RECHTSRADIKALE Zäh wie Leder
Im Wirtshaus »Tannenhof« zu Lentföhrden bei Hamburg schwor Michael Kühnen, 23, Gauführer der »Aktionsfront Nationaler Sozialisten« (ANS), hinter verbarrikadierten Fenstern seine Zuhörer auf Defensivtaktik ein: »Wir schlagen nie als erste.«
Als dann, vorletzten Samstag nachmittags um fünf, Kripobeamte die »Zentrale Kundgebung« der ANS beenden wollten, gingen die hundert Neonazis zur Offensive über. Dem Einsatzleiter schlugen sie ein Stuhlbein über den Kopf, seine Kollegen in die Flucht.
Zweimal versuchten Polizisten das besetzte Gasthaus zu stürmen, vergeblich. Mit Schlagstöcken und Stühlen. Flaschen, Gläsern und Aschenbechern hielten die rechten Rocker, zäh wie Leder, das Lokal. Erst als Verstärkung und Schutzkleidung herbeigeschafft waren, machten 60 Beamte der »Gerechtigkeit für Adolf Hitler« fordernden Versammlung mit Gewalt ein Ende.
Auf der Strecke im demolierten Tannenhof blieben rund 20 zum Teil schwerverletzte Polizisten und Systemgegner; Schlagstöcke, ein Messer und eine »Adolf-Hitler-Gedenktafel« wurden beschlagnahmt, 20 Teilnehmer der Zusammenkunft festgenommen.
Art und Umstände der Saalschlacht, die etwa dem »Hamburger Abendblatt« wie eine der »schlimmsten Nachkriegsauseinandersetzungen zwischen Neo-Nazis und der Polizei« vorkam und an »Schutzstaffeln und Sturmabteilungen« erinnerte, repräsentie-
* 2.v. l.; ANS-»Gauführer Kühnen.
ren das immer ungestümere Anrennen verbohrter Rechtsradikaler gegen den »Volkskrebs Demokratie« und die zunehmenden Mühen der Staatsschützer, mit ihnen fertig zu werden. Ebenso dreist wie brutal setzen sich verschroben-gefährliche Rechtsextremisten in Szene, und nur schwer gelingt es Verfassungsschützern, sich auf den Aktionsdrang rechter Ultras einzustellen.
Denn statt der Einzelgänger, die Hakenkreuze auf Hauswände schmierten, bestimmen nun rund zwanzig militante Zirkel nach ANS-Muster mit rund 1000 Mitgliedern das Geschehen auf Rechtsaußen. Am Dienstag letzter Woche, drei Tage nach dem Zusammenstoß von Lentföhrden« räumte erstmals im Bonner Staat ein Innenminister ein, daß nicht nur von linken Terror-Trupps, sondern auch von Neonazis Gefahr drohe:
Obschon er von der »ganz überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung« abgelehnt werde, so Minister Gerhart Baum bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichtes, müsse »der Rechtsextremismus als Gefahrenherd für die öffentliche Sicherheit in Rechnung gestellt« werden.
Hatten Baums Vorgänger die rechten Systemüberwinder unter Hinweis auf den Niedergang der »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD), die seit 1969 (28 000 Mitglieder) auf 9000 Anhänger geschrumpft ist, meist als ungefährlich dargestellt, konstatierte Bonns oberster Staatsschätzer nun einen Aufschwung abseits von der NPD: Aufgrund »zunehmender Nachfrage« stieg der Umsatz von NS-Platten, -Büchern und -Filmen; die Wochen-Auflage rechtsradikaler Blätter kletterte auf fast 190 000, und immer häufiger begehen Rechtsradikale auch Straftaten: 1977 in 616 Fällen, fast doppelt so oft wie im Vorjahr.
Zwar wurden die Täter aus dem rechten Untergrund noch meist gefaßt, sind die ersten mutmaßlichen Bank- und Waffenräuber verhaftet (SPIEGEL 20/1978); zwar stellen sich, wie gehabt, neonazistische Kämpfer in ihren konspirativen Bemühungen nach RAF-Muster noch immer dümmer an, als die Polizei erlaubt.
Doch während sich Fahndern der Untergrund der BM-Nachfolger einigermaßen erhellt, tappen sie auf der rechten Szene neuerdings schon mal im dunkeln. Da sind manche Banküberfälle nicht mehr zweifelsfrei einem bestimmten Untergrund zuzuordnen, werden Terror-Taten, die sich später als von rechts gesteuert erweisen, zunächst mal RAF-Aktivisten angelastet. Und zuweilen können rechte Systemgegner wie der ehemalige Rechtsanwalt Manfred Roeder auch ins Ausland abtauchen, weil die schwache Erkenntnislage den Zugriff erschwert.
Zufall und, wie gehabt, die Einfalt ihrer rechten Klientel waren notwendig, um Verfassungsschützern den Weg zum Tannenhof-Treffen der ANS zu weisen: An der Autobahnraststätte Stillhorn bei Hamburg hatten sich die Neonazis mit 20 Journalisten verabredet. um ihnen, so ANS-Führer Kähnen, »Gelegenheit zu geben, über eine Bewegung zu schreiben, von der man sonst nichts erfährt«.
»Per Gesichtskontrolle«, so ein Teilnehmer, wählten die ANSler eine Handvoll Journalisten aus und baten sogleich um Bares: Wer bei der Enthüllung einer »Adolf-Hitler-Gedenktafel« dabeisein wolle, möge einen Obolus von 20<) Mark entrichten. Eine Illustrierte, ein Kamerateam im Auftrag des ZDF-»Kennzeichen D« und die Kollegen von ARD-» Panorama« fanden den Eintrittspreis in Ordnung: »Für uns«, so Panorama-Chef Rudi Lauschke, »war Bilder haben wichtiger als nicht haben.«
Einer, der das Geld gut gebrauchen könnte, geleitete den Troß von Rechten. Redakteuren und Observierenden weiter. »Mit 150 Sachen über Ampeln« (ein Staatsschützer) dirigierte Edgar Geiss, gerade zu 9600 Mark Geldstrafe verurteilt, weil er dem 55-Polizeichef Herbert Kappler per Hitler-Gruß die letzte Ehre erwiesen hatte, die Gäste zum Tannenhof.
Doch statt der erwarteten Handvoll Hamburger ANS-Mitglieder sahen sich die ans Ziel geführten Fahnder einer runden Hundertschaft rechtsradikaler Aktivisten gegenüber. Erschienen waren die Repräsentanten nahezu aller neonazistischen Zirkel aus dem gesamten Bundesgebiet -- »Kameraden«, so die Begrüßung, »die in allen Gauen unseres Landes wirklich für Deutschland kämpfen«.
Bei soviel rechter Prominenz erkannte der eigens aus Flensburg herbeigerufene Staatsanwalt Geert Morf »Gefahr im Verzuge« und bat, die Versammlung wegen Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen aufzulösen.
Doch die Staatsmacht war der Aufgabe nicht gewachsen. Erst beim Absingen des Deutschlandliedes, als zwei Polizisten schwer, zwei weitere mittelschwer und acht Kollegen leicht verletzt am Widerstand der Versammelten gescheitert waren, sprengte aus dem Hamburger Umland herbeigerufene Schutzpolizei die rechte Runde.
Stunden später waren 19 der 20 Festgenommenen schon wieder auf freiem Fuß, da Haftgründe nicht vorlagen. Für den Staatsanwalt Morf, der nun wegen Landfriedensbruchs ermittelt, ist »bei der Überzeugungsstärke dieser Leute« sicher, »daß die jetzt weitermachen«.
Stimmt. Einen Tag nach der Saalschlacht verkündete Kühnen-Stellvertreter Christian Worch lauthals, man werde die Hitler-Gedenktafel nun »im befreundeten Ausland« enthüllen und dann an einem geheimen Ort aufbewahren.