OSTPOLITIK Zeichen setzen
Wenn der sowjetische KP-Chef Leonid Breschnew im neuen Jahr zu seinem lang angekündigten Besuch in Bonn anreist, wird er auch dann willkommen sein, wenn er die gewünschten Gastgeschenke nicht mitbringt.
Schon seit beinahe vier Jahren warten Bonns Regierende darauf, daß Moskau eine Absprache vom 21. Mai 1973 realisiert. Damals hatten der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und Kreml-Boß Breschnew in Bonn eine Reihe von Abkommen über eine bessere Zusammenarbeit vereinbart.
Aber drei von ihnen, Abmachungen über Kulturaustausch, technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit und Rechtshilfe, hängen heute noch, weil sich Moskau weigert, West-Berlin in einer für Bonn akzeptablen Weise einzubeziehen.
Nun, nach Helmut Schmidts Regierungserklärung, sieht es so aus, als ob der juristische Kleinkrieg den Bonnern nicht mehr so wichtig ist. Der Kreml kann sich weiter Zeit lassen, beim Bre-
* Im Kabinett mit (v. l.) Klaus von Dohnanyi. Manfred Schüler, Hans-Jürgen Wischnewski, Klaus Bölling, Egon Franke.
schnew-Besuch stehen Wirtschaftsfragen im Vordergrund.
Vor der Beratung des sozialliberalen Regierungsprogramms in den Koalitionsverhandlungen hatten Schmidt und FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher öffentlich noch unterschiedliche Positionslichter gesetzt. Unverhohlen griff Günther van Well, Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, in einem wissenschaftlich getarnten Aufsatz die Sowjets wegen ihrer starren Berlin-Position an. Der Kanzler ließ verbreiten, er sei über diese, mit ihm nicht abgesprochene Attacke »aufs äußerste aufgebracht«.
Nach Abschluß der Koalitionsverhandlungen scheint der Konflikt um den künftigen Kurs der Ostpolitik beigelegt zu sein, freilich auf höchst konfliktträchtige Art: Alle kontroversen Themen wurden aus der Regierungserklärung eliminiert oder verharmlost.
So blieb auf dem entscheidenden Feld der Entspannungspolitik vieles offen -- entgegen der ursprünglichen Absicht beider Koalitionspartner, bei Vorbereitung ihres neuen Bundes strittige Fragen bis ins Detail zu klären.
Zwar ist der Kanzler entschlossen, in seiner zweiten Amtsperiode einen neuen Anlauf in der Ostpolitik zu wagen. In der Regierungserklärung aber werden formelhaft nur »neue Impulse« erwartet -- von der anderen Seite. Ein wenig weiter vor wagte sich der Regierungschef, als er zum siebzigsten Geburtstag des Bonn-Besuchers Breschnew ein nach Genschers Geschmack viel zu herzliches Telegramm nach Moskau schickte. Darin bescheinigte er dem KP-Chef Verdienste um die »Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit und Verständigung«. Trotzig verkündete ein Schmidt-Berater: »Der Kanzler wollte ein Zeichen setzen.«
Der neue Schmidt-Kurs: praktische Lösungen statt juristisch perfekter Verträge. Genscher dagegen bemühte sich stets um eine enge, juristisch fixierte Bindung Berlins an den Bund. Er wollte deswegen Bundesbehörden nach Berlin legen und möglichst viele Verträge abschließen, in denen die Außen-Vertretung der Halbstadt durch Bonn völkerrechtlich festgelegt wird.
Regierungschef Schmidt hingegen möchte die angeschlagene Lebensfähigkeit Berlins anders stärken: durch ein Förderungsprogramm für die Berliner Wirtschaft.
Nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Kanzler und seinem Vize Genscher und nach tagelanger Redaktionsarbeit an den Entwürfen zum Regierungsprogramm blieben allerdings wenig präzise Aussagen übrig.
Ganz auf Schmidts Linie liegt der Regierungssatz: »Im Mittelpunkt unserer Anstrengungen für Berlin muß in den nächsten Jahren die Wirtschaft im weitesten Sinne stehen.« Im Entwurf des Kanzleramtes stand es deutlicher: Das Schicksal Berlins sei nicht von »perfekten Rechtsdefinitionen« abhängig, die Lebensfähigkeit müsse vielmehr durch Investitionen gestärkt werden.
Immerhin konnte auch Außenminister Genscher von der Studie seines Vordenkers van Weil nichts unterbringen. Der hatte den Russen vorgeworfen, ihre Weigerung, West-Berlin in die noch ausstehenden Abkommen einzubeziehen, sei geradezu widerrechtlich.
Keinen Niederschlag in der Regierungserklärung fand auch eine Idee Genschers und des FDP-Innenministers Werner Maihofer, die Nationalstiftung, die deutsches Kulturgut wahren soll, mit Sitz in Berlin zu gründen. Schmidt aber wollte keinen neuen Konflikt mit der Sowjet-Union riskieren wie schon einmal um Genschers Umweltbundesamt.
Jetzt soll nach Advokatenart verfahren werden. Bundespräsident Walter Scheel darf den Ehrenvorsitz übernehmen. Damit hat die Stiftung die Bonner Adresse des Staatsoberhaupts in der Villa Hammerschmidt. Für den innenpolitischen Gebrauch können die professionellen Berlin-Hüter dann immer noch behaupten, die Stiftung residiere auch in Berlin, weil der Bundespräsident dort im Schloß Bellevue einen zweiten Amtssitz erhält.
Ein anderer Konflikt zwischen den sozialliberalen Partnern wird in der Regierungserklärung ebenfalls verschleiert. Dort heißt es, das Kabinett Schmidt wolle »aktiv an konstruktiven und weiterführenden Schritten zum Abbau der militärischen Konfrontation in Europa« mitwirken.
Schon vor mehr als einem Jahr hatte der Kanzler Bonner Initiativen für die in Wien laufenden Verhandlungen über einen ausgewogenen gegenseitigen Truppenabbau (MBFR) angekündigt. Doch noch auf der letzten Nato-Tagung Anfang Dezember in Brüssel machte sich Genscher über solche Absichten lustig: »Was für Initiativen? Ich kenne keine.«
Tatsächlich sind sich die Bonner Partner in einer strategischen Frage nicht einig. Bislang galt das von der Nato aufgestellte Dogma, sich nicht auf die Festschreibung nationaler Armee-Höchststärken einzulassen; die jeweiligen Bündnispartner sollten vielmehr selber untereinander vereinbaren können, wo gekürzt wird.
SPD-Chef Willy Brandt aber dachte schon laut darüber nach, ob man sich nicht auf eine nationale Begrenzung einigen könne und damit notfalls auf ein Einfrieren der Bundeswehr. Außenminister Genscher kalkuliert im Gegensatz dazu die Möglichkeit ein, die westdeutsche Wehr noch zu verstärken. um die Lücken zu füllen, wenn Holländer, Dänen und Briten die Militärausgaben senken und ihre Truppen reduzieren sollten.
Der Kanzler ist noch unentschieden und hat bei seinen Beratern ein Konzept in Auftrag gegeben. Er muß auf die SPD Rücksicht nehmen, die für eine Aufstockung der Bundeswehr nicht zu haben ist.
Auch aus dem, was Schmidt in seiner Regierungserklärung zur Deutschlandpolitik vortrug, ist zu entnehmen, wie sehr Sozial- und Freidemokraten sieh gegenseitig lähmen. Hieß es in einer frühen Fassung aus dem Kanzleramt. noch, die Bereitschaft der Bundesrepublik zu weiterer Vertragspolitik mit der DDR und deren stärkere Abgrenzung vom deutschen West-Staat seien miteinander vereinbar, so blieb davon nur ein kümmerlicher Rest: »Die Bundesregierung setzt ihre Vertragspolitik fort. Ersatzlos gestrichen wurde die Erkenntnis, die DDR könne nicht aus wirtschaftlichen Gründen zu politischen Zugeständnissen genötigt werden.
Entfernt wurde auch jene Passage, in der es hieß, scharfe Polemik gegen die DDR sei auf ein Mindestmaß zu beschränken, weil sie doch nur die Hartmacher in der Ost-Berliner Führung unterstütze und ihnen die verschärfte Abgrenzung erleichtere.
Gerade dieser gestrichene Text liest sieh wie eine Anleitung für den Fall des aus der DDR ausgewiesenen Fernsehkorrespondenten Lothar Loewe. Die Bundesregierung beließ es bei eher matten Protesten. Der Anlaß schien ihr für scharfe Reaktionen nicht geeignet.
Hohe Bonner Beamte zeigen nicht nur ein gewisses Verständnis für Loewes Abschiebung, weil sich der Fernsehmann in seinem letzten Kommentar einer allzu provozierenden Sprache bedient habe ("Hier in der DDR weiß jedes Kind, daß die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen").
Sie halten den Akt der DDR-Behörden sogar für rechtmäßig jedenfalls nach den DDR-Gesetzen, die Bonn als Grundlage für die Arbeit westdeutscher Korrespondenten in Ost-Berlin akzeptieren mußte.
Ganz auf weicher Linie ist inzwischen auch wieder Bonns prominentestes DDR-Opfer. Jahrelang hatte Ex-Kanzler Brandt, der nach Enttarnung des Ost-Berliner Spions Günter Guillaume zurücktreten mußte, Distanz zu Ost-Berlin gehalten. Als aber der Bonner DDR-Vertreter Michael Kohl kürzlich den SPD-Vorsitzenden besuchte, zeigte sich Brandt versöhnlich: Er wolle wegen der Affäre Guillaume der innerdeutschen Entspannung nicht im Wege stehen.