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GEMEINSCHAFTSPRAXISS Zartes Blümchen

aus DER SPIEGEL 43/1966

Sechs deutsche Hochschullehrer proben den Aufstand gegen sich selber.

Ihr Anschlag gilt einem der hehrsten Güter ihres Standes: dem gottgleichen Status der Chefärzte an Universitätshospitälern. Und er rührt an die fetteste Pfründe der Hospital-Chefs - die Privatstation.

Ort der Revolution soll die neue medizinisch-naturwissenschaftliche Universität in Ulm sein. Dort will der Internist Professor Ludwig Heilmeyer, 67, seit 20 Jahren Chef der Freiburger Universitätsklinik und jetzt Gründungsrektor in Ulm, zusammen mit fünf anderen Ärzten eine Art Gemeinschaftspraxis mit Gemeinschaftskasse etablieren.

Von Juristen läßt sich das Team zur Zeit einen bürgerlich-rechtlichen Gesellschaftsvertrag entwerfen. Sein Kern: Alle Privathonorare aus der 1. und 2. Pflegeklasse fließen in einen Sammeltopf, aus dem anteilig Quoten an die Mitglieder der Gewinngemeinschaft gezahlt werden.

Für Medizin-Professoren, die sich später für die Ulmer Hochschule anwerben lassen: soll der Beitritt zu der Ärzte-Gesellschaft obligatorisch werden.

Das Ulmer Modell hat Bewunderer. So in Baden-Württemberg, wo Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger lobte. »Durchbruch zu neuen Gedanken. Und sogar in Amerika, wo seit langem die Vielfalt, moderner Heilkunde von Arztgemeinschaften bewältigt wird: US -Professor Cronkite: »Avantgardistische Ideen.«

Aber es wird auch Feinde finden. Dozent Dr. Theodor Fliedner, einer vom Ulmer Honorar-Pool: »Es wird bei den Fachkollegen' einen Sturm geben.« Und ein Stuttgarter Hochschulverwaltungsexperte: »Die Ulmer Herren werden in dieser Sache mit großen Anfeindungen zu rechnen haben.«

Schon vor einem Jahr blies der von Professor Heilmeyer geleitete »Gründungsausschuß« zum Sturm auf Macht und Mammon der Klinikchefs. Ulms künftige Hochschul-Hospitäler sollen

- schon vom Bauentwurf her auf die bislang üblichen Fakultäts- und Institutsgrenzen verzichten und

- nicht mehr dem einzelnen Ordinarius »seine« Station oder »sein« Institut zur Verfügung stellen.

Von amerikanischen Vorbildern angeregt, diagnostizierte damals der Ausschuß: »Die in der Forschung unbedingt notwendige Spezialisierung muß im Unterricht und in der Krankenversorgung durch Integration überwunden werden.« Mithin seien Klinikbereiche zu »Departments« zusammenzufassen, und das »streng hierarchische Direktorialsystem« sei durch ein »Kollegialsystem« abzulösen.

Dank Heilmeyers Gründer-Goodwill ("Ich vereidige mich selbst auf diese

Denkschrift des Gründungsausschusses") geriet der »Ulmer Plan« zum schieren Wunschbild:

- »Die Privatstationen stehen allen Abteilungsleitern und dem (Department-) Vorstand nach dem Prinzip des Belegarztsystems zur Verfügung.«

»Die Einnahmen werden nach Art einer Gemeinschaftspraxis für alle Zentren, Institute und Kliniken nach einem noch zu bestimmenden Schlüssel abgerechnet. Dabei sind die langfristig in der akademischen Verwaltung tätigen Wissenschaftler zu beteiligen.«

- »Zu erwägen wäre auch die Ablösung der Privatpraxiseinnahmen und verwandter Einkünfte in Form einer staatlich zuerkannten angemessenen Pauschale.«

Spätestens an der staatlichen Pauschale aber schieden sich die revolutionären Geister. Denn es gibt im geltenden Besoldungsrecht keinerlei Handhabe dafür, einem beamteten Ordinarius eine ständige Honorar-Pauschale zu gewähren, die in vielen Fällen das Mehrfache eines Bundespräsidenten- oder Länderchef-Salärs zu betragen hätte.

Ohnehin wird die Verwirklichung des Ulmer Konzepts - so das baden-württembergische Kultusministerium - »eine Schmälerung des Einkommens vieler Kliniker mit sich bringen«. Ulm mithin für Mediziner von Klasse und Kasse kaum attraktiv machen.

Denn: Ein Hospital-Star vermag heutzutage aus einer gutgehenden klinischen Privatstation unschwer Nebeneinkünfte von jährlich einer halben Million Mark - und mehr - zu schöpfen. Beträge dieser Größenordnung aber hat, ihnen die Ulmer Geld-Gemeinschaft, in der die einstigen Klinikkönige ihr Reich mit vielen anderen teilen müssen, nicht zu bieten.

Das Stuttgarter Kultusministerium tröstete die künftigen Ulmer Professoren damit, daß eben »die gesamte Idee Ulm ein gewisses Maß von Idealismus voraussetzt«.

Aber nicht einmal die Ulmer Erst-Berufenen wollen das finanzielle Risiko ihres Experiments ganz allein tragen. Ihre Forderung: Solange die Ulmer Hochschule noch nicht über betriebsfähige Krankenhäuser verfüge, deren 1.- und 2.-Klasse-Patienten die Sammelkasse füllen, möge der Staat das Honorar-Loch stopfen.

Um »die gesamte Idee Ulm« nicht an dieser Hürde scheitern zu lassen, wird noch diesen Monat die badenwürttembergische Landesregierung, im November der Stuttgarter Landtag über einen Etat-Titel beraten, der - zunächst für das Jahr 1967 - staatliche Zuschüsse an die private Professoren -Gesellschaft vorsieht.

Die Ärzte haben schon recht deutliche Vorstellungen, wie ihr Umsiedlungs- und Privatstationen-Idealismus aufgewogen werden sollte: Bis in Ulm ausreichend reiche Patienten zu behandeln sind, soll der Staat jährlich 50 000 bis 120 000 Mark je Klinik-Professor zu dem Team-Topf beisteuern.

Ulm-Berufener Dr. Fliedner: Das ist noch ein ganz zartes Blümchen.«

Ulmer Gründungsrektor Heilmeyer: Anschlag auf Macht und Mammon

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