»ZERREISSPROBE IN DER KIRCHE«
SPIEGEL: Pater David, Sie haben als einer der ersten prominenten Theologen die Freigabe der Pille befürwortet. Nun hat der Papst anders entschieden. Werden Sie als erster widerrufen?
DAVID: So einfach ist die Sache nicht. Bis jetzt hat mir auch noch niemand einen Widerruf zugemutet. Das päpstliche Rundschreiben ist ja auch keine Gesetzesmaßnahme. sondern ein Lehrschreiben, das mit Gründen überzeugen will. Ich fühle mich wie jeder Katholik verpflichtet, diese Gründe eingehend zu studieren.
SPIEGEL: Steht aber vielleicht heute schon fest, daß Sie sie billigen werden?
DAVID: Nein. Da die Aussage des Papstes keine unfehlbare Lehraussage sein will, bleibt auch Raum für Gegengründe. So schnell ändert ein Mann seine Überzeugungen nicht, und wenn der Papst seine Stellungnahme vier Jahre überlegt hat und sie auch jetzt nur zögernd und unter dem
Druck seiner Gewissensangst kundgibt, so darf ich annehmen, daß er auch uns Zeit zu ruhigem Überlegen und einem eigenen Gewissensentscheid gewährt.
SPIEGEL: Wird die Diskussion unter den Moraltheologen weitergehen?
DAVID: Sie wird zweifellos unverzüglich weitergehen. Sie wird sich vor allem konzentrieren auf die Fragen: 1. Was bedeutet in diesem Zusammenhang Natur und Naturrecht; gehören nicht außer der biologischen Natur auch Verstand und Wille. Geschichtsbezogenheit und Einbettung in die menschliche Gemeinschaft wesentlich mit zur Natur des Menschen? 2. Sind die vom Papst angeführten Folgerungen aus dieser Natur in bezug auf die künstlichen Mittel zur Geburtenregelung wirklich zwingend?
SPIEGEL: Erscheinen denn Ihnen diese Folgerungen zwingend?
DAVID: Bis jetzt konnten sie mich in keiner Weise überzeugen. Und das Weltecho zeigt, daß auch sehr viele andere innerhalb und außerhalb der Kirche an der Beweiskraft zweifeln.
SPIEGEL: Der päpstliche Sprecher hat betont, der Papst sei bei seiner Entscheidung vom Heiligen Geist unterstützt worden. Und auch die Minderheit in der Pillen-Kommission hat damit argumentiert, daß der konservative Standpunkt richtig sei, weil sonst der Heilige Geist früher auf seiten der Protestanten gewesen wäre.
DAVID: Wenn gewisse Leute so argumentieren, so ist das völlig unannehmbar. Nichts würde der Autorität der Kirche mehr schaden, als wenn der Eindruck entstünde, daß sie sich neuen Erkenntnissen verschließe und wenn mit ihrer Argumentation in der Öffentlichkeit der Verdacht erweckt würde, es gehe ihr mehr um Tradition und Prestige als um die Wahrheit.
SPIEGEL: Katholische Ärzte Italiens haben jetzt erklärt, sie ignorierten die Enzyklika.
DAVID: Ich kann es ihnen nicht verdenken.
SPIEGEL: Die Kirche ist in dieser Frage zerstritten. Besteht die Gefahr einer Spaltung?
DAVID: Es wird eine große Spannung bis zur Zerreißprobe innerhalb der Kirche geben, aber eine Spaltung halte ich für ausgeschlossen.
SPIEGEL: Wo liegt denn die Gefahr für die Kirche?
DAVID: Ich fürchte, daß Tausende von jungen Menschen, die daran dachten, Priester zu werden, nun einen anderen Beruf ergreifen, weil sie glauben, es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren zu können, zu einer solchen bedenklichen kirchlichen Aussage zu stehen. Außerdem werden viele Geistliche noch größere Schwierigkeiten empfinden, weiter das Amt des Beichtvaters auszuüben. Vor allem aber ist zu befürchten, daß Millionen von jungen Ehepaaren in der besten Zeit ihres Lebens dem aktiven kirchlichen Leben fernbleiben -- ja, sich hinausgestoßen fühlen. Hier liegt eine große Aufgabe für die Bischöfe in aller Welt, die ja mit zum Lehramt gehören.