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ITALIEN / COMIC STRIPS Zipzip-zipzip

aus DER SPIEGEL 52/1966

Sie heißen Killing, Kriminal, Demoniak, Sadik und Satanik. Weil sie »das Schamgefühl verletzt, das Verbrechen verherrlicht und Instinkte der Gewalt entfesselt« haben, sollen sie in dieser Woche vor Gericht.

Die fünf Angeklagten sind Helden von Comic-strips-Serien all'italiana, in denen perfektes Verbrechen praktiziert wird. Sie martern und morden »mit einem Raffinement, das selbst den Marquis de Sade erbleichen lassen würde« ("l'Unità").

Die sexuell-sadistischen Bildserien für Erwachsene - »schwarze Fumetti« genannt - werden von knapp 50 obskuren Verlegern angeboten. Sie erscheinen wöchentlich oder 14täglich, kosten knapp eine Mark und sind an allen Zeitungskiosken Italiens zu haben. In den letzten Wochen überschritten sie - gemeinsam - die Millionenauflage.

»Es ist der wohl größte Boom italienischer Verleger in den letzten 20 Jahren«, meinte das römische Wochenmagazin »Vita«.

Gegen die zur Zeit 54 Killer-Serien führt Italiens Polizei einen hoffnungslosen Kleinkrieg. Hat ein Gericht die Beschlagnahme eines Heftes verfügt, ist es in der Regel schon ausverkauft.

Am Anfang war Diabolik. Er erschien 1962 an den Kiosken, hatte schon nach wenigen Wochen 150 000 Käufer und rangiert noch heute unter den Spitzenreitern der »schwarzen Fumetti«. Diabolik, das »Genie des Bösen«, schießt nie. Seine Mordwaffen sind Gift, infrarote Strahlen und Gasflammen.

So modern Diabolik tötet, so schlicht drückt er sich aus. Hat er einen Gegner in einem glühenden Schiffsrumpf verkohlen lassen, triumphiert er »Aah!« Liegt seine Komplicin Eva Kant in seinen Armen, macht er »Aaahhh!«. »Toc -Toc!« ist ein Türklopfen, »Zip« ein Pistolenschuß, »Zipzip-zipzip« das Knattern eines Maschinengewehrs.

Diaboliks Orgien sind in allen Schichten und Altersklassen beliebt. Auf die Frage, warum Diabolik ihnen so gut gefalle, antworteten

- ein 18jähriger Primaner: »Er hat Frauen, Geld und Hirn. Was will man mehr vom Leben?«;

- die 31jährige Frau eines Bankangestellten: »Bei Diabolik kriege ich Gänsehaut. So müßte mein Mann sein«;

- ein 43jähriger Maurer: »Zehn Kerle wie er, und wir krempeln Italien um.«

An Grausamkeit übertroffen wird Diabolik noch von Sadik, der regelmäßig Massaker unter Chinesen veranstaltet. Dagegen mordet Killing vorzugsweise schöne Frauen. »Wenn er so gut liebt, wie er tötet«, sagt eines seiner künftigen Opfer, »muß er im Bett hinreißend sein.«

Unter den blutrünstigen Helden weiblichen Geschlechts hat Satanik die meisten Anhänger: eine ältliche Chemieprofessorin, die sich dank einer Geheimformel Woche für Woche in ein blondes wollüstiges Busengirl verwandelt und sich für die Demütigungen des Alltags rächt, indem sie massenweise Männer mordet.

In der Massen-Illustrierten »ABC« (Auflage: 800 000) wird Justine als Comic-strips-Heldin mal ausgepeitscht, mal mit Benzin übergossen und angezündet.

In einem zweiten »ABC«-Strip treten Italiens Politiker (Moro, Nenni, Fanfani und andere) auf und lassen sich von nackten Nymphen verführen (siehe Bilder). Altsozialist Nenni nach einer Umarmung: »Ich höre die Stimme des Sozialismus nicht mehr.«

Premier Moro und seine Kollegen verzichteten bislang auf gerichtliche Schritte gegen »ABC«. Sie wollen das Mailänder Urteil gegen 14 »Fumetti« -Verleger und -Drucker abwarten, das nach dem Willen der Staatsanwaltschaft eine Grundsatzentscheidung gegen alle »schwarzen Fumetti« bringen soll.

Doch rechnet niemand mit dem Verbot der Serien. Der »Corriere della Sera« meinte: »Die Fumetti sind längst zu einem Kommunikationsmittel der Massengesellschaft geworden, das gewiß nicht weniger wichtig ist als Kino, Fernsehen und Radio.«

Italienischer Polit-Strip*: »Ich höre die Stimme des Sozialismus nicht mehr«

* Linkes Bild: Außenminister Amintore Fanfani (l.). Rechtes Bild: Ministerpräsident Aldo Moro.

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