WEISSAGUNGEN Wunder des Malochias
Der Paderborner Erzbischof Lorenz
Jaeger wagte sich jüngst in ein Revier, das deutsche geistliche Exzellenzen und Gelehrte seit langem fast ausnahmslos meiden:
Der 70jährige Oberhirte versuchte, aus einer dreieinhalb Jahrhunderte alten Schrift, den sogenannten »Papstweissagungen des heiligen Malachias«, kirchliche Ereignisse des 20. Jahrhunderts zu deuten. Das Malachias-Papier (Jaeger: »Ein Dokument") enthält 112 Sinnsprüche, die sich angeblich auf die Päpste von Coelestin II. (1143 bis 1144) bis zum Weltuntergang beziehen.
Der 1941 vom Studienrat zum Erzbischof aufgestiegene Hochwürdigste Herr, der seinen Kommentar Ende vergangenen Monats durch die Katholische Nachrichten-Agentur verbreiten ließ, setzte damit die Reihe der Deutungsversuche fort, die vor allem im Heimatland der Päpste seit Jahrhunderten betrieben werden, die aber nach Ansicht des renommierten Münchner Kirchenhistorikers Franz Xaver Seppelt »in vielen Fällen nur kindisch und halsbrecherisch« wirken.
Seppelt, Autor einer fünfbändigen »Geschichte der Päpste«, wertete die »Weissagungen« als »wirre, geistlose und einfältige Fälschung«. In diesem Urteil stimmt er mit Karl Rahner, dem bedeutendsten lebenden katholischen Dogmatiker, überein. Rahner: »Erdichtete Prophezeiung.«
Der Erzbischof Jaeger, geistlicher Herr über 2,1 Millionen Katholiken, ließ sich nicht von Seppelt oder Rahner, sondern von einem weithin unbekannten Forscher namens Hildebrand Troll inspirieren, der die Papst-Losungen »zu den großartigsten Zeugnissen prophetischen Geistes« zählt. Diese Erkenntnis machte Troll vor zwei Jahren in einer Broschüre publik - seinem ersten und bislang einzigen kirchenhistorischen Werk*.
Troll-Leser Jaeger läßt die Frage unbeantwortet, »ob und inwieweit es sich um eine echte Prophetie handelt« und gibt die Thesen Trolls kritiklos wieder.
Der Malachias-Streit, an dem sich anti- und proprophetische Wissenschaftler wie Laien beteiligen, ist fast so alt wie der umstrittene Text. Einig sind sich die Schrift-Gelehrten lediglich darüber, daß die »Papstweissagungen des heiligen Malachias« nicht vom heiligen Malachias stammen.
Im Jahre 1595 hatte der belgische Benediktiner Arnold Wion die Leser seines »Holz des Lebens« betitelten Buches auf einen Holzweg geführt als er den 447 Jahre zuvor verstorbenen Iren Malachias zum Verfasser der 112 seherischen Losungen erhob. Den Geistlichen Malachias, der 42 Jahre nach seinem Tode heiliggesprochen worden war, hatten gläubige Freunde wegen seiner angeblichen prophetischen Begabung gerühmt. Von irgendwelchen Weissagungen über die künftigen Kirchenmonarchen wußte allerdings kein Malachias-Zeitgenosse zu berichten.
Bald nach dem Erscheinen der Wion -Schrift stellte sich denn auch heraus, daß die von Troll als »Devisen« gerühmten Sprüche nicht von dem heiligen Malachias, sondern von einem Fälscher stammten: Der Autor entlarvte sich selbst als Mann des 16 Jahrhunderts, indem er für die 74 Päpste und Gegenpäpste, die zwischen 1143 und 1590 regierten, posthum Sprüche erfand, die sich zumeist präzise auf deren Herkunft, Namen oder Wappen bezogen.
Die künftigen Heiligen Väter hingegen, deren Zahl der Devisen-Fälscher auf 38 begrenzte, konnte er mit seinen symbolischen Sinnsprüchen nur sehr verschwommen kennzeichnen.
Für die 38 Päpste nach dem Jahre 1590 ersann der Orakler Sprüche, die
sich mühelos auf jeden denkbaren Papst der Zukunft anwenden ließen - etwa »Römisches Kreuz«, »Lilie und Rose«. »Von der guten Religion«, »Freude des Kreuzes«, »Religiöser Mann« oder »Die hohe Säule«.
Die frommen Spruchdeuter gerieten in den folgenden Jahrhunderten selten in Schwierigkeiten. Unschöne Losungen wie »Verkehrtes Geschlecht«, »Das Landtier«, »Hund und Schlange« oder »Räuberischer Adler« wurden auf stets vorhandene - Gegner des jeweiligen Papstes bezogen.
Wie vor ihm schon Forscher Troll, gelangte auch Oberhirte Jaeger zu dem Schluß, vor allem die letzten Päpste seien durch ihre Leitsprüche trefflich gekennzeichnet, so
- Pius XI. (1922 bis 1939) mit »Unerschrockener Glaube«,
- Pius XII. (1939 bis 1958) als »Engelgleicher Hirt«,
- Johannes XXIII. (1958 bis 1963) als
»Hirt und Schiffer« und
- Paul VI. mit »Blüte der Blüten«.
Während andere katholische Theologen glauben, daß auch diese Devisen nach Belieben vertauscht werden können, ist Erzbischof Jaeger der festen Überzeugung, daß der anonyme Weissager aus dem 16. Jahrhundert beispielsweise die Bedeutung Roncallis klarer vorausgesehen hat als irgendein Katholik des 20. Jahrhunderts zu Beginn des Johannes-Pontifikats.
Den Beweis führt der Paderborner Erzbischof in einer überaus bilderreichen Sprache: Johannes XXIII. habe nicht nur das »biblische Gleichnis vom Guten Hirten ... zum Programm seines Pontifikats gemacht«, sondern auch »das Schifflein Petri in Wahrheit als guter Hirt hinausgeführt auf die hohe See, mitten hinaus in das von Stürmen bewegte Meer der modernen Menschenwelt, durch die Wogen der sich überstürzenden Entwicklungen unserer modernen Gesellschaft hindurch«.
Und: »Er hat die ganze Menschheit aufgerufen, das Rote Meer des Indifferentismus zu durchschreiten.«
Über Paul VI. wagte Jaeger nur die vergleichsweise zurückhaltende Vermutung, dessen Spruch »Blüte der Blüten« dürfe wohl als »Hinweis auf die innere Erneuerung der Kirche und ein neues Aufblühen des christlichen Lebens auf Grund des ökumenischen Konzils« gedeutet werden.
Wie sein Vorautor Troll eine »einigermaßen sichere Interpretation der noch ausstehenden Devisen« nicht wagte, scheute auch der Paderborner Erzbischof schärfere Ausblicke in die Zukunft.
Jaeger warnte lediglich davor, etwa den Weltuntergang nach den Weissagungen berechnen zu wollen.
Der anonyme Quasi-Prophet hatte nämlich 1590 angekündigt, auf den Papst der »Blüte der Blüten« würden nur noch vier Heilige Väter folgen. Der letzte werde Petrus II. heißen.
Abergläubische Katholiken, die dem von Jaeger verehrten Zukunftsdeuter aufs Wort vertrauen, müssen deshalb ähnlich wie die Zeugen Jehovas mit dem Jüngsten Gericht noch vor dem Jahre 2000 rechnen.
* Hildebrand Troll: »Die Papstweissagungen des heiligen Malachias«. Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg; 96 Seiten; 5,80 Mark.
Dogmatiker Rahner
Ist Papst Paul VI ... Erzbischof Jaeger
... die »Blüte der Blüten«?