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KIRCHE Zieh Leine

Mit ungewöhnlich harten Disziplinarmaßnahmen geht die evangelische Kirche gegen Pastoren vor, die einen unbotmäßigen »Schwank zum Lutherjahr« veröffentlicht haben. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Die Szene spielt im Wald. Ein Liebespaar nähert sich einer Bank unter einem Baum. Er knöpft sein Hemd zu. »Wir hätten es nicht tun sollen«, sagt Martin, »ich meine, nicht jetzt.«

»Du meinst«, entgegnet Anna, »daß wir zusammen geschlafen haben?« Darauf Martin: »Die heilige Kirche lehrt: Nur wenn man verheiratet ist, darf man ...«

Anna wird wütend. »So einer bist du also: Erst mit mir schlafen, und dann mit der Bibel kommen. Womöglich wirst du noch behaupten, ich hätte dich verführt oder vergewaltigt.« Und kurz darauf: »Zieh' schon Leine zu deinem allerliebsten Herrn und bestell' ihm einen schönen Gruß von mir, er kann mich mal, wo ich hübsch bin.« Anna und Martin, die sich da so locker mit dem Verhältnis von Kirche und Sexualität befassen, sind, wie das ganze Geschehen, »frei erfunden«. Sie sind, erster Akt, zweite Szene, Hauptfiguren in dem Stück »Wie auf Erden so im Himmel«, ausgewiesen als »Schwank zum Lutherjahr«.

Wenn auch »jede Ähnlichkeit mit lebenden oder historischen Personen bzw. Gottheiten«, wie es im Vorspann zum Rollenspiel heißt, »völlig unbeabsichtigt« sei, so ist der Bezug eindeutig. Angespielt wird auf Martin Luther, 500 Jahre zeitversetzt, und das findet die Kirche ganz und gar unangebracht.

Der Schwank, abgedruckt in der alternativen Christen-Zeitung »Gegen den Strom«, trägt nach Auffassung der Leitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche »deutlich den Charakter einer Religionsbeschimpfung« und verhöhnt »zentrale Punkte des christlichen Glaubens«.

Und weil die Satire »weder formal noch inhaltlich vom christlichen Glauben her zu rechtfertigen« sei, ergriff die Kirchenleitung, wenige Tage vor Weihnachten, gegen acht der zehn Herausgeber, allesamt evangelische Pastoren, ungewöhnlich harte Disziplinarmaßnahmen: *___Den Geistlichen Hans-Günther Werner aus Wedel und ____Otfried Halver aus Hamburg wurde »vorläufig jede ____Tätigkeit als Pastor untersagt«; *___gegen vier Pastoren wurden Amtszuchtverfahren ____eingeleitet, die, schlimmstenfalls, mit »Amtsenthebung« ____oder »Entfernung aus dem Dienst« enden können; *___zwei Geistliche, die nach Überzeugung der ____Kirchenleitung vor der Veröffentlichung »keine ____Kenntnis« von dem Stück hatten, kamen mit einem ____disziplinarischen »Verweis« davon.

Die Schärfe der Reaktion hat die Pastoren »total überrascht« (Werner). Denn das »publizistische Elaborat« (der Hamburger Bischof Peter Krusche) war bereits Ende Juni vor über 100 Zuschauern aufgeführt worden - in kirchlichen Räumen. Bei der Verabschiedung von Pastor Halver aus dem Pädagogisch-Theologischen Institut wurde das Theaterstück als Protest »gegen die Verherrlichung Luthers als Staatskirchenvertreter« (ein Pastor) gezeigt - ohne jede Folgen.

Über die theologische wie auch die künstlerische Qualität des Werkes läßt sich streiten. Selbst Amtsbrüder, die den Herausgebern nahestehen, fanden die Szenen »unter aller Sau«. Ein holsteinischer Pastor: »Das hätte man besser machen können.« Und das Herausgeber-Gremium entschuldigte sich: »Es liegt uns fern, andere in ihrer Glaubensüberzeugung zu verletzen.«

Den Vorwurf allerdings, sie hätten mit der Veröffentlichung »schuldhaft Aufgaben vernachlässigt«, die sich aus dem »Auftrag zur öffentlichen Wortverkündigung und zur Sakramentsverwaltung ergeben«, wie es im kirchlichen »Amtszuchtgesetz« heißt, weisen die gezüchtigten Pastoren entschieden zurück.

Zwar werde in dem Blatt regelmäßig über Glaubensfragen diskutiert. Aber die Zeitschrift sei lediglich Forum für »einen begrenzten und überschaubaren Kreis von Abonnenten (rund 300)« und nicht etwa ein offizielles Kirchenblatt, argumentiert etwa Werners Anwalt Nikolaus Piontek. Den Schaden habe

»doch die Kirche angerichtet, indem sie das so breitgetreten hat«. Zudem müsse »möglich sein«, sagt einer der Pastoren, »daß wir uns auch in der Kirche kritisch mit Religion auseinandersetzen«.

Jetzt muß das Kirchengericht prüfen, ob die Satire noch Kunst ist oder schon Gotteslästerung und ob die Prediger Amtsverletzungen begangen haben. Werner hat die Schiedsstelle angerufen, auch, weil er für die Zeitschrift als Christ, aber ausdrücklich »ohne Hinweis auf seine berufliche Tätigkeit presserechtlich verantwortlich zeichnet« (Anwalt Piontek).

Die nordelbische Landeskirche hingegen will zwischen kirchlichen Amtsträgern, die das Wort verkünden sollen, und Privatmännern, die sich als Herausgeber betätigen, nicht unterscheiden. Bischof Krusche: »Die Verantwortung eines Pastors ist unteilbar.«

Den eigentlichen Grund für die Strenge der Kirchenleitung sehen andere Geistliche allerdings in Meinungsverschiedenheiten zwischen traditioneller Amtskirche und »innerkirchlichen Gegen-den-Strom-Schwimmern«, wie sich die Opposition nennt: Werner wie auch die anderen Herausgeber der umstrittenen Luther-Festschrift gehören zu einer Gruppe von Pastoren und Glaubensbrüdern, die ihre seelsorgerische Aufgabe ganz praktisch verstehen.

Sie organisieren Stadtteilinitiativen und bringen, oft genug zum Verdruß der Amtskirche, städtische Sanierungspläne zu Fall oder fordern öffentlich die Einrichtung von Jugendzentren. Sie protestieren im Talar gegen Kernkraftwerke, engagieren sich gegen jede Atomrüstung und rufen die evangelischen Christen auf, sich »der Gefahr der Stationierung neuer Atomwaffen entgegenzustellen«.

Daß beispielsweise Werners Suspendierung durch die Kirchenleitung von all diesen Aktivitäten »unabhängig getroffen wurde«, kann sich auch sein Pastoren-Kollege, der Wedeler Kirchenvorstandsvorsitzende Bernd Michaelsen, »schwer denken«.

Für die gemaßregelten Pfarrer ist eindeutig, daß sie, ein Jahr vor den Kirchenvorstandswahlen, vom konservativen Kirchen-Establishment auf Linie gebracht werden sollen. »Wir sollen wieder stärker auf den Herrschergott eingeschworen werden«, sagt einer der Geistlichen, »und dazu soll uns Angst gemacht werden.«

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