aufforstungspolitik des »Instituts zur Erhaltung der Natur« (Icona) an: Es sei der Forstbehörde nur noch um Gewinn gegangen, seit den 70er Jahren habe sie Spanien zum Holzexport-Land getrimmt.
Statt einheimischer Eichen und Buchen zog Icona fast ausschließlich fremde, aber schnellwachsende Hölzer wie Kiefern und Eukalyptus groß, die schon nach 25 Jahren für die Papierherstellung oder die holzverarbeitende Industrie geschlagen werden können.
Die Nachteile dieser Fremdlinge bekam der spanische Boden zu spüren, denn das ökologische Gleichgewicht wurde gestört. Besonders die Blätter des australischen Eukalyptus - voll intensiver ätherischer Stoffe - lassen dort, wo sie hinfallen, alle Mikroorganismen absterben.
Die Nadelhölzer schadeten, weil sie - wie der Eukalyptus auch - dem Boden große Mengen Wasser entziehen. Folge: Zwischen 1961 und 1982 brannten 2 685 300 Hektar ab, vor allem Kiefern- und Eukalyptusbestände. Öle und Harze bewirken, daß diese Baumarten leicht Feuer fangen.
Um die Waldbrände einzudämmen, hat Icona breite Gräben durch die Wälder gezogen - allein 40 000 Hektar im vergangenen Jahr. Solche Erdstreifen sollen die Flammen aufhalten. Aber gerade hier können Wind und Regen die Erdkrume einfach wegfegen oder ausschwemmen, so daß nur noch steriles Steinland bleibt.
Wenn erst einmal Erosion das Land befallen hat, verwandelt sich die ganze Landschaft, das Klima verändert sich, die heimische Tierwelt stirbt aus. Fortgespülte Erde füllt die Sümpfe, die dann kein Regenwasser mehr aufsaugen können. Im Frühjahr und im Herbst sind daher weite Landesteile überflutet.
Um zu verhindern, daß zu viel Erde weggeschwemmt wird, legt Icona Terrassen an, bevor Bäume gesetzt werden. Schwere Bagger graben den Boden um, wobei der ursprüngliche Bewuchs, der »matorral« aus Laubgewächsen, Busch, Heide und Thymian, vernichtet wird. Die Setzlinge sollen im Brachland wachsen, doch fast die Hälfte der Jungkiefern geht ein, weil ihnen zum Leben ihr natürliches Milieu fehlt.
Aus »matorral« würde im Laufe von 50 bis 100 Jahren von selbst Wald entstehen mit den für Spanien typischen Laubbaumarten. Deshalb wehren sich die Ökologen dagegen, daß Icona den »matorral« systematisch ausrottet.
Als Madrider Grüne sich in Palancares an Icona-Bagger ketteten, um die Terrassierungsarbeiten zu verhindern, wollten sie die Öffentlichkeit aufrütteln: Wenn der Wald stirbt, wird das ganze Land nach und nach von Erosion zerstört, das sollten die Spanier endlich begreifen.
Deshalb kam es im Dorf zu einer paradoxen Koalition zwischen Umweltschützern aus der Stadt und den ursprünglichen Landbesitzern, von denen der Staat vor elf Jahren 1500 Hektar Land zur Aufforstung konfisziert hatte: Die Bauern wehrten sich gegen die Icona-Pläne, weil ihnen die angebotene Entschädigung zu niedrig war. Die Grünen kämpften dafür, daß nur einheimische Bäume gesetzt würden.
»Wenn ihr Kiefern pflanzt, werden wir sie alle wieder ausreißen«, drohte die Accion Verde der Forstbehörde. Resultat: Seit zwölf Jahren ist in Palancares noch kein einziger neuer Baum gewachsen.
Text auf Transparent: »Wir retten den Wald. Wir verteidigen dieZukunft.«