David im Sauerland: Wer will verhindern, dass Flüchtlinge hier leben?
In was für einem Land leben wir eigentlich?
Von
David Ehl

David in Düsseldorf:





Dieser Beitrag wurde am 26.04.2016 auf bento.de veröffentlicht.
Sechs Monate verbringt David Ehl, 27, in Israel. Zurück in Deutschland erkennt er seine Heimat nicht mehr wieder: Rechtspopulisten hetzen gegen Flüchtlinge, die AfD drängt in die Politik, Neonazis zünden Unterkünfte an. David will das verstehen: Was ist es, das Deutschland gerade verändert? Wovor haben so viele Menschen Angst? Um Antworten zu finden, reist David durch Deutschland und berichtet von seinen Erlebnissen. Eine Kooperation von bento und Correctiv.
Für denjenigen, der zu Aktionismus neigt, hält die deutsche Sprache eine Redewendung bereit: "Der fackelt nicht lange." Diese Wendung hat für mich in den letzten Monaten einen faden Beigeschmack, weil ich immer häufiger von Menschen las, die das allzu wörtlich nahmen. Das BKA zählte 2015 mehr als 1000 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, das sind drei pro Tag.
Was solche Anschläge bewirken, das will ich wissen.
Dazu fahre ich ins Sauerland, verabrede mich mit dem Bürgermeister von Kirchhundem, Andreas Reinéry. In seiner Gemeinde gab es bereits vier Attacken auf dieselbe Unterkunft, bevor auch nur ein Geflüchteter seinen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte.
Als ich die Unterkunft im Ortsteil Rinsecke, in der ich mit Reinéry verabredet bin, betrete, steigt mir sofort der Geruch von verbranntem Holz in die Nase. In der Treppe klafft ein schwarzes Loch, einige Stufen sind verkohlt, andere fehlen ganz.
Eine Leiter überbrückt die Lücke, aus dem Obergeschoss plärrt das Radio eines Handwerkers. Wenn man an der Treppe vorbei und nach links ins Zimmer geht, sieht man die Scherben des Fensters, durch das die Brandstifter im Februar eingestiegen sind.
Seit die Gemeinde vor einem Jahr beschloss, das leerstehende Haus am Ortsrand für Geflüchtete herzurichten, hatten Unbekannte es zweimal unter Wasser gesetzt, ein anderes Mal hatte jemand ein Feuer auf der Treppe entfacht, das aber von selbst wieder ausgegangen war.
Wer will mit so viel krimineller Energie verhindern, dass Flüchtlinge im Fachwerkhaus in Rinsecke einziehen?
Das ist auch heute noch nicht klar. Vielleicht, sagt Reinéry, gebe es ganz andere Gründe: "Die Eigentümer sind nicht von hier. Sie sind vermögend und gleichzeitig nicht als Rinsecker assimiliert. Das verursacht Neid."
Die Frage, ob seiner kleinen Gemeinde nach einer derartigen Anschlagsserie ein fremdenfeindliches Stigma anhafte, verneint er vehement. "Sonst hätte es Hinweise auf die fremdenfeindliche Substanz gegeben, ein Flugblatt oder eine Schmiererei."
Die kahlen Wände des Raumes werfen den Hall seiner Stimme zurück, die Tapete liegt zusammengeknüllt auf dem Boden. Arbeiter sind auch an dieser Stelle dabei, das Haus wieder bezugsfähig zu machen. In anderen Räumen sind die Wände noch verrußt, die Spinnennetze in den Wandecken schwarz eingefärbt.
Andreas Reinéry ist gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen und sofort wieder im Arbeitsmodus, redet mit der Presse und den Arbeitern im Haus. Reinéry ist ein sportlicher Typ, lässiges Sakko, Lederschuhe, kurzes Haar. Der 51-Jährige ist seit knapp zwei Jahren Bürgermeister von Kirchhundem, seitdem wechselt der siebenfache Vater zwischen den beiden Wohnsitzen in Morsbach und Kirchhundem hin und her.
In seiner Amtszeit kam die Flüchtlingskrise auf. Er sagt, er habe die Neuankömmlinge in der Gemeinde immer als Chance kommuniziert.
Die 37 Ortsteile der Gemeinde spürten bereits heute den demografischen Wandel, in den vergangenen acht Jahren seien rund 1000 Bewohner abgewandert. Zu den 12.000 Alteingesessenen sind im vergangenen Jahr etwa 250 Geflüchtete gekommen.
"Je peripherer die Lage, umso schwieriger ist es, Integration zu gestalten", erklärt Reinéry. In manchen Orten halte pro Tag nur ein Bus, umso wichtiger sei die Anbindung an die Menschen in den Dörfern, etwa in Vereinen.
Reinéry ist optimistisch, rechnet sogar vor, wie Deutschland weit mehr Asylbewerber über die Runden bringen könnte. Einmal habe er eine anonyme Mail bekommen: "Ey, du Flüchtlingsbürgermeister, hau ab!", schrieb jemand.
"Aber das war nichts Substanzielles", sagt Reinéry. Im Gegenteil, sagt er, die Kirchhundemer hätten sich in einer Mahnwache von den Anschlägen auf das Haus in Rinsecke distanziert.
Als nächstes reist David nach Waldbröl. Was er dort erlebt und was die Menschen ihm erzählen: Lies es bald auf bento.
Die Deutschlandreise von David Ehl ist eine Kooperation mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Die Reise wurde über ein Crowdfunding, von der Zeit-Stiftung und der Herbert-Quandt-Stiftung mitfinanziert.
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