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KRIEGSVERBRECHER Zerlumpte Gestalten

Der Raketenbauer Arthur Rudolph, einst enger Mitarbeiter Wernher von Brauns, wird von US-Behörden beschuldigt: Als Chef der »V 2«-Produktion habe er Tausende von KZ-Häftlingen auf dem Gewissen. *
aus DER SPIEGEL 44/1984

In der Stunde des Triumphes saß er neben Wernher von Braun: bei der Pressekonferenz im November 1967, als Amerikas Mondrakete »Saturn V« ihren ersten Testflug glücklich absolviert hatte. Dr. Ing. Arthur Rudolph, damals 61, hatte als Programm-Manager das Gemeinschaftswerk von 120 000 amerikanischen Ingenieuren und Technikern orchestriert.

»Er war ein glänzender Organisator«, erinnerte sich letzte Woche Konrad Dannenberg, 72, ein anderer Deutscher, der damals im Wernher-von-Braun-Team in Huntsville/Alabama mitarbeitete. Als Rudolph 1969 in den Ruhestand trat, verlieh ihm die Nasa die »Distinguished Service Medal«, die höchste Verdienstmedaille, die sie zu vergeben hat. Nun, 15 Jahre später, ist für Rudolph der amerikanische Traum zu Ende. Der Mann, der den Amerikanern die Mondrakete und die Pershing 1, die Vorläuferin der umstrittenen Mittelstrecken-Atomwaffe, entwickeln half, lebt furchtsam in einem Reihenhaus in Hamburg.

Seine amerikanische Staatsbürgerschaft gab Rudolph zurück ("freiwillig") - so hofft er dem Prozeß zu entgehen, den ihm amerikanische Justizbeamte angedroht haben: Als Produktionsdirektor bei der Entwicklung der deutschen Vergeltungswaffe »V 2«, so der Vorwurf, habe er von 1943 bis 1945 an der »Drangsalierung von Zwangsarbeitern, darunter Insassen des Konzentrationslagers Dora-Nordhausen, teilgenommen«.

Eli Rosenbaum, Leiter der Untersuchungen gegen Rudolph beim US-Justizministerium: »Rudolph war während des Zweiten Weltkrieges unmittelbar befaßt mit Einsatz und Mißbrauch Abertausender von KZ-Insassen, von denen viele sich unter seiner direkten Aufsicht buchstäblich zu Tode schufteten.«

Daß Rudolph seit 1934 eng mit Wernher von Braun an der »Wunderwaffe« V 2 zusammengearbeitet hat, ist unbestritten. Die etwa 14 Meter lange und 13 Tonnen schwere Rakete, die im Oktober 1942 erstmals erfolgreich getestet wurde, sollte nach dem Willen Hitlers als »Vergeltungswaffe« ihre Sprengköpfe zu Tausenden auf England schleudern.

Angesichts der alliierten Luftüberlegenheit entschlossen sich die NS-Rüstungsplaner, die Serienproduktion der »V 2« unter die Erde zu verlegen. In einem weitverzweigten Höhlensystem im Harz, nahe dem Dorf Niedersachswerfen, wurden Tunnel vorgetrieben, Maschinen

und Fließbänder montiert. In diesem sogenannten Mittelwerk begann 1944 die Produktion von »V 2«-Raketen - bis Kriegsende wurden es mehr als 4000. Als Soldaten der 3. US-Panzerdivision am 11. April 1945 durch Nordhausen zu dem Weiler Niedersachswerfen vordrangen, führten »zerlumpte Gestalten in Häftlingskleidung« die GIs zu einem »ungeheuren auszementierten Stollen«. Unter Tage, so ein Nachrichtenoffizier der Division, fanden sich Werkstätten und Arbeitssäle - »hell und glänzend wie der Lincoln-Tunnel in New York«.

In einem Wettlauf mit der Zeit - US-Präsident Franklin Delano Roosevelt hatte diesen Teil Deutschlands den Sowjets zugestanden - bargen die Amerikaner die »V 2«-Fundstücke. Sodann lief der vom Führungsstab der US-Streitkräfte entwickelte Geheimplan »Paperclip« ("Büroklammer") an: Es galt, die »Gehirne« ausfindig zu machen, die an der Entwicklung der neuartigen Großrakete mitgewirkt hatten. Insgesamt 118 Deutsche wurden damals, wenige Wochen nach Kriegsende, in die USA verschifft. Die grausame Schinderei in den »V 2«-Produktionsstollen im Harz ist spätestens seit 1946, durch Zeugenaussagen bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, aktenkundig. In seinen Memoiren erinnerte sich der ehemalige Rüstungsminister Albert Speer: _____« Nicht vergessen kann ich einen Professor am » _____« französischen Pasteur-Institut in Paris, der als Zeuge im » _____« Nürnberger Prozeß aussagte. Auch er war in jenem » _____« »Mittelwerk« beschäftigt ... Sachlich, ohne jede » _____« Erregung, erläuterte er die unmenschlichen Bedingungen in » _____« dieser unmenschlichen Fabrik: unvergeßlich und bis heute » _____« mich beunruhigend durch seine Anklage ohne Haß, nur » _____« traurig und gebrochen und auch verwundert über so viel » _____« menschliche Entartung. »

»Barbarisch« nannte Albert Speer, aus eigener Anschauung, die Verhältnisse für die Häftlinge in der unterirdischen Raketenfabrik. Auch andere, so 1944 der Arzt Dr. Poschmann, hätten ihm »die hygienischen Verhältnisse im Mittelwerk ... in den schwärzesten Farben« geschildert.

Die Idee, für die geheime »V 2«-Produktion ausschließlich KZ-Häftlinge zu beschäftigen, hatte Reichsführer SS Heinrich Himmler beigesteuert: Auf diese Weise würde »jeder Kontakt mit der Außenwelt unterbunden« (Speer).

Rudolph selber hat seine Rolle als leitender Manager bei der »V 2«-Produktion im »Mittelwerk« nie bestritten, auch nicht gegenüber den Ausforschern bei der Aktion »Paperclip«.

»Alle, vor allem auch die Amerikaner, wußten doch von der Tatsache, daß wir Arbeitslager hatten«, so bekundete letzte Woche Georg von Tiesenhausen, letzter noch Aktiver der Wernher-von-Braun-Crew in Huntsville. »Bekannt war auch, daß die SS für diese Arbeiter verantwortlich war, nicht Rudolph, der saß doch nur in seinem Büro.«

Diese Darstellung wird gestützt durch eine Reihe von Dokumenten, die nun wieder ans Licht kamen. Mehrere amerikanische Geheimdienststellen und Spezialeinheiten, die nach Kriegsverbrechern suchten, haben zu verschiedenen Zeiten bescheinigt, daß gegen Arthur Rudolph »keine belastenden Dokumente« vorlägen. Vor einer deutschen Entnazifizierungs-Spruchkammer würde Rudolph, NSDAP-Mitgliedsnummer 562007, Eintrittsdatum 1. Juni 1931, »wahrscheinlich als Klasse IV ('Mitläufer')« eingestuft - so ein Dokument der Sicherheitsstelle der US-Militärregierung vom 27. September 1949. Schon am 10. September 1947 hatte das »Dachau Detachment« der »7708 War Crimes Group« bescheinigt, daß Rudolph »von unserer Gruppe nicht wegen Kriegsverbrechen gesucht wird«.

»Völlig unbegründete Anschuldigungen« würden gegen ihn erhoben, erklärte der inzwischen 77jährige Rudolph am vorletzten Wochenende. Er habe damals alles in seiner Macht Stehende getan, um die Bedingungen für die Zwangsarbeiter zu mildern. Seine Rückkehr begründet der kränkelnde Rudolph damit, ein Prozeß in den USA würde sich »über Jahre« hingezogen und auch seine finanziellen Kräfte überfordert haben.

Die deutsche »Zentralstelle für die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen« in Ludwigsburg wurde auf den Fall Rudolph aufmerksam, als der Rückkehrer seine Einbürgerung in die Bundesrepublik beantragte. Bisher liegen in Ludwigsburg, so der Leiter der Zentralstelle, Oberstaatsanwalt Alfred Streim, »keine belastenden Erkenntnisse« gegen Rudolph vor. Aufgrund der Erfahrungen seiner Behörde glaubt Streim, die schweren Anschuldigungen gegen den Raketenexperten hätten - wenn sie zutreffen - »eigentlich irgendwann einmal hochkommen müssen«.

Bereits im Juni dieses Jahres hat die Ludwigsburger Zentralstelle Material, das den Raketenbauer nach Ansicht der US-Justizbehörden belastet, in den USA angefordert. Bisher jedoch ist nichts eingegangen.

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