Zur Ausgabe
Artikel 29 / 87

ARBEITNEHMER /VIERTAGE-WOCHE Ziemlich schwer

aus DER SPIEGEL 47/1970

Heinz Kochems, 40, seit Februar dieses Jahres Geschäftsführer der Europäischen Canfield GmbH in der Vertriebenen-Ansiedlung Gartenberg bei Wolfratshausen, hat sich vorgenommen, seinen 380 Mann starken Betrieb »attraktiver zu machen«.

Der Manager führte am 1. November erstmals in Westdeutschland die Viertagewoche ein und empfiehlt seine Firma für Kühlschrank-Isolierungen nun als Arbeitsstätte für »generell aktive Leute; die auch am freien Freitag keine Langeweile haben werden«.

Damit die 280 Arbeiter des Werkes in den Genuß des Drei-Tage-Wochenendes kommen, müssen sie freilich um sechs Uhr früh zur Arbeit antreten. Außerhalb wohnende Arbeiter werden mit dem Bus abgeholt. Ihr Arbeitstag dauert an den ersten drei Wochentagen bis 16.30 Uhr, am Donnerstag bis 16 Uhr.

Die hundert Angestellten der Canfield GmbH, die das Privileg gleitender Arbeitszeit besitzen, können den Beginn ihres Bürotages zwischen sieben und acht selbst bestimmen. Für alle Canfield-Leute gilt schon seit Frühjahr 1969 die 37"12-Stunden-Woche.

Zweimal täglich dürfen die Kochems-Mitarbeiter -- unter ihnen 70 Prozent Frauen -- verschnaufen, zwanzig Minuten am Vormittag und vierzig Minuten mittags. insgesamt sind sie, die Wegezeit von maximal einer halben Stunde eingerechnet, elfeinhalb Stunden nicht zu Hause. Der Canfield-Geschäftsführer glaubt, daß er mit dieser Arbeitsplanung seiner Zeit »um drei Jahre voraus ist«.

Kochems hat sein System aus den USA importiert, wo er sich zu Jahresbeginn einige Wochen lang auf Kosten des Kunststoff-Konzerns Pantasote Inc., der Mutterfirma der Gartenberger Canfield GmbH, umsehen konnte. Zwar sind die Pantasote-Bosse bislang bei der Fünftagewoche geblieben, doch eine Reihe kleinerer Firmen hatte das Experiment vor einem Jahr gewagt, und deren Erfahrungen hatten Kochems für den langen Tag und die kurze Woche gewonnen.

So behauptete Jerry Silverman, Chef einer Fabrik für Farbroller in Massachusetts, daß er seit Einführung der Viertagewoche keine Personalsorgen mehr habe. Früher habe er keine qualifizierten Kräfte bekommen. Als er dann mit dem Slogan: »Arbeiten Sie vier Tage in der Woche, und kassieren Sie für fünf« warb, sei der Erfolg »überwältigend« gewesen.

Jüngst pries sogar der neue Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Paul A. Samuelson, in einer »Newsweek«-Kolumne die Vorteile der Viertagewoche »für jene, die sie zuerst einführen": »Wieviel besser, ein paar Stunden länger zu arbeiten und diesen Fünfuhr-Verkehrsstau zu vermeiden.«

Auch Manager Kochems möchte mit der Kurzwoche einen Engpaß beseitigen: Obwohl seine Firma vierzig Kilometer von den Industriezentren Münchens entfernt liegt, konnte sie nicht genügend einheimische Arbeitskräfte anwerben. Deshalb schweißen vorwiegend Griechen und Jugoslawen die Kunststoffplatten aneinander, mit denen Canfield Kühlschrank-Hersteller wie AEG und Bosch beliefert.

Doch die Gastarbeiter erwiesen sich für den Betrieb als ziemlich kostspielig. In diesem Jahr gab Kochems für die Anwerbung und Unterbringung der Hilfskräfte bereits 117 000 Mark aus. Kaum waren sie eingearbeitet, sahen sie sich nach einträglicheren Arbeitsplätzen um. Von 120 Arbeitern blieben nur etwa 60.

Der Manager hofft nun, mit seinem Vier-Tage-Angebot deutsche Arbeitnehmer aus dem täglichen Pendlerstrom nach München wegangeln zu können. Einen Erfolg verzeichnete er bereits. In den letzten Wochen bekam er »mehr als hundert Anfragen«.

Ob der Betrieb damit seine Personalschwierigkeiten beheben kann, ist indes fraglich. Denn ein leitender Angestellter der Firma registrierte unter den Mitarbeitern nicht nur »uneingeschränkte Zustimmung«, sondern auch »heftige Ablehnung«. Vor allem die angelernten Kräfte, die nach einem Mischsystem aus Zeit- und Akkordlohn bezahlt werden, sorgen sich, daß sie ihre Norm wegen der langen täglichen Arbeitszeit nicht mehr schaffen.

Das befürchtet auch der Betriebsratsvorsitzende Anton Zuleger, der besonders für die Frauen über 40 die Gefahr körperlicher Überbeanspruchung sieht. Zuleger: »Für die wird's schon ziemlich schwer.«

Der achtköpfige Betriebsrat hat der Viertagewoche ohnedies nicht zugestimmt« sondern die von Kochems verordnete Arbeitseinteilung schlicht »zur Kenntnis genommen«. Gewerkschaftler Zuleger: »Wir sind ja schließlich für den Achtstundentag.«

Zur Ausgabe
Artikel 29 / 87
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren