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»WUTANFALL IM TODESHAUS«

aus DER SPIEGEL 45/1966

Wer einen Menschen zum Henker bestellen will, muß wissen, daß er Anstiftung zum Selbstmord begeht, weil viele Henker nicht nur andere, sondern schließlich auch sich selbst richten. Eindringlich zeigt sich darin die tragische Verbundenheit von Henkern und Mördern: Wie ein großer Teil der Mörder, begeht auch ein großer Teil der Henker Selbstmord. Bei Henkern ist das sogar so häufig, daß man geradezu von einer Berufskrankheit sprechen kann.

Der sanfte John Ellis (ein britischer Henker), der nach seinem Rücktritt wieder Friseur geworden war, schnitt sich 1932 mit einem Rasiermesser die Kehle durch - eine typische Selbstmordtat von Geisteskranken. Einer seiner Vorgänger im Amt, Billington, brachte sich und seine Familie 1925 um. Der deutsche Scharfrichter Julius Krautz, der einen seiner Gehilfen erschlagen hatte und dafür wegen Totschlags zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden war, nahm sich im Zuchthaus das Leben. Der deutsche Scharfrichter Schwietz erschoß sich, sein Nachfolger Spaethe aus Breslau tötete sich 1925. Selbst der geachtete und geehrte »Pepi« Lang endete 1936 durch Selbstmord.

Nicht jeder geistig gesunde Henker bleibt geistig gesund. Duffy berichtet davon, daß »einige« der Scharfrichter, denen er begegnete, »verrückt« geworden seien und in einer Heilanstalt untergebracht werden mußten. Von Hentig schreibt in seinem Aufsatz »Der gehängte Henker": »Am ausführlichsten hat ein einsichtiger Gefängnisarzt die Krankheitsgeschichte von Hilbert, dem Vorgänger von Elliot in New York und anderen östlichen Staaten, dargestellt. Von außen war Hilbert ein kräftiger, gesunder Mann mit besten Nerven. Dann traten Depressionen auf. Obschon der Arzt von weiterer Tätigkeit abriet, erlag er immer wieder der 'furchtbaren Faszination' seines Amtes. Vor einer Hinrichtung brach er völlig körperlich zusammen. Er glaubte vergiftet zu sein. Im Todeshaus hatte er Wutanfälle, verweigerte dem Direktor den Gehorsam und schleuderte die Elektroden durch den Raum. Da nahm er plötzlich, als neun Todeskandidaten auf ihn warteten, seinen Abschied und erschoß sich im Keller seines Hauses.« Der Münchner Scharfrichter Scheller starb 1880 in einem Irrenhaus. Der russische Henker Pilipiew verfiel 1920 in geistige Umnachtung und starb 1934.

Die Last der furchtbaren Tätigkeit führt nicht selten zu Zwangsneurosen. Der Berliner Rechtsanwalt Paul Ronge erzählt, daß er einen Guillotine-Henker als Mandanten gehabt habe, der ständig mit einem Duft von »Rotklee« überparfümiert gewesen sei. Dieser Henker nannte als Erklärung dafür: »Ich werde den Geruch nicht los, deshalb diese Menge Parfüm.« Gemeint war der Blutgeruch nach einer Enthauptung, der Geruch, »der unvermeidlich und penetrant ist und der die körperliche Übelkeit bis zu den elementarsten Ausbruchsformen auslöst« (Ronge).

Der französische Henker Louis Deibler, der in der Zeit von 1855 bis 1898 über tausend Menschen enthauptet hat, wurde von einem Waschzwang befallen, nachdem sich bei einer Hinrichtung »eine zwei Meter hohe Blutfontäne« über ihn ergossen hatte.

Scharfrichter Deibler, Ehefrau

Waschzwang noch dem Köpfen

Kurt Rossa
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