Zur Ausgabe
Artikel 18 / 55

BAYERN / AFFÄREN Wunder im Fort

aus DER SPIEGEL 23/1968

Die Besetzung ist übersichtlich wie bei einem Thoma-Einakter: 1 niederbayrischer Bauunternehmer, 1 amtierender Minister, 1 pensionierter Steueramtmann, 1 Notariatsinspektor aus Ingolstadt, 1 Ministerialrat aus München, 1 Bundeswehrhauptmann und diverse Landtagsabgeordnete.

Doch das Stück ist verzwickt, denn es handelt vom wirklichen Leben: von Staatsgrundstücken und Steuergeldern, von notariellen Verträgen und parlamentarischen Anfragen, von Spezis und Sozis. Und zur Entflechtung des skandalverdächtigen Knäuels leistet sich Bayerns 204-Mann-Parlament zum 18. Male in seiner Nachkriegsexistenz einen Untersuchungsausschuß -- mit strafprozessualen Vollmachten: Es darf geschworen werden.

Was Eide transparent machen sollen, sind Transaktionen des Freistaats Bayern: Die mittelalterlichen Befestigungsanlagen rund um Ingolstadt, von Bayern-König Ludwig I. im vorigen Jahrhundert renoviert, von den Amerikanern 1945 geschleift, waren in den fünfziger Jahren an Interessenten verkauft worden -- und zwar, wie die in Bayern opponierende SPD meint, »um einen Pappenstiel«.

Nach der landesüblichen Inkubationszeit von etwa einem Jahrzehnt reiften die Grundstücksgeschäfte des Freistaats zur Affäre. Als erster stocherte der Ingolstädter SPD-Landtagsabgeordnete Wilhelm Schneider, 52, zu Beginn dieses Jahres in dem Trümmerterrain rund um seine Heimatstadt und fand »eine Eiterblase«.

Seinen Fund brachte Schneider in einer Anfrage vors Parlament. Dort stellte sich heraus, daß der Freistaat laut Vertrag vom 13. Mai 1959 das 7,7 Hektar große Fort Haslang für 30 000 Mark an einen gewissen Maier verkauft hatte. Durchschnittspreis: 39 Pfennig pro Quadratmeter.

Der aus Niederbayern stammende, in München residierende und der CSU nahestehende Diplom-Ingenieur Hanns Maier, nebenher auch Bankier und großherzoglich luxemburgischer Konsul, über das erworbene Land: »Eine Mondlandschaft voller Wälle, Gräben, Festungsstücken über und unter der Erde, wahrscheinlich auch noch mit Munitionslagern.«

Auf dem preisgünstigen Terrain sollten Sozialwohnungen gebaut werden. Maier: »Ich habe sogar eine Bebauungsverpflichtung eingehen müssen.«

Tatsächlich enthielt der Vertrag einen Passus, wonach der Staat das Grundstück zum gleichen Preis zurückerhalten kann, falls Maier nicht baut oder das Fort weiterverkauft. Doch bei genauerem Hinsehen besagt der Vertragstext genau das Gegenteil.

Wie sich nun vor dem Untersuchungsausschuß herausstellte, hatte der mittlerweile pensionierte Steueramtmann Karl Neumayer seinerzeit bei der Abfassung des Vertrags an entscheidender Stelle das Wort »nicht« ausgelassen. Der zuständige Referent im Finanzministerium, Volkmar Hell: »Ich kann nicht sagen, wie es zu dieser Fehlleistung gekommen ist.« Vertragsverfasser Neumayer kann es auch nicht: Laut amtsärztlichem Zeugnis ist er nicht vernehmungsfähig.

Unter Anleitung Hells wurde seinerzeit zur »Reparatur dieses Mißverständnisses« ein Zusatzvertrag aufgesetzt. Doch anstatt die Sache wieder ins Lot zu bringen, milderte die Novelle vom 13. Juni 1959 die Auflagen für Maier noch weiter. Sollte nämlich nach ursprünglicher Absicht das Wiederkaufsrecht des Staats aufleben, falls bis 1. Mai 1961 keine Sozial-Rohbauten auf dem Gelände stünden, so galt nunmehr bereits »die Einplanierung des Geländes als Inangriffnahme« der Bauarbeiten.

Und noch während der Abfassung des zweiten Vertrags geschah etwas, das die Münchner »Abendzeitung« als »ein Wunder« qualifizierte. Unversehens und -- laut Maier -- unbestellt näherte sich die Leichte Pioniergerätekompanie 762 dem Fort Haslang und begann dort -- Planieren zu üben. Sie vollbrachte mit Baggern und Planierraupen ein Gratis-Werk, dessen Wert Maier bei anderer Gelegenheit auf 900 000 Mark beziffert hatte.

Bundeswehrhauptmann Ochlast, der damalige Chef der Pioniereinheit, erläuterte vorletzte Woche vor dem Untersuchungsausschuß, wie die Pioniere just auf Malers Grundstück gekommen waren: »Es war für unsere Zwecke bestens geeignet.« Die Genehmigung zum Planier-Manöver erteilte nach Ochlasts Erinnerung ein »Mann«, dessen Namen und Dienststelle er freilich vergessen habe. Ochlast: »Alles wurde mündlich vereinbart.«

Auf den Besitzer des Grundstücks stieß Ochlast erst später und eher zufällig: »Da war ich zunächst sauer.« Doch es renkte sich ein. Wie der Pionier-Hauptmann vor dem Ausschuß bekundete, gab Grundherr Maier nicht nur die weitere Erlaubnis zum Manöver, sondern spendierte überdies eine Brotzeit und Zigaretten. Und auch Maier kann sich noch an eine Nachtübung von damals erinnern: »Da hat es gekracht und gedonnert.«

Und auch mit der zweiten Vorbehaltsklausel im Staats-Vertrag kam Maier zurecht. Nach Darstellung des Abgeordneten Schneider verkaufte

*Mitglieder des bayrischen Untersuchungsausschusses.

Maier nämlich das Areal am 20. Juli 1961 an die »Gesellschaft für Eigenheim- und Wohnungsbau mbH« (EWO) -- »für fast sechs Millionen Mark«. Maier, der sich mit einer Strafanzeige wegen Verleumdung und Geschäftsschädigung revanchierte: »Alles bodenlose Lügen und Ausgeburten der Phantasie.«

Gewissermaßen hat Maier recht. Denn Haupteigentümer der Firma EWO ist ebenfalls Hanns Maier. Und im Nachvertrag vom Juni 1959 war auch diese Spezialform der Eigentumsübertragung mit der Formel »wirtschaftspersönliche Identität« schon berücksichtigt. Dieser Teilaspekt der ganzen Affäre reduziert sich somit zu einem steuerrechtlichen Problem. Finanzminister Konrad Pöhner (CSU): »Über die möglichen Konsequenzen können wegen des Steuergeheimnisses keine Angaben gemacht werden.«

Schließlich gab Maier den parlamentarischen Inquisitoren eine nützliche Anregung: »Im übrigen sollte man eine Liste all jener Leute aufstellen, die um Ingolstadt herum genauso billigen Staatsgrund kauften.«

Die Landtagsfraktionen beherzigten den Ratschlag. Thema des einberufenen Untersuchungsausschusses ist nämlich nicht mehr Maier allein, sondern »die Grundstücksveräußerungen des Staates an Dritte im Stadt- und Landkreis Ingolstadt in den Jahren 1955 bis einschließlich 1965«.

Hinter den Zeugen im Landtagssitzungssaal im Münchner Maximilianeum stapeln sich mittlerweile Aktenberge über 293 Grundstücksgeschäfte des Staats. Ausschußvorsitzender Alfred Seidl (CSU) will die Unterlagen mit wissenschaftlicher Akribie sichten und aufschlüsseln: nach der Bezeichnung im Grundbuch, nach Größe, nach Beruf des Käufers, dem Datum des Vertragsabschlusses, nach notariellen Urkunden, nach Kaufpreis, Quadratmeterpreis und Verwendungszweck.

Nicht nur wegen der von Seidl angestrebten Sorgfalt in der Wertung des reichen Materials ist ein Ende des Verfahrens vorerst außer Sichtweite. Auch nach den Erfahrungen mit früheren Untersuchungsausschüssen, in denen die kontrastierenden Meinungen nach altem bayrischem Brauch gelegentlich auch durch Meineide abgestützt wurden, dürfte der Papierkrieg um die neun Forts und die drei Vorwerke von Ingolstadt verlaufen wie die Schlacht von Verdun: im unbeweglichen Stellungskampf.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 55
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren