»Zahlen aus 1001 Nacht«
Im Wasserschloß Gymnich, dem Gästehaus der Bundesregierung, ging es orientalisch zu. Beim Feilschen um Bonner Millionen für den Frieden in Nahost versuchten Gast und Gastgeber wie in einem Basar zunächst einmal zu erkunden, was der eine wirklich haben, der andere wirklich geben will.
Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat, der auf dem Rückweg vom historischen Friedensschluß mit Israel in Washington am Donnerstag vergangener Woche in Bonn vorsprach, bekundete feierlich, wie tief seine Gefühle der Freundschaft für die Deutschen und ihren Kanzler seien, pries Größe und Großmut des westdeutschen Regierungschefs. Helmut Schmidt hingegen spielte die Rolle des armen Mannes.
Wenig beeindruckt von den Schmeicheleien des Herrschers aus dem Morgenland, lamentierte der Kanzler über die leeren Staatskassen. Für einen wirklichen Frieden im Nahen Osten sei der Bundesregierung zwar nichts zu teuer. Doch leider seien die deutschen Ressourcen nahezu erschöpft.
Schmidt knausert, weil er meint, die Bundesrepublik stoße an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Es gebe im Bundeshaushalt kaum noch Luft für großzügige Spenden. Den ohnehin hochverschuldeten westdeutschen Staat möchte der Kanzler nicht zugunsten ausländischer Bittsteller weiter belasten.
Gegenüber Sadat verwies Schmidt darauf, daß sein Land mit der Hilfsaktion für die bankrotte Türkei schon einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der Region am östlichen Mittelmeer leiste.
Tatsächlich ist der Bundeshaushalt durch die Hilfe für Ankara erheblich strapaziert. Zusätzlich zu den 90 Millionen Dollar Entwicklungshilfe muß Bonn vom 500-Millionen-Dollar-Programm des Westens allein rund 150 Millionen zahlen -- aufzubringen nur über einen Nachtragshaushalt. Weitere 100 Millionen Türken-Dollar werden aus Kreditbürgschaften fällig.
Wie schon in der Vorwoche beim Gespräch mit Ägyptens Vizepräsident Husni Mubarak vermied es der Kanzler auch am vergangenen Donnerstag in Gymnich sorgsam, Zahlen oder wenigstens Größenordnungen einer zusätzlichen Hilfe für Kairo zu nennen.
Ernüchtert nahm Ägyptens Ministerpräsident Mustafa Chalil die Erkenntnis mit, daß die Hoffnung, aus der Bundeskasse Milliardenbeträge zu erhalten, wohl weiter schöne Illusion bleiben wird. Chalil: »Es war zäh und zermürbend. Schmidt hat eine feste Zusage gemacht, etwas zu tun. Aber es gab nichts Konkretes.« Ein Schmidt-Berater: »Wir sind deutlich geworden. Das waren Zahlen aus Tausendundeiner Nacht.«
Die Ägypter hatten vor Schmidt mit einem Hilfsprogramm des Westens von zehn bis 115 Milliarden Dollar, verteilt auf fünf Jahre, jongliert. Die Bundesrepublik sollte ein knappes Drittel -zwischen drei und fünf Milliarden Dollar -- übernehmen. In Kulissengesprächen offerierten Bonner Regierungsbeamte unterderhand maximal eine viertel Milliarde Dollar.
Schmidt will auch deshalb die Bonner Hilfsgelder so knapp wie möglich halten, weil er sich gegen die ihm von US-Präsident Jimmy Carter zugedachte Rolle wehrt, die Vormacht Westeuropas zu spielen. Er sieht die Gefahr, daß sich die Amerikaner dann aus unangenehmen Verpflichtungen auf dem Kontinent zurückziehen könnten.
Des Kanzlers Verhandlungsposition beim Sadat-Besuch war gleichwohl schwierig. Denn die von ihm gewünschte gemeinsame Hilfsaktion der Europäischen Gemeinschaft war gerade gescheitert. Frankreich und Großbritannien weigerten sich mitzumachen. Die Bundesrepublik aber, ebenso wie Japan von Präsident Carter ohne Rücksprache als Finanzier des Friedens in die Pflicht genommen, konnte nicht mehr zurück.
So sollen nun die drei führenden Industriemächte der Welt und der Ölriese Saudi-Arabien die nahöstliche Hilfskasse allein füllen. Die Koordination der Zahlungen übernimmt die Weltbank. Bonn muß berappen, mag es sich auch noch so zieren.
Unklar ist lediglich noch, wieviel Geld in welcher Zeit in welche Projekte gesteckt werden soll. Bislang gibt es weder einen ägyptischen noch einen amerikanischen Plan für die Sanierung des Nil-Landes.
Sadat versprach in Gymnich, demnächst geeignete Vorschläge zu machen und sich in seiner Heimat vor allem um ein freundlicheres Klima für private Investoren zu bemühen.
Doch was die Ägypter haben wollen, wissen sie schon genau. Premier Chalil hatte seine »Shopping-list« dabei, wie Kanzlerberater abschätzig den Wunschzettel der Ägypter nannten. Geschätztes Volumen: 30 Milliarden Dollar. Von Fertighäusern bis zu teurem Landwirtschaftsgerät enthielt der Katalog alles, was das Land für einen bescheidenen Wohlstand braucht.
Ganz obenan auf der Liste stand das Verlangen nach umfangreichen Lebensmittelgeschenken -- wohl der einzige Posten, der bald abgehakt sein könnte. Sadat will die Nahrungsspenden aus der westlichen Überschußproduktion an seine Landsleute verkaufen und mit dem Erlös die Infrastruktur des Landes verbessern.
Doch auf welche Summe Bonn und Kairo sich schließlich einigen mögen, für die Bundesregierung wird es dabei nicht bleiben. Schon haben auch die Israelis zusätzliche Wünsche angemeldet. Und Schmidt weiß, daß er hier ebenfalls zulegen muß. Beunruhigt verfolgte das Kanzleramt letzte Woche, wie Israels Bonn-Botschafter Yohanan Meroz in einer Interview-Serie den Deutschen eine »Chance« zumaß, sich am Frieden in Nahost zu beteiligen.
Bonner Ängste, ein allzu rasches und allzu großes Engagement für die Partner des nahöstlichen Separatfriedens müsse die übrige arabische Welt gegen die Bundesrepublik aufbringen und könne gar die Ölversorgung der Bundesrepublik gefährden, suchte Sadat letzten Donnerstag zu zerstreuen.
Schon in kurzer Zeit, prophezeite der Präsident, werde die arabische Ablehnungsfront abbröckeln und die Friedenspolitik Ägyptens breite Unterstützung auch bei den Gegnern von heute finden. Sadat erbittert über die arabischen Scharfmacher: »Diese Helden, die mir Steine in den Weg legen, sollen sie doch mehr holen, als ich geholt habe -- nichts werden sie erreichen.«
Hanseat Schmidt blieb skeptisch und konterte Sadats Werben um Bonner Großzügigkeit nach alter Kaufmannsart: Geld nur gegen Leistung. Die Bonner Hilfsmittel sollen peu à peu fließen -- parallel zu den Fortschritten beim Ausbau des israelisch-ägyptischen Separatfriedens zu einer Friedensregelung für den ganzen Nahen Osten.
Resigniert deutete Sadat am Freitagabend an, daß er von Bonn weniger bekommt, als er sich versprochen hatte. Doch seine Niedergeschlagenheit verbarg er hinter orientalischer Höflichkeit: »Freundschaft hängt nicht nur vom Gelde ab.«