Diplomatie Zeichen der Stärke
Freunde erhalten, neue gewinnen« - so lautet das »wichtigste politische Anliegen« eines neuen »Asienkonzepts« der Bundesregierung. Kanzler Helmut Kohl bestimmte Ende Oktober als Richtlinie der neuen Politik: »Wir müssen sehr viel mehr über Asien/Pazifik wissen und uns dort mehr umtun.«
Verteidigungsminister Volker Rühe war das erste Regierungsmitglied, das sich seither in Fernost umtat. Schon sieben Tage nach dem Kabinettsbeschluß war Rühe im Luftwaffen-Airbus zur Erkundungsreise nach Bangkok, Seoul und Tokio unterwegs.
Nach Rühes Heimkehr zweifelten Diplomaten vorige Woche jedoch heftig daran, daß der Ferntourist ("Die internationalen Aspekte meines Amtes haben ihre Faszination") daheim und unterwegs viele neue Freunde gewonnen hat. Denn vom ersten Tag an habe sich Rühe durch Ruppigkeiten und Reibereien mit dem FDP-Außenminister Klaus Kinkel unbeliebt gemacht.
So las der Vizekanzler irritiert in den Zeitungen von Rühes Aussage, er besuche Thailand auf »Rat« und »Anregung« des Auswärtigen Amts, alle Details seien »genau abgestimmt«.
Das Gegenteil, sagen Diplomaten, war richtig. Rühe habe sich selber kurzfristig nach Thailand eingeladen.
Tatsächlich hatte Berchtold Freiherr von Pfetten-Arnbach, Bonns Botschafter in Bangkok, versucht, Rühes Reisedrang zu bremsen. Der Plan etwa, an einem Freitagnachmittag zu landen und das Wochenende in Bangkok zu verbringen, sei ein glatter »Regelverstoß«, mithin »äußerst unzweckmäßig«.
Es sei der Regierung in Bangkok nicht zuzumuten, an einem Wochenende adäquate Gesprächspartner für Rühe aufzubieten, kabelte der Diplomat. Auf der Visite »zu insistieren«, warnte Pfetten, werde die Thais »verärgern«.
Rühe insistierte. Einmal angekommen, ließ er beim Weekend in Bangkok kaum ein Fettnäpfchen aus.
Ohne Rücksicht auf thailändische Empfindlichkeiten stieß Rühe das Besuchsprogramm um. Das sollte laut offizieller Hardthöhen-Ankündigung »einen Eindruck von der Kultur des Volkes« bieten. Aber kaum hatten hohe Offiziere dem Minister den »Tempel des Smaragd-Buddha« gezeigt, strich er nach Mittagessen und Bootsfahrt auf dem Fluß Tschao Phraja kurzerhand den Besuch im Nationalmuseum. Er habe »genug Kultur gesehen« und wolle lieber »shoppen gehen«.
Beim nächsten Stopp in Südkorea ging es munter weiter. Kinkel-Gehilfen _(* Ende Oktober in Bangkok. ) empörten sich über einen »Verstoß gegen die Kabinettsdisziplin«. Rühe habe, entnahm Kinkel vorige Woche einem Botschaftsbericht aus Seoul, in den offiziellen Gesprächen dafür plädiert, Südkorea beim Rüstungsexport den Staaten der Vereinigung südostasiatischer Nationen (Asean) gleichzustellen, also frei mit Kriegsgerät made in Germany zu beliefern. Noch aber gibt es keinen Kabinettsbeschluß, Südkorea vom Status eines »Spannungsgebiets« zu befreien, in das deutsche Waffenlieferungen verboten sind.
Da sucht Rühe bewußt den Konflikt mit dem vorsichtigen Außenminister. »Wenn man intern nicht weiterkommt«, gab er seinen Reisebegleitern die Zielrichtung vor, »muß man es eben öffentlich machen.«
Süffisant teilte der Verteidigungsminister in Seoul Hiebe gegen Kinkels Diplomaten aus. Beim Milliardenpoker um einen Hochgeschwindigkeitszug - der TGV aus Frankreich hatte das Rennen vor dem deutschen ICE gemacht - fehlte es nach Rühes Überzeugung am »politischen Einsatz« der Botschaft.
Die Franzosen hätten den Zuschlag bekommen, obwohl sie nur 5000 koreanische Autos pro Jahr ins Land ließen, rechnete Rühe vor. Die Deutschen nähmen 30 000 ab und hätten trotzdem das Nachsehen. Rühe: »Da stimmt was nicht.«
Rühes Interesse für die Sorgen der deutschen Exportwirtschaft hielt sich indes in engen Grenzen. Kaum hatte ihm Botschafter Dieter Siemes bei einem Empfang zwei deutsche Wirtschaftslobbyisten vorgestellt, zog sich Rühe mit seinem koreanischen Kollegen zum Plausch in einen Nebenraum zurück. Nach einer guten Stunde strebte er - »vielen Dank, Herr Botschafter« - samt Troß der Hotelbar zu. Siemes blieb mit hochrangigen Gästen in seiner Residenz allein zurück - darunter ein Sonderberater des Staatspräsidenten, Spezialist für Fragen der Wiedervereinigung. Ein Thema, das, so Rühe, »die Koreaner besonders interessiert«.
Sich über protokollarische Gepflogenheiten hinwegzusetzen, so hat Rühe einem Parlamentskollegen anvertraut, sei »ein Zeichen der Stärke«.
»Mit der Brechstange«, jammerte ein Diplomat in Tokio, habe Rühe sich gegen Botschafter Wilhelm Haas durchgesetzt. Der hatte in einem Fernschreiben gemahnt, es sei »nicht opportun«, am Vorabend eines hohen nationalen Feiertags anzureisen, an dem »alle Ministerien geschlossen sind«.
Rühe kam dennoch. Stolz verkündeten seine Helfer, er werde das erste Kabinettsmitglied sein, das den neuen japanischen Premier Morihiro Hosokawa trifft.
Der Premier wollte Rühe allerdings erst am Abend des letzten Besuchstags empfangen. Rühe hätte zwei Stunden länger als geplant in Tokio bleiben müssen. Das aber lehnte der Verteidigungsminister brüsk ab: Er müsse im Nachtflug nach Straßburg und bei der Eröffnungsfeier des Eurokorps mit frischen Augen »die Soldaten aus Frankreich, Belgien und Deutschland antreiben«.
»Ihr habt es gut«, rief ein Diplomat den Abreisenden nach, »ihr fliegt heim, und wir dürfen die Scherben aufkehren.«
Vorigen Mittwoch sagte Thailands Verteidigungsminister Witschit Sukmark den für nächsten Monat geplanten Gegenbesuch in Bonn ab - aus, wie es diplomatisch heißt, »innenpolitischen Gründen«. Y
* Ende Oktober in Bangkok.