Zur Ausgabe
Artikel 4 / 83

Zölle auf Zeit

aus DER SPIEGEL 21/1971

Durch die Entscheidung der Bundesregierung, den Wechselkurs der Mark freizugeben, wurde der gemeinsame europäische Agrarmarkt in seiner Funktionsfähigkeit empfindlich gestört. Das hängt mit dem besonderen Preissystem des Agrarmarktes zusammen.

So haben die EWG-Länder bei einer Vielzahl von Agrarprodukten, für die sogenannte Marktordnungen vereinbart wurden, garantierte Preise festgesetzt. Gegen die niedrigen Weltmarktpreise sind die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der EWG durch hohe gemeinsame Außenzölle geschützt. Das Preissystem auf dem Binnenmarkt sichern die Staaten, indem sie bei zu großem Angebot Überschußware zu festgesetzten, sogenannten Interventionspreisen aufkaufen und einlagern oder auch vernichten lassen, Die Mittel hierfür werden durch Beiträge der Mitglieder und durch Einnahmen aus den Außenzöllen finanziert, Größter Beitragszahler mit einem Anteil von 32 Prozent an den Kosten des Agrarmarktes ist die Bundesrepublik.

Berechnet werden die Interventionspreise des Agrarmarktes auf der Basis der amtlichen Dollar-Parität der Mitglieder-Währungen. Rechnungseinheit des Agrarmarktes ist der Dollar.

Sinkt, wie jetzt bei der Freigabe der Mark, der Dollar-Kurs an den Devisenmärkten, fällt automatisch der vom Dollar abgeleitete Interventionspreis der Marktordnungs-Waren. Bei Interventionen auf dem Binnenmarkt läßt sich der Preisverfall noch relativ leicht korrigieren. Die Regierung braucht für Subventionen nur die alte Rechnungseinheit im Wert von 3,66 Mark je Dollar in Kraft zu lassen. Bei Agrarein- und -ausfuhren jedoch wird, die Ware nach den tatsächlichen Wechselkursen bezahlt. Der Preis in Mark liegt im Falle der Aufwertung unter den in den Gemeinschaftsverordnungen der EWG festgelegten Interventionspreisen.

Wenn die Bundesrepublik dann keine Sonderzölle auf Agrarimporte erheben würde, könnten die Partnerländer ihre Waren billiger auf dem deutschen Markt absetzen, zum Schaden der deutschen Landwirtschaft. Die Verluste beziffern Agrarexperten zur Zeit mit 220 Millionen Mark je Aufwertungspunkt.

In Brüssel einigten sich die Agrarminister daher schnell auf Sonderzölle für Getreide, Zucker, Butter, Magermilchpulver, Raps und Rinder. Für diese Produkte besteht ohnehin eine staatliche Ankaufsverpflichtung. Auch bei Schweinefleisch wollen die EWG-Partner Bonns Sonderregelung akzeptieren. In stundenlangen Debatten wehrten sich die Delegationen von Holland, Frankreich und Italien jedoch gegen die Aufnahme von Obst und Gemüse, Fisch und Wein in den deutschen Schutzkatalog. Agrarkommissar Sicco Mansholt zum Widerstand der drei EWG-Partner: »Das ist keine Sorge um die Integration, sondern Interesse an Marktanteilen und Preisen. Mit Unterstützung der EWG-Kommission erhielt Bonn schließlich bei allen Marktordnungs-Produkten den beantragten Grenzausgleich.

Daraufhin konnte die deutsche Delegation der Forderung der Partner zustimmen, die Sonderzölle in Höhe des Aufwertungssatzes erst zu erheben, wenn die wöchentlichen Durchschnittskurse um 2,5 Prozent vom alten Paritätskurs abweichen. Die Bonner Währungsexperten sind überzeugt, daß die Mark zumindest diese Kursmarge erreicht. Damit hat die Bundesregierung in Brüssel mehr erreicht als 1969. Damals hatte die EWG der Bundesrepublik bis Ende 1969 nur Grenzausgleichsmaßnahmen für sechs Produktgruppen zugestanden. Außerdem mußte der aufwertungsbedingte Preisabfall drei Prozent des Warenwertes erreichen, ehe die EWG eingriff.

Nach dem Brüsseler Beschluß vom vergangenen Mittwoch gelten die Ausgleichsmaßnahmen nur für die begrenzte Zeit der Wechselkurs-Freigabe. Falls Botin nicht mehr, wie versprochen, zur alten Parität zurückkehrt und damit eine echte Aufwertung vollzieht, müßten die EWG-Partner eine neue Entscheidung treffen.

Da dürfte ein erneuter Grenzausgleich mit Sonderzöllen kaum eine Chance haben. Bonn würde nichts anderes übrigbleiben, als den deutschen Bauern -- wie von Januar 1970 an -- einen Einkommensausgleich zu gewähren, der ihren Aufwertungsverlust wieder ausgleicht. Damals entschloß sich Bonn mit Erlaubnis der EWG, der Landwirtschaft bis Ende 1973 jährlich 1,7 Milliarden Mark zusätzliche Subventionen zu gewähren: je Aufwertungspunkt 200 Millionen Mark.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 4 / 83
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren