BAYERN / HUBER Zischen im Lokal
Der Sessel des bayrischen Kultusministers«, orakelte Ludwig Huber, 41 (CSU), bei seinem Amtsantritt im Oktober 1964, »gleicht einem elektrischen Stuhl, den man lebendig besteigt und von dem man als Asche wieder heruntergefegt wird.« Die Ahnung von einst scheint sich bald zu erfüllen.
In der letzten Woche vermutete der Vorsitzende der Jungen Union in Bayern, Alfred Böswald, Huber werde wohl von selber auf sein Amt verzichten. Böswald über Hubers Kultus-Kurs: »Wir haben uns manchmal daran gestoßen, daß Dinge zu spät gekommen sind oder zu hart angeschoben werden mußten.«
In der Tat drängen sich nach sechs Jahren Huber-Ära in den Volksschulklassen zwischen Coburg und Wetterstein noch immer die meisten Schüler (36,9; Bundesdurchschnitt: 34,1), und nur 7,5 Prozent der Jugendlichen eines Altersjahrgangs erwerben die Hochschulreife (Bundesdurchschnitt: 9,2 Prozent). Seit Jahren warten die bayrischen Hochschulen auf ein neues Hochschulgesetz.
Selbst wenn Huber sich einmal zu Reformen durchringen konnte, hielt er gebührenden Abstand zu anderen Bundesländern. Das neunte Schuljahr wurde in Bayern erst dekretiert, als die Berliner schon ein zehntes Pflichtschuljahr planten. Die neuen Universitäten, die der bayrische Kultusminister in Regensburg und Augsburg gründete, werteten Augsburger Studentenvertreter als »einen Rückschritt in der Geschichte der deutschen Hochschulen«. Der Augsburger Wirtschafts-Professor Louis Perridon, von Huber zum Gründungsbeauftragten der Hochschule berufen, konstatierte: »In Bayern laufen die Uhren anders.«
Damit Hubers Reformtempo auch künftig nicht durch Reformen von auswärts bestimmt werden kann, kapriziert sich der Minister stets als treuer Sachwalter des Föderalismus. Bevor der Bund durch eine Verfassungsänderung im Mai des vergangenen Jahres allgemeine Planungskompetenzen im Bildungswesen erhielt, befand Huber, für eine Bundesrahmenkompetenz bestünde »kein Bedürfnis«. Sollte der Bund für die Bildungsplanung zuständig Werden, befürchtete er eine »Verödung« der Bildungslandschaft.
Hubers Föderalismuskonzept Ist selbst seinen föderalistisch gestimmten Kollegen in der Kultusminister-Konferenz (KMK) zu provinziell. Als er vom Landtag ein »Landeskindergesetz« verabschieden ließ, das bayrische Abiturienten bei der Zulassung an bayrischen Hochschulen gegenüber auswärtigen Bewerbern bevorzugt, tadelte KMK-Präsident Bernhard Vogel (CDU): »Ein gefährliches Modell.«
Kritik erntete Huber auch, als er vor vierzehn Tagen für das Fach Psychologie an der Universität Regensburg einen Aufnahmestopp verfügte, obwohl der Fachbereichsrat gegen eine Zulassungsbeschränkung votiert hatte. 400 studienwillige Psychologen mußten durch Hubers Dekret plötzlich auf einen Studienplatz verzichten -- und dies zu einem Zeitpunkt, als an fast allen Universitäten die Einschreibefristen schon abgelaufen waren.
Im zuständigen Fachbereichsrat verwahrten sich Professoren, Assistenten und Studenten gemeinsam gegen den Bescheid aus München. Die Ratsmitglieder rechneten dem frommen Huber vor, es sei »unverantwortlich, daß trotz der gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse die Theologie mit sinkenden Studentenzahlen fünfzehn Lehrstühle erhält, während die Psychologie mit immer weiter steigenden Studentenzahlen sich mit ganzen zwei Lehrstühlen begnügen muß«.
Wie in Regensburg wird Bayerns Huber allerorten attackiert. Wo immer der Kultusminister öffentlich auftrat, empfingen ihn Demonstranten mit Stinkbomben (auf der Münchner Theresienhöhe) oder mit Knallfröschen (an der Erlanger Universität). In Ingolstadt flüchtete Huber vor aufgebrachten Studenten durch einen Heizungskeller. Selbst bei Honoratioren-Versammlungen, wie der Eröffnung der Augsburger Universität In der vorletzten Woche, verzeichnet die Provinzpresse bei Huber-Auftritten »Zischen im Lokal«. Hubers Autoritätsverlust stärkt die Fronde seiner Feinde.
»Was wir gegenwärtig Im kulturpolitischen Bereich erleben«, polemisierte der evangelische CSU-Pfarrer Hans Roser aus Pappenheim, »ist die Perversion politischer Führung.« Und wie der Pastor aus Pappenheim attackierte der katholische Theologie-Professor Audomar Scheuermann aus München den bayrischen Kultuspapst: »Nicht wegen der inneruniversitären«, sondern wegen der »einzig von Ihnen, Herr Staatsminister, zu verantwortenden Schwierigkeiten Ist es entmutigend, wenn man Rektor einer bayrischen Universität sein muß«.
Der gelernte Staatsanwalt Huber, der einst Ansprüche auf den CSU-Vorsitz und den Posten des Ministerpräsidenten anmeldete, ist heute auch dem gelernten Lateinlehrer Franz Josef Strauß nicht mehr gut genug. Der CSU-Boß über die bayrische Kabinettsumbildung, die nach den Wahlen vom 22. November ansteht: »Es gibt kein Abonnement auf das Amt des Kultusministers.«