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FUSSBALL Zehntausend blieben weg

aus DER SPIEGEL 12/1954

Seit der Nordwestdeutsche Fernsehfunk den regulären Programmbetrieb aufgenommen hat, gehören die Übertragungen von Fußballspielen am Sonntagnachmittag zu den beliebtesten Sendungen. Im Kreise der Familie und der Sportfreunde können die Fernseher alle Phasen eines Oberligakampfes genauer verfolgen als von einem Stehplatz auf den überfüllten Tribünen: Zwei oder drei an der Längsseite des Spielfeldes auf einem Turm postierte Kameras verfolgen den Ball von der ersten bis zur letzten Spielminute und blenden im rechten Augenblick, wenn es vor den Toren brenzlig wird, zur Großaufnahme über.

Die Fußballvereine erblickten in den Sonntagssendungen keine Gefahr für ihre Tageskassen und gestatteten die Übertragung gegen geringe Gebühren (1000 bis 2500 Mark). Erfreut über das leicht (und billig) zu beschaffende Programm, brachten die NWDR-»Zauberspiegler« seit Weihnachten 1952 insgesamt 24 Übertragungen: von Punktspielen der Oberligen Nord und West und von so beachtlichen Kämpfen wie dem Fußball-Länderspiel Deutschland - Österreich (Köln), dem Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft (Berlin) und dem Länderspiel Deutschland - Norwegen (Hamburg).

Was mit steigender Fernseherzahl zu erwarten war, trat vergangene Woche ein: Die Fußballer meuterten und forderten mehr Geld. Anlaß war die Fernsehübertragung des Spiels 1. FC Köln - Schalke 04 am 21. Februar.

»Wir haben einwandfrei festgestellt«, erklärte Kassierer Holthoff vom 1. FC Köln, »daß bei der Fernsehübertragung weniger Zuschauer als üblich gekommen sind. Der Schaden, der uns dadurch entstanden ist, wird durch die vom NWDR gezahlten 2500 Mark nicht ausgeglichen, da wir diese Summe ja mit dem Gegner teilen müssen. Auch die anderen, kleineren Vereine, denen die Zuschauer wegen einer Fußballübertragung im Fernsehen wegbleiben, werden geschädigt.«

In der Tat konnten die Fußballer eine bestechende Rechnung aufmachen. 18 000 Fernsehgeräte sind angemeldet, etwa ebenso viele - das verraten die Verkaufszahlen der Industrie - werden »schwarz« betrieben. Nun ergeben die Umfragen der Hörerforschung, daß bei Oberligaspielen ein Drittel und bei Länderspielen zwei Drittel aller Apparate eingeschaltet sind. Sitzen beim normalen Abendprogramm durchschnittlich drei Zuschauer vor dem Empfänger, so sind es bei Oberligaspielen vier und bei Länderkämpfen sogar acht.

Was aber die Tageskassen der Veranstalter weit mehr bedroht, sind die in Gaststätten und Schaufenstern aufgestellten 7000 Geräte. Vor jedem dieser Apparate drängen sich - besonders in der Nähe der Kampforte - nach den bisherigen Erfahrungen rund 30 Zuschauer.

Die Rechnung ergibt also für ein Oberligaspiel wie den Kampf 1. FC Köln gegen Schalke 04 über 40 000 Zuschauer vor Privatgeräten und ein vermutlich noch größeres Publikum vor den öffentlich aufgestellten Empfängen.

Der 1. FC Köln aber rundete die Fernsehrechnung nach oben auf und veranschlagte allein für das Ruhrgebiet und Westdeutschland 50 000 Fußball-Fernseher.

Von ihnen wären, so lamentierten die Fußballer, mindestens 20 Prozent = 10 000 Zuschauer zum Spiel gekommen, wenn es keine Übertragung gegeben hätte.

Die Kölner Fußballsportler forderten deshalb für eine zweite, zum 21. März geplante Übertragung »bei weitem mehr« als die üblichen 2500 Mark, die Fernseh-Intendant Werner Pleister bei seinem schmalen Etat gerade noch zahlen kann. Schalke 04 verlangte präziser 25 000 Mark. Für den NWDR aber sind fünfstellige Zahlen »indiskutabel«.

»Ich muß schließlich wie ein guter Einkäufer vorgehen«, betonte NWDR-Fernseh-Programmchef Heinz von Plato, »und versuchen, das interessanteste Spiel eines Sonntags zu einem tragbaren Preis einzukaufen. Dabei bin ich durchaus bereit, über eine gleitende Skala bei steigender Teilnehmerzahl zu verhandeln. Aber Summen von 25 000 Mark, wie sie genannt wurden, sind so absurd, daß man darüber überhaupt nicht sprechen kann.«

Bei allen Fußballvereinen und auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) überlegt man seitdem, wieviel man wohl beim NWDR für eine normale Fernsehübertragung herausschinden könnte. Der DFB selbst hat die Fernsehübertragung vom Kampf einer deutschen B-Ländermannschaft gegen eine englische B-Mannschaft am 24. März für 2500 Mark vergeben. »Wir stimmen unsere Forderungen individuell ab«, sagt DFB-Pressechef Koppehel. »Ein vollwertiges Länderspiel an einem Sonntag würde bei der jetzt gestiegenen Teilnehmerzahl des Fernsehens rund 6000 Mark kosten.«

Das wäre eine mehr als hundertprozentige Steigerung, aber der Fußball-Bund begründet seine Haltung damit, daß er auf seine Vereine, die er vor einer Schädigung bewahren wolle, Rücksicht nehmen müsse.

Koppehel: »Es ist in der ganzen Welt so, daß eine Fußballübertragung Geld kostet.«

In den USA werden die Sportübertragungen von sogenannten »Sponsors« finanziert. Das sind in den meisten Fällen Firmen, die mit den Sendungen Reklame machen. In England werden normale samstägliche Punktspiele praktisch gar nicht übertragen, zumal neben den Vereinen auch die Spieler Honorare fordern. Dagegen zeigte das BBC-Fernsehen den »Fußballmatch des Jahres« zwischen England und dem »Rest der Welt«, weil dabei keine Gefahr bestand, daß auch nur eine Eintrittskarte unverkauft blieb.

Ähnlich paradox wie in England scheint sich nun die Situation in der Bundesrepublik zu entwickeln. Es wird den Fernsehleuten zukünftig wohl nicht erspart bleiben, für jede Übertragung eines Pokal- oder Oberligaspiels mehrere tausend Mark zu zahlen. Andererseits können sie in den großen Weltmeisterschaftskämpfen die besten Fußballer der Welt praktisch kostenlos vor die Fernsehkamera bekommen, weil der Zustrom zu diesen »internationalen« Ereignissen durch eine Fernsehübertragung kaum eingedämmt wird.

So haben die Schweizer Veranstalter für die Fernsehübertragung des Länderspiels Schweiz - Deutschland am 25. April in Basel auf jede finanzielle Entschädigung verzichtet, da sie sicher sind, daß trotz der Fernsehsendung die Tribüne bis zum letzten Platz gerammelt voll sein wird.

Unter den gleichen Voraussetzungen bieten sich zehn Weltmeisterschaftsspiele in der Schweiz im Sommer als einzigartige Programm-Attraktion: Das deutsche Fernsehen wird sie kostenlos übertragen können. Die Veranstalter verlangen nur eine bescheidene Kaution für den Fall, daß wider Erwarten nicht alle Eintrittskarten verkauft werden.

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