BURMA Zeichen des Himmels
Es war ein Sonntag, als die Möbelpacker kamen. Sie schulterten Akten und Schreibtische, Stühle und Regale, Ventilatoren und Lampen, sie räumten zehn Ministerien leer und verstauten das Inventar auf Lastwagen.
Dann rumpelte die Karawane los, 385 Kilometer nordwärts nach Pyinmana. General Than Shwe und seine Junta hatten beschlossen, ab sofort in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Stadt, auf einem offenbar erst halbfertigen Gelände namens Yan Lon ("Frei von Streit"), zu regieren.
Schon länger wurde geraunt, die burmesischen Herrscher wollten ihr Machtzentrum von der Hafenstadt Rangun in die Berge verlagern. Doch selbst die unmittelbar betroffenen Bediensteten erfuhren erst am 4. November von der mysteriösen Staatsaktion, zwei Tage vor Auflösung ihrer Amtsstuben. Wer die Stirn hatte, sich zu widersetzen, beispielsweise weil die Familie nicht mitdurfte, dem drohte Gefängnis. Sich urlaubshalber zu verkrümeln oder gar zu kündigen war erst recht verboten.
Das diplomatische Corps wurde nachträglich in Kenntnis gesetzt; Informationsminister Kyaw Hsan sprach von besseren Möglichkeiten, die Entwicklung in allen Landesteilen zu überwachen. Fragen waren nicht gestattet, und nachsehen geht bisher auch nicht. Für Botschaftsangestellte und die Presse ist Yan Lon tabu.
Umso heftiger wird spekuliert: Warum ging die Sache so plötzlich über die Bühne, weshalb bereiteten die Militärs das Ganze derart geheimnisvoll vor? Was bezweckte der Umzug wirklich?
Es ist keineswegs das erste Mal, dass die Spitzen eines Staates ihren Amtssitz verlegen, nur geschah dies anderswo meist mit Pauken und Trompeten. 1959 gründeten die Pakistaner Islamabad, durch dessen breite Straßen im Regierungsviertel die Panzer besser zu bewegen waren als in Karatschi. 1960 löste der futuristische Architektentraum Brasília die brasilianische Kapitale Rio de Janeiro ab. 1991 verlegte Nigeria die Regierung von Lagos in die Retortenstadt Abuja. 1997 zog die kasachische Führung von Almaty nach Astana um. Seit 1999 fungiert Berlin wieder als deutscher Regierungssitz, und Bonn verdämmert im Provinzschlaf. Burma wurde vor der britischen Kolonialzeit unter anderem von Mandalay aus regiert. Während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg diente Pyinmana als Hauptquartier der Widerstandsbewegung, 1948 erwuchs Rangun dann zur Hauptstadt.
Yan Lon soll ein zehn Quadratkilometer großes Gelände sein, das seit zwei Jahren bebaut und vom 66. Infanteriebataillon bewacht wird. Golf- und Flugplatz, zwei wichtige Kriterien für Hauptstadtkomfort, sind offenbar fertig, die drei Universitäten Pyinmanas bereits in andere Orte ausgelagert - Störpotential ist unerwünscht. »Solche Entscheidungen fallen in ganz kleinen Zirkeln«, weiß ein Experte in Rangun.
Seit dem Staatsstreich von 1962 herrscht die erratische Junta über mittlerweile 50 Millionen Burmesen, aber sie ist chronisch unzufrieden mit Land und Leuten. Ethnische Minderheiten werden brutal verfolgt, 1988 wurde die Demokratiebewegung niedergeschlagen. 1989 gab sie dem Staat einen anderen Namen, Myanmar. Als bei der letzten Wahl 1990 die Nationale Liga für Demokratie (NLD) fast 60 Prozent der Stimmen erhielt, ignorierten die Generäle das Votum und stellten die NLD-Chefin Aung San Suu Kyi unter Hausarrest. Ein Parlament gibt es seither nicht mehr, nur eine marionettenhafte Nationalversammlung.
Schätzungsweise 2700 Dörfer sind seit 1996 ausradiert worden, was rund 600 000 Binnenflüchtlinge zur Folge hatte. Mehr als 1000 Dissidenten befinden sich in Haft.
Wirtschaftssanktionen der USA und der EU sowie 28 Uno-Resolutionen hat die Junta bislang ausgesessen, auch um den Preis, dass Burma wie andere geächtete Staaten zum Armenhaus verkam. Sie selbst spricht dagegen von zuletzt 14-prozentigem Wachstum.
Burma überschwemmt die Welt mit Schmuggelware (Opium, Heroin), aber es werden auch ganz legal Gas, Teakholz oder Edelsteine exportiert - und Arbeitskräfte. Russlands Atombehörde soll den Bau eines Forschungsreaktors ermöglichen; Indien lieferte kürzlich elf Lokomotiven sowie 34 Passagierwaggons samt Ersatzteilen für insgesamt 48 Millionen Euro.
Die während des Zweiten Weltkriegs in Pyinmana angelegten Militäranlagen seien der wesentliche Standortvorteil, glauben Kenner. Seit die US-Regierung von Burma als einem »Vorposten der Tyrannei« sprach, wachse die Angst vor einer Invasion. Die neue Hauptstadt liege außerdem günstiger, um etwaige Minderheitenrebellionen zu ersticken.
Entscheidend für den Umzug kann, neben allen strategischen Überlegungen, auch ein irrationales Moment gewesen sein: Schon zu Zeiten der Könige wurde die Hauptstadt auf Rat von Astrologen verlegt. Diesmal, so heißt es, hätten sich die Machthaber von himmlischen Zeichen leiten lassen, die auf ein bevorstehendes Blutvergießen in Rangun hinweisen.
Zurück bleiben eine Vier-Millionen-Metropole mit ein paar Regierungsrestposten, irritierte ausländische Diplomaten sowie die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in ihrem Hausarrest. Die Generäle aber spielen Verstecken.
RÜDIGER FALKSOHN