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ISRAEL / FERNSEHEN Zerstört die Moral

aus DER SPIEGEL 7/1963

Die Straßen in den meist von Arabern

bewohnten Siedlungen im Süden Israels waren ungewohnt menschenleer. Die Dorfbewohner drängten sich mokkaschlürfend und pfeiferauchend in den Kaffeehäusern, um auf dem Fernsehbildschirm die erste Parade ägyptischer Raketen mitzuerleben.

Aber nicht allein die Araber (zehn Prozent der heutigen Bevölkerung Israels) verfolgten im vergangenen Herbst lebhaft, diskutierend die militärische Schaustellung Nassers - auch in den von Juden bewohnten Städten sammelten sich Scharen von Neugierigen vor den Schaufenstern der Elektrogeschäfte, um den ägyptischen Erzfeind via TV-Sender Kairo auf der Mattscheibe zu erleben.

Auf einen israelischen Fernsehkommentar zu den Ereignissen in Kairo mußten die Beschauer freilich verzichten: Das hochentwickelte Israel verfügt im Gegensatz zu seinen wenig entwickelten arabischen Nachbarn über kein Fernsehen. Religiöse Fanatiker, orthodoxe Moralisten und mißtrauische Oppositionspolitiker haben bislang jeden Versuch unterdrückt, diese Segnung der Zivilisation in Israel einzuführen.

Unterstützt wurden die Bemühungen, in Israel das Fernsehen zu installieren, vor allem von den Militärs. Sie befürchten einen wachsenden Einfluß der arabischen Fernsehpropaganda auf die Araber im eigenen Lande und intervenierten deshalb jüngst bei Ministerpräsident Ben-Gurion, endlich zugunsten des Fernsehens zu entscheiden.

Bereits vor zwölf Jahren hatten Israels Offiziere, vor allem der damalige Generalstabschef Jadin, für das Fernsehen plädiert. Jadins Pläne scheiterten nicht zuletzt an der notorischen Abneigung, die Ben-Gurion gegen Film und Fernsehen hegt.

Später - 1961 - empfahl eine Unesco -Kommission die Einführung des Fernsehens in Israel. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission konnte indes keine Einigkeit erzielen: Sechs Mitglieder stimmten gegen das Fernsehen, sechs dafür.

In die israelische Mattscheiben-Diskussion schaltete sich Ende 1962 der an Israel geschäftlich und philantropisch interessierte Baron Edmond de Rothschild, 36, reichster Sproß der Pariser Bankiersfamilie, ein. Der Baron beteiligte sich in Israel nicht allein an einer Pipeline vom Roten Meer zum Mittelmeer, sondern investiert alljährlich aus einer Stiftung rund 50 Millionen Mark in Israels Kultur, Erziehung und Kunst. Der Mäzen aus Paris erklärte sich nun auch bereit, die Errichtung eines Schulfernsehens in Israel zu finanzieren.

»Wir wollen eines der brennendsten Probleme Israels lösen helfen«, erwärmte sich Rothschild für sein Projekt. »Das Fernsehen kann bei der Erziehung und Aufklärung von Kindern, Jugendlichen und Neueinwanderern helfen und die Verbreitung der hebräischen Sprache fördern.« Und: »Ich möchte mit aller Entschiedenheit erklären, daß es keine geschäftlichen Interessen sind, die uns hier leiten.«

Trotz solch uneigennütziger Bekundungen löste der Rothschild-Plan in

Israel eine heftige politische Kontroverse aus. »Diesmal ist das Fernsehen in den verlockenden Köder der Philantropie eingewickelt«, mäkelte die unabhängige Zeitung »Jedioth Aharonoth«. »Das Fernsehen kommt nicht durch das Portal, sondern durch die Hintertür.«

Israels Erziehungsminister Abba Eban, selbst ein eifriger Befürworter des Rothschildschen Erziehungsfernsehens, brachte die Frage schließlich im Dezember 1962 vor die Knesseth, das israelische Parlament.

Die Debatte fand in Jerusalem statt, nur wenige Hundert Meter vom Ratisbonne-Haus entfernt, wo zeitweilig schon einmal ein eigenes israelisches

Fernsehen erstanden war: Zehntausende Israelis hatten dort 121 Tage lang den Verlauf des Eichmann-Prozesses auf einem Großbild-Fernsehschirm verfolgt.

Minister Eban erklärte den Abgeordneten, daß der Rothschild-Fonds mit einem jährlichen Kostenaufwand von etwa 7,5 Millionen Mark in 20 Schulen für zwei bis drei Jahre versuchsweise ein Lehrfernsehen einführen wolle. Nach Ablauf dieser Frist könnte die Regierung nach Belieben entscheiden, ob der Versuch eingestellt oder das Fernsehen erweitert fortgesetzt werden solle.

Drängte Eban die TV-Gegner: »Das Fernsehen ist ein Instrument, das keine eigenen Tendenzen hat. Es kann zum Guten wie zum Bösen benutzt werden. Ich kann den Rothschild-Fonds nicht länger bitten, diese Angelegenheit weiter in der Schwebe zu lassen.«

Solche Beschwörungen vermochten indes die TV-Kritiker nicht zu besänftigen. Die schärfste Opposition kam von den ultrareligiösen Parteien; sie befürchten, daß

aus dem Schulfernsehen ein Unterhaltungsfernsehen wird, das die Moral der Israelis untergraben werde, und

- das Schulfernsehen den religiösen Ultras nicht genehme, liberale Bibel-Auslegungen verbreiten könnte. Freilich witterten nicht allein Religionsfanatiker Gefahr. Auch die linkssozialistische Knesseth - Abgeordnete Emma Talmi wetterte: »Fernsehen ist ein Faktor zur Enthumanisierung des Menschen, denn vor dem Bildschirm ... verliert er seine Persönlichkeit.«

Und der gemäßigte Liberale Mosche Kol, Vorsitzender des parlamentarischen Erziehungsausschusses, sorgte sich: »Das Fernsehen könnte die Bücher verdrängen.«

Unabhängig von der Knesseth-Diskussion bezog der Große Rat des Oberrabbinats gegen das Fernsehen Stellung: »Das Fernsehen kann zerstörerische Ergebnisse zeitigen, sowohl vom erzieherischen wie vom moralischen Standpunkt her gesehen. Die Regierung wird aufgefordert, ihre Absicht, das Fernsehen einzuführen, aufzugeben.«

Trotz dieses Widerstandes beschloß die Regierung Israels Ende Januar, eine unabhängige Rundfunk- Körperschaft zu gründen, der die Kontrolle über das Rundfunkwesen »und jedes zukünftige Fernsehen« übergeben werden soll.

Das Fehlen eines eigenen Fernsehnetzes und eine drastische Einfuhrabgabe von 2000 Mark für jeden TV -Apparat (Endverkaufspreis für die hauptsächlich aus Deutschland importierten Geräte: 4000 Mark) hatten nämlich keineswegs verhindert, daß sich die Fernsehantennen in den Städten und Dörfern Israels von Woche zu Woche vermehrten. Ende 1962 wurden bereits 7000 Fernsehempfänger registriert, vornehmlich in Cafes, in denen die Gäste eifrig den Darbietungen aus Kairo, Beirut. Damaskus oder Zypern folgen.

Da allein der Fernsehsender Kairo täglich 20 Stunden lang ein stark propagandistisch durchsetztes Programm liefert, wandelte sich selbst Fernsehgegner Ben-Gurion zum TV-Befürworter, um künftig der Feindpropaganda entgegenwirken zu können.

Die Hürde des Parlaments vermochte die Regierung freilich noch nicht zu

nehmen: Eine für den 29. Januar angesetzte Knesseth-Abstimmung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, weil die Fernsehpläne der Regierung keine Mehrheit zu finden schienen. Für die TV -Gewissensfrage hatten die Koalitionsparteien den Fraktionszwang aufgehoben.

Israel-Philantrop Rothschild: TV durch die Hintertür

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