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WAHLKAMPF Zahn gezogen

Gegen den Willen des Bundesforschungsministeriums und trotz der Proteste vieler Wissenschaftler soll der Bochumer Sternwart und Sozialdemokrat Heinz Kaminski wieder Millionen-Zuschüsse erhalten.
aus DER SPIEGEL 13/1976

Erstaunen und Befremden« übermittelte brieflich Professor Hans-Heinrich Voigt, Direktor der Universitäts-Sternwarte in Göttingen, dem CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Bonner Haushaltsausschusses Albert Leicht. »Schwere Bedenken« brachte auch Professor Theodor Schmidt-Kaler, Direktor des Astronomischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum, in einem Schreiben an Bundesinnenminister Werner Maihofer vor.

Bedenken und Befremden äußerten die beiden angesehenen, von zahlreichen Fachkollegen unterstützten Astronomen darüber, daß dem »Institut für Weltraumforschung« des Bochumer Astro-Didakten Heinz Kaminski neue Millionen zufließen sollen. Denn im letzten Jahr erst hatte Forschungsminister Hans Matthöfer die weitere Finanzierung der städtischen »Volkssternwarte« aus Bundesmitteln gestoppt, weil die Forschungsresultate von »Kap Kaminski« (Lokalpresse) von Experten als minimal klassifiziert worden waren (SPIEGEL 19/1975).

Auch internationale Institutionen dementieren oder ignorieren den Kap-Kommandanten -- das European Space Operations Centre in Darmstadt wie die US-Weltraumbehörde Nasa ("Kein

formelles Abkommen mit Herrn Kaminski über irgendeinen langfristigen oder ständigen Austausch von Information"). Das britische Wissenschaftsjournal »New Scientist« attestierte Kaminski gar »offensichtliche Unkenntnis der vorhandenen Technologie«.

Dennoch soll nun über der glänzenden »Radom«-Kuppel in Bochum-Sundern, wo Kaminski für rund 20 Millionen Mark staatlicher und kommunaler Unterhaltshilfe seine Propagandazentrale etablierte und mal die Invasion von Mondbakterien, mal den Aufprall von Saturn-Raketenresten südlich des Mains prophezeite, wieder ein warmer Regen aus Steuermitteln niedergehen. Allen Professoren-Protesten zum Trotz spendiert zunächst das dem Bonner Innenministerium unterstehende Umweltbundesamt in Berlin Kaminski 486 000 Mark zur »Untersuchung von Umwelteinflüssen mit Satellitendaten«. Egon Bahrs Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt 100 000 Mark für gesammelte Daten über Wasservorräte in überseeischen Trockengebieten.

Und bis April soll über einen Antrag des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie entschieden werden, Kaminski mit rund zwei Millionen Mark und einem ständigen eigenen Haushaltstitel endgültig über Wasser zu halten. »Solch ein Vorgehen«, so Voigt an Leicht, sei ohne vorhergehende Befragung in- und ausländischer Gutachter »nicht zu verantworten«.

Für den Widerspruch zwischen dem harten Urteil der Fachwelt und dem einträglichen Wohlwollen politischer Gremien steht ein Mitbürger des Volkssternwarts. Der Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Liedtke, Vorsitzender des SPD-Parteirats und Mitglied des Fraktionsvorstands« wirbt bei Bonner Genossen intensiv um Kapital für Kaminski. Liedtke weiß, was er an dem Himmelkundler hat: Das im lokalen Bereich populäre SPD-Mitglied Kaminski« in dessen Kuppelhalle mitunter der SPD-Ortsverein tagt und auch mal Parteipartys gefeiert werden, hat sich stets als einsatzfreudiger Wahlhelfer erwiesen.

Für die Bundestagswahl am 3. Oktober hat überdies Liedtke, der den Wahlkreis 117 seit 1965 stets direkt eroberte« ernsthafte Konkurrenz bekommen: CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf. Der einstige Bochumer Hochschulrektor, der seinen Sommerurlaub mit Wahlkampf gegen den früheren Volksschulrektor Liedtke ausfüllen will: »Mich reizt die persönliche Herausforderung gerade in einem Wahlkreis« der für die SPD so sicher zu sein scheint.«

Abgeordnete der Union wittern deshalb hinter dem Berliner Antrag, der Kaminski in einer »Nacht-und-Nebel-Aktion zugeschanzt« worden sei, einen »eklatanten Fall von Genossen-Protektion«. Lind die CDU behauptete, aus dem Palais Schaumburg sei dem freidemokratischen Bundesinnenminister »signalisiert« worden« »daß der Kanzler selbst dies wünsche«, um einen einflußreichen Genossen bei Laune zu halten.

Unstreitig ist, daß vor der Geldzuteilung weder Sachverständige noch beteiligte Institutionen gehört wurden. Minister Matthöfer, verärgert darüber, daß Kaminski nun doch und über seinen Kopf hinweg gefördert wird, war gegen das Projekt -- weil man, um den Verschmutzungsgrad der Luft in Ballungsgebieten zu messen, »jeden Ort in der Bundesrepublik mit dem Fahrrad erreichen« könne, die kostspielige Auswertung von Satellitenphotos mithin nicht nötig sei. Zudem liefert das dicht beim Berliner Umweltbundesamt gelegene Meteorologische Zentralinstitut längst entsprechende Bilder von hervorragender Qualität -- und nun sollen ihm die Mittel gekürzt werden.

Zur Verteidigung seines Schützlings verweist Liedtke auf ein vom Haushaltsausschuß bestelltes Gutachten des Frankfurter Battelle-Instituts, das dem Bochumer Betrieb »hohe Leistungsfähigkeit« bescheinige -- jedoch: keinerlei wissenschaftliche, sondern nur »technische« (65 Prozent) und »informative« (35 Prozent) Aktivitäten. Bei einem internen Hearing vor dem Forschungsausschuß verrissen im Februar Astronomie- und Raumfahrt-Professoren Kaminskis Darbietungen.

Und Minister Matthöfer monierte, daß »die Förderungsziele nicht erreicht, Erfolgs- und Verwendungskontrolle zu gering« seien. Ein Sitzungsteilnehmer: »Der Zahn Forschung wurde ihm endgültig gezogen, er macht jetzt nur noch auf Dienstleistung.«

Ob und um welchen Preis Bonn Kaminskis Dienste endgültig in Anspruch nehmen will, soll daher auch von einem Befund des Bundesrechnungshofes abhängen, der dem bisherigen Verbrauch der staatlichen Mittel sowie allerlei Ungereimtheiten nachgehen soll.

Abgeordnete der Opposition möchten beispielsweise Aufschluß über die hohen Pachtsummen für die Bäuerin Elisabeth Stratmann haben, auf deren Wiesen das »Radom« -- neben Kaminskis Privathaus -- steht. Und geprüft werden sollen auch eine Kaminski-Filiale im schweizerischen Urlaubsort Beatenberg sowie Gerüchte um ein angebliches Nummernkonto des Himmelguckers.

Kaminski weist derartige Anwürfe entschieden von sich und verheißt unverdrossen Sternstunden. Die letzte Kunde aus Bochum kam Anfang März: Der Komet »West« sei mit bloßem Auge zu erkennen und, so gab die »Westdeutsche Zeitung« den wissenschaftlichen Rat des Institutschefs weiter, »empfohlene Blickrichtung für Interessierte: Osthorizont«.

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