SPIEGEL Gespräch »Zu ängstlich, zu vorsichtig, zu schüchtern«
SPIEGEL: Herr Stümper, der italienische Mafia-Richter Falcone hat über die westdeutschen Polizisten gelästert: Sie sähen einen Mafioso nicht, selbst wenn er ihnen auf den Füßen stehe. Stimmt das?
STÜMPER: Die Bemerkung ist gar nicht so böse. Das Phänomen Organisierte Kriminalität ist ja erst neu erkannt. Wir haben es noch nicht im Griff. Und ich fürchte, daß wir zu ängstlich, zu vorsichtig und zu schüchtern sind.
SPIEGEL: Meinen Sie, die Polizei hat Angst vor der Mafia?
STÜMPER: Nein. Aber wir müssen sehen, daß wir den polizeilichen Ermittlungsapparat so strukturieren, daß er nicht nur für Sonnenschein-Kriminalität tauglich ist, sondern auch für diese konspirative Form des Verbrechens.
SPIEGEL: Sie haben schon lautstark mafiataugliche Ermittlungsmethoden gefordert: erweiterte Befugnisse für Telephonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriffe, heimliches Eindringen in Wohnungen. Das ist das Arsenal der Terroristenbekämpfung. Soll das künftig zum polizeilichen Alltag gehören?
STÜMPER: Terrorismus und Organisierte Kriminalität unterscheiden sich in puncto Ziel. Die einen wollen ihre Politik mit Gewalt machen, die anderen nur Geld. Allerdings sind sich beide darin ähnlich, daß sie konspirativ arbeiten.
SPIEGEL: Die Polizei soll also mit geheimdienstlichen Methoden gegen kriminelle Kartelle vorgehen?
STÜMPER: In manchen Bereichen geht es nicht anders. Verdeckte Ermittler, Observation, Telephonüberwachung - das sind Instrumentarien, die sich natürlich auch in der OK-Bekämpfung anbieten.
SPIEGEL: Ein Thesenpapier des Bundeskriminalamtes geht noch viel weiter. Da ist von der Errichtung von Scheinfirmen durch die Polizei die Rede, da werden schwarze Listen mit mutmaßlichen Paten empfohlen und Isolationshaft für Mafiosi.
STÜMPER: Man muß die Polizei verstehen. Wenn sie eine neue Lage hat, dann überlegt sie, was hat sie im Arsenal. Doch man sollte nicht nur sehen, was wir haben, sondern man müßte an der Phänomenologie ansetzen: Wie komme ich an diese besondere Form der Kriminalität heran? Dann kann man eine ganze Systematik der Bekämpfungsmethoden entwickeln.
SPIEGEL: Denken Sie an einen Katalog von Anti-Mafia-Gesetzen wie in Italien?
STÜMPER: Der Rechtsstaat bewährt sich nicht, wenn ich einen 15jährigen Automatenknacker festmachen kann, sondern nur dann, wenn ich auch eine Gang mit Verbindungen nach Südamerika und Italien fassen kann. Da kann ich nicht so ermitteln wie bei einem normalen Diebstahl. Ohne neue Rechtsgrundlagen schaffen wir das nicht.
SPIEGEL: Wie sollen die denn aussehen?
STÜMPER: Wir brauchen klare Ermächtigungen für konspirative Ermittlungen. Wenn wir die Organisierte Kriminalität bekämpfen sollen, dann können wir schließlich nicht nur eine Umfrage machen, wer hat jemanden gesehen. Wir müssen unter Umständen dann auch einen Lauschangriff machen oder unter Vorwand einer Legende eine Wohnung betreten dürfen. Es muß auch möglich sein, zum Schutz eines Zeugen eine richterlich genehmigte Telephonüberwachung durchführen zu können.
SPIEGEL: Bislang ist die Überwachung von Telephonen nur in engbegrenzten Fällen und bei schwerem Verdacht gegen den Abgehörten erlaubt. Wie wollen Sie denn Zeugen per Abhören schützen?
STÜMPER: Wenn einem Pizza-Bäcker mit einem Anschlag auf seine Person oder seine Familie angst gemacht wird, weil er ausgesagt hat, er bekommt zum Beispiel Drohbriefe, das Auto haben sie ihm schon angezündet, und er bittet: Klärt doch mal ab, ob die echt was planen gegen mich - dann wäre das der Fall, in dem wir ein Gericht um die Genehmigung einer Telephonüberwachung bitten würden.
SPIEGEL: Man kann ahnen, wie viele Pizza-Bäcker bald ihre Konkurrenten abhören lassen würden.
STÜMPER: Sicher kann man Telephonüberwachung nicht mit einer Generalklausel erlauben, die etwa lautet: »Immer, wenn es zur OK-Bekämpfung nötig ist«. Aber ich plädiere für solche Eingriffsbefugnisse zur Abwehr von drohender Gefahr für Leib oder Leben.
SPIEGEL: Ihr Beispiel zeigt ja, wie dehnbar eine solche Formulierung ist. Mit Strafverfolgung hat das nichts mehr zu tun, nur noch mit Vorbeugung. Sollen solche Voraussetzungen auch für Lauschangriffe gelten?
STÜMPER: Ich halte es jedenfalls für sehr wichtig, die Frage des Einsatzes von Richtmikrophonen und Abhörgeräten gesetzlich zu regeln. Es ist ja derzeit völlig unklar, was man überhaupt darf.
SPIEGEL: Die unklare Rechtslage reicht aber jetzt schon, Mafiosi zu belauschen? _(In seinem Stuttgarter Büro mit Thomas ) _(Darnstädt und Peter Adam. )
STÜMPER: Im extremen Fall: ja.
SPIEGEL: Meinen Sie denn, daß das Mittel zulässig wäre, wenn Sie es zum Beispiel mit einer überregional organisierten Einbrecherbande - dem klassischen Fall von OK - zu tun haben, um herauszukriegen, wer der Hehler ist?
STÜMPER: Ich würde sagen: ja. Bei der OK ist der Hehler oft der schlimmste Bursche von allen, er ist ja der treibende, planende und gefährliche Hintermann. Wenn Verdächtige in eine Gastwirtschaft gehen, sich im Hinterzimmer treffen, dort ihre Geschäfte besprechen, würde ich sie belauschen lassen, um diesen Hintermann zu finden.
SPIEGEL: In diese Richtung weisen Vorschläge, wie sie zum Beispiel der ehemalige BKA-Chef Horst Herold gemacht hat. Gegen die deutsche Mafia soll eine eigene Behörde eingerichtet werden, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie der Verfassungsschutz arbeitet. So etwas käme nahe an eine Geheimpolizei.
STÜMPER: In der Methodik würde es das bedeuten. Jedenfalls wäre es eine Art Nachrichtenpolizei.
SPIEGEL: Halten Sie so einen Vorschlag für vernünftig?
STÜMPER: Nein, absolut nicht. Schon das Wort »Nachrichtenpolizei« stinkt natürlich. Wir müssen auch auf unser Image ein bisserl aufpassen.
Zum anderen ist die Trennung von Beamten, die nur observieren, und solchen, die bei Straftaten zugreifen, schon im Grundsatz nicht praktikabel. Denn: Wenn der Verdacht einer Straftat besteht, ist die Polizei verpflichtet, zuzugreifen und den Täter bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Wenn aber nichts vorliegt, darf die Polizei auch nichts tun.
SPIEGEL: Schön wär''s. Bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität erheben Kriminalpolitiker - nicht zuletzt Sie selbst - die Forderung nach Ermittlungen im »Vorfeld« von Straftaten, wenn also noch nichts vorliegt.
STÜMPER: Das Problem sehe ich ja genauso wie Herold. Bei der Organisierten Kriminalität kommt es nicht in erster Linie darauf an, einzelne Straftaten aufzuklären, sondern zu ermitteln, was dahintersteckt: die Logistik. Man muß verhindern, daß kriminelle Organisationen sich überhaupt erst einnisten.
SPIEGEL: Da setzen Sie Ihre Beamten aber auf Sachverhalte an, die schwer faßbar sind. »Einnisten« und »Organisieren« sind schließlich keine gesetzlich umrissenen Tatbestände.
STÜMPER: Richtig, jedoch: Wenn ich an den Haupttäter will, dann muß ich an ihn ran, bevor er neue Taten begeht. Wir müssen schon versuchen zu erfahren: Was wird da geplant?
SPIEGEL: Hinter dieser Methode steckt ja nicht mehr Strafverfolgung, sondern Überwachung. Während Strafverfolgung einen genauen Anfang und ein genaues Ende hat, ist Überwachung
uferlos. Ermittelt werden kann dann überall und gegen jeden: Der Verdächtige könnte ja der Pate sein.
STÜMPER: Wir müssen uns lösen von der strafrechtlichen Vorstellung, der X begeht eine Tat, wird erwischt, wird verurteilt, sitzt ein. Wir haben es hier mit Organisationen zu tun. Nehmen wir als Beispiel Kokain. Da sind Kräfte, die machen nur strafbare Handlungen, nichts anderes. Die Dauerverbrecher sind es, die mich interessieren.
SPIEGEL: Leider gibt die Mafia, wie in Bayern Ihr Mitstreiter Peter Gauweiler feststellt, keine Mitgliedsausweise aus. Einem Mafioso sieht man nicht an, daß er ein Dauerverbrecher ist. Der lebt oft als scheinbar ehrbarer Kaufmann. Was nehmen Sie zum Anlaß für Ermittlungen gegen so einen Mann?
STÜMPER: Das ist das Problem der Verdachtsschöpfung und der Verdachtsschwelle. Das heißt: Es sind zum Beispiel bestimmte Lokale aufgefallen, Lokale, die sehr gut gehen, wo Personal da ist, wo die Leute furchtbar oft rüberfliegen nach den USA, wieder zurückkommen. Da sagt man sich, irgend etwas stimmt da nicht, da muß etwas los sein. Wir hatten so einen Fall, da hat es sich gelohnt, solche Leute zu beobachten, die bis dahin gar nichts Konkretes angestellt hatten. Irgendwann ist man dahintergekommen, daß die Heroin importieren.
SPIEGEL: Das geht natürlich nur, um beim Beispiel zu bleiben, wenn Sie sich über einige Rechtsvorschriften hinwegsetzen. Schließlich ist ja große Reiselust wie auch hoher Umsatz kein Grund für polizeiliche Untersuchungen.
STÜMPER: Richtig. Nur: Früher haben wir so etwas gedurft. Da haben wir mit Fluggesellschaften zusammengearbeitet. Heute dürfen wir das nicht mehr, wegen des Datenschutzes.
SPIEGEL: Wollen Sie den wieder abschaffen?
STÜMPER: Nein und nochmals nein. Aber manche Forderungen des Datenschutzes - etwa das Verlangen, Daten nach praktisch zu kurzen Fristen wieder zu löschen - scheinen mir eine Fehleinschätzung der Verfassung zu sein.
SPIEGEL: Meinen Sie das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, oder meinen Sie die Verfassung selber?
STÜMPER: Ich würde nie wagen, das Verfassungsgericht zu kritisieren, aber in der politischen Debatte werden die Probleme des Datenschutzes bei der Polizeiarbeit weithin viel zu ideologisch behandelt. Wir haben da eine richtige Loslösung von der Realität. Das Schlimmste, ja, eine Todsünde, ist, daß gelegentlich dabei der Eindruck erweckt wird, der freiheitlichste Staat, den wir je in der Geschichte hatten, sei ein Schnüffler- und Überwachungsstaat.
SPIEGEL: Manches, was Sie fordern, klingt allerdings wirklich nach Schnüffelei. Wir zitieren mal aus einem Aufsatz, den Sie in der »Welt« geschrieben haben. »Die Verdachtsgewinnung«, heißt es da, muß »weit im Vorfeld einsetzen«, indem man »äußerst minutiös viele kleine Daten sammelt, vergleicht, bewertet, zuordnet und speichert«.
STÜMPER: Die Frage ist: Wo ist es Anfangsverdacht, wo ist es Vorfeld? Irgendwann muß ja mal die Verdachtsschöpfung beginnen, weil Sie ja den Täter nicht ins Haus geliefert bekommen. Die Verdachtsschöpfung ist natürlich viel leichter bei dem von mir so gern zitierten 17jährigen Mopeddieb als bei _(Im niedersächsischen Elze-Bennemühlen ) _(1986. )
einem, der hochkonspirativ sich abdeckend, mit falschen Papieren ausgestattet, mit unterschiedlichen Personen, Fahrzeugen, Wohnungen aus dem internationalen Raum heraus bei uns arbeitet. Da muß ich halt versuchen, Kleinigkeiten wie Wollfasern, die Marke eines Aktenkoffers zu speichern, der vielleicht irgendwann gefunden wird und auf die Spur des Täters führt.
SPIEGEL: Wollfasern sind ja nun schon immer von Kriminalisten gesammelt worden. Interessanter ist doch: Rasterfahndung nach Paten per Computer.
STÜMPER: Um die Großen zu fangen, brauche ich neben konspirativen Methoden Information und Kommunikation. Ich würde es für vertretbar halten, wenn ich 20 verschiedene Daten gegeneinander laufen lasse in klimatisierten Computerräumen, und es werden mir dann wenige Tatverdächtige rausgeschmissen. Dies ist doch die persönlichkeitsschonendste und schönste Ermittlung, die es überhaupt gibt. Wenn Sie sonst jemanden in Verdacht haben, dann geht der betreffende Kriminalbeamte zu der Nachbarschaft, fragt am Arbeitsplatz - das ist viel belastender.
SPIEGEL: Was muß jemand tun, um in Ihre Computer zu kommen? Was macht jemanden mafiaverdächtig?
STÜMPER: Die Verdachtsgewinnung wird natürlich nicht bei der Hausfrau Maria Hämmerle einsetzen. Man weiß, es gibt ein Milieu, da gibt es Größen der Altstadt, die betreiben dunkle Geschäfte, man riecht so etwas.
SPIEGEL: Die Größen der Altstadt sind offenbar die große Hoffnung der Ermittler. In einem Thesenpapier des BKA wird sogar vorgeschlagen, die führenden Köpfe im »örtlichen Milieu« in Listen aufzuführen, um sie besser im Auge oder im Computer zu haben.
STÜMPER: Da wird es heikel. Wenn jemand noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, aber lebt zum Beispiel unter aufwendigen Bedingungen, ohne ein feststellbares Einkommen zu haben, hat viele Besucher aus dem Ausland . . .
SPIEGEL: . . . was natürlich auf Zuhälter ebenso zutrifft wie auf Unternehmer mit guten Steuerberatern . . .
STÜMPER: . . . dann ist das wohl unter Umständen merkwürdig oder verdächtig. Auf die Liste dürfte er aber nicht kommen. Ich kenne so einen Fall, da hat einer eine Bodyguard, Kontakte verschiedener Art, natürlich kein Pfarrer.
SPIEGEL: Und was würden Sie mit dem machen?
STÜMPER: Man weiß ja, was er offiziell tut. Wenn in diesem Bereich irgendeine merkwürdige Transaktion vorkommt und man hätte noch gar keinen Verdacht, dann würde man immerhin sagen: Vielleicht ist er es gewesen. Denken darf man es ja. Sich überlegen, ob er''s ist.
SPIEGEL: Und dann?
STÜMPER: Man könnte beispielsweise zunächst bei der Industrie- und Handelskammer ganz formlos versuchen, ohne einen bestimmten Namen zu nennen, sich darüber zu unterhalten, so daß man langsam reinkommt. Man muß sich ja all diesen Dingen sorgfältig nähern.
SPIEGEL: Unverbindlicher Plausch bei der IHK, das ist es ja wohl nicht im Ernst, was Sie mit »täterbezogenen _(Zusammen mit seinem mutmaßlichen ) _(Mord-Auftraggeber Peter Nusser im Urlaub ) _(auf Ibiza 1985. )
Ermittlungen« meinen. Wie wollen Sie denn weiterkommen, ohne irgendwann doch einen Spitzel auf den Mann anzusetzen?
STÜMPER: Natürlich. Schließlich können Sie in vielen Fällen im Grund nicht von außen nach innen ermitteln. Die großen Heroinschiebereien mit ihren Schmuggeltricks, wie zum Beispiel das Tränken von Herrenhemden mit aufgelöster Morphinbase - dahinter wären wir nie gekommen, wenn nicht Insider uns Tips gegeben hätten. Letztlich kommen wir nicht weiter, wenn nicht verpfiffen wird.
SPIEGEL: Und zum Pfeifen bringen Sie nur jemanden, dem Sie Straffreiheit versprechen. Also eine Kronzeugenregelung für den gesamten Bereich der Organisierten Kriminalität?
STÜMPER: Ich habe die Wahl, von zehn Hochkriminellen neun zu fangen und einen frei rumlaufen zu lassen - oder gar keinen zu fangen. Das ist die nackte Realität. Wenn es eines Tages Kronzeugen gibt, darf die Zusage der Straffreiheit auch nicht erst nach langem Verfahren erfolgen. Notfalls muß gleich vor Ort so eine Zusage gemacht werden, denn sonst sind die Mittäter längst weg.
SPIEGEL: Verstehen wir Sie richtig - jeder Kripomann soll verbindlich darüber entscheiden können, ob ein Verbrecher bestraft werden soll?
STÜMPER: Es muß rasch gehen, und zwar im Einvernehmen mit der Justiz.
SPIEGEL: Also doch erst ein Gerichtsverfahren?
STÜMPER: Man könnte ja, wenn es um Kronzeugen geht, den Ermittlungsrichter sofort einschalten.
SPIEGEL: Kronzeugenregelungen bringen wahrscheinlich im OK-Bereich wenig. Eines der Strukturmerkmale von Organisierter Kriminalität ist schließlich die Erzeugung von Angst und Schweigen. Uns sind Fälle bekannt, da haben Zeugen eines Mordes nicht nur geschwiegen, sie haben sogar den Mord auf sich genommen - aus Angst vor dem Paten. Wie wollen Sie solche Leute zum Sprechen bringen?
STÜMPER: Die Fälle kenne ich auch. Eine Chance ergibt sich aber, wenn ich rivalisierende Organisationen habe. Nehmen wir an, an einem Spielklub sind eine italienische und eine jugoslawische Bande interessiert. Wenn der Jugoslawe den Italiener verpfeift - das könnte uns helfen. Und dann muß man die Leute natürlich schützen.
SPIEGEL: Effektiver Zeugenschutz, sagen Ermittler aus anderen Bundesländern, ist gar nicht möglich. In Hamburg, wo man damit am meisten Erfahrung hat, sind reihenweise Zeugen des Pinzner-Verfahrens unter Polizeischutz gestellt worden. Dennoch haben drei von ihnen - der Mörder und Kronzeuge Pinzner eingeschlossen - die Ermittlungen nicht überlebt.
STÜMPER: Ein Zeugenschutz ist machbar, wenn man den Zeugen in den Akten gar nicht in Erscheinung treten läßt, sondern versucht, die Anklage mit anderen Beweisen zu untermauern. Wenn der Zeuge verbrennt, dann kann man noch versuchen, ihn zu decken. Aber das geht natürlich nicht so, daß man einen Polizeibeamten permanent vor sein Haus stellt. Man kann vielleicht ein paar Tage den Schutz übernehmen, aber nicht über Jahre hinweg. Notfalls muß er eine andere Identität kriegen.
SPIEGEL: Jeder Zeuge muß ja irgendwann in den polizeilichen und später in den staatsanwaltlichen Akten auftauchen, auch dann, wenn Sie ihn vor Gericht gar nicht mehr brauchen, weil Sie durch ihn andere Beweise bekommen haben. Schützen können Sie ihn also nur, wenn Sie der Verteidigung oder gar dem Gericht einen Teil der Ermittlungsakten vorenthalten.
STÜMPER: Man kann der Polizei ja nicht verbieten, daß ein Sachbearbeiter sich zunächst einmal Gedanken und persönliche Notizen über einen Zeugen macht. Wenn es dann zum Gericht geht, braucht er schließlich nicht alle Notizzettel vorzulegen. Das Allerwichtigste ist, daß man Informanten gar nicht erst in die Situation bringt, Zeuge sein zu müssen.
SPIEGEL: Letztlich hoffen Sie mit solchen Überlegungen auf den reinen Zufall, daß mal jemand kommt und Ihnen etwas erzählt. Dem hochorganisierten Verbrechen hat die Polizei offenbar, so klagen viele Ermittler, einen sehr unsystematisch arbeitenden Ermittlungsapparat entgegenzusetzen.
STÜMPER: Vieles muß sich erst einspielen. Sicher tut sich unser föderalistisches Polizeisystem daran schwerer als ein polizeilich zentralistisch organisierter Staat. Aber dies kann man auch funktionsmäßig auffangen.
SPIEGEL: Es funktioniert ja nicht einmal in der Zusammenarbeit der Länder. Wenn dieselbe Organisation in Bremen und in München Autos stiehlt, gibt es niemanden, der sich dafür insgesamt zuständig fühlt.
STÜMPER: Mir wäre es schon recht, wenn ich manches wüßte, was in Bremen oder Nürnberg gewesen ist. Entsprechende Vorschläge zur gemeinsamen Bekämpfung der OK habe ich schon vor längerer Zeit in die Innenminister-Konferenzen eingebracht. Wir müssen einen eigenen Informations- und Kommunikationsstrang für OK haben, das muß auch grenzüberschreitend funktionieren, auch international.
SPIEGEL: Solche Kommunikationsstränge funktionieren offenbar bei der Polizei nicht. Seit Jahren versucht das Bundeskriminalamt, in seinem PIOS-Computer eine Zentraldatei für OK aufzubauen, eine Art westdeutsches Mafia-Archiv. Doch der Computer läuft leer, weil die Länder keine Informationen liefern.
STÜMPER: An dem Vorwurf ist objektiv sicher etwas dran. Das gilt für alle Bundesländer. Es ist nicht der schlechte Wille, sondern es beruht darauf, daß Sie sehr vielen Fällen, die für PIOS gemeldet werden müßten, gar nicht ansehen, daß es OK-Fälle sind. Die Sensibilisierung im polizeilichen Meldedienst dafür ist noch nicht genügend ausgeprägt. Lange hat man Organisierte Kriminalität halt nicht so ernst genommen.
SPIEGEL: Es ist ja auch kein Wunder, wenn ein Kripomann vor Ort gar nicht erkennen kann, daß er es mit einer bundesweiten Mafia zu tun hat. Denn was außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs läuft, erfährt er nicht.
STÜMPER: Es ist, zugegeben, noch immer nicht so, daß wir die Fälle der Organisierten Kriminalität als solche schon in einem eigenen funktionsbezogenen Meldesystem hätten. Die PIOS-Datei beim BKA ist immerhin ein Anfang.
SPIEGEL: Das ist aber nicht mehr als eine bessere Art Namenskartei. Über Zusammenhänge und Strukturen erfährt man aus dem Computer nichts.
STÜMPER: Es gibt verschiedene Meldewege und auch einen Wochenbericht des BKA, der spektakuläre Fälle aufzählt, Rauschgiftsachen zum Beispiel, aber auch Kirchendiebstähle. Mit einer babylonischen Kasuistik, die dann irgendwo abgeheftet wird, ist uns aber nicht geholfen. Ich bin sehr daran interessiert, daß das BKA hier noch mehr tut.
SPIEGEL: Soll das Bundeskriminalamt, das bislang nur Fälle mit internationalem Bezug recherchieren darf, mehr Kompetenzen haben?
STÜMPER: In einer Zeit, in der die internationalen Bezüge des Verbrechens so zunehmen, bin ich natürlich für eine möglichst große Zuständigkeit des BKA im Bereich der Organisierten Kriminalität.
SPIEGEL: Die Zuständigkeiten enden aber stets an den deutschen Staatsgrenzen. Die internationalen Bezüge können Sie so auch nicht aufdecken.
STÜMPER: Ich bezweifle, daß wir eine breite grenzüberschreitende Kommunikation mit den Polizeien anderer Staaten in Europa so bald durchkriegen. Jedes Land fragt halt seine eigenen Datensysteme ab - nur im Einzelfall, aufgrund persönlicher Beziehungen, klappt da mal die Verständigung. Ich verspreche mir mehr von deutschen Polizeiattaches in gewissen Ländern.
SPIEGEL: Das Bundeskriminalamt setzt ja jetzt schon seine Ermittler im Ausland, beispielsweise in Italien, ein. Das sieht so aus, als könne man der italienischen Polizei nicht trauen.
STÜMPER: Deutsche Beamte sollten dort sein, wo man im Bereich Organisierter Kriminalität zuverlässige Ansprechpartner braucht. Es könnte ja sein, daß ein einheimischer Beamter selbst dubios ist oder unter Druck steht - der macht mir dann den ganzen Ermittlungsvorgang kaputt.
SPIEGEL: Glauben Sie ernsthaft, daß Ihre Beamten vor Korruption besser gefeit sind als die Kollegen im Ausland?
STÜMPER: Es gibt sicher keinen Staat, keine Polizei, kein Gericht, wo nicht Leute mal gekauft werden. Damit muß man leider auch hierzulande rechnen.
SPIEGEL: Herr Stümper, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
In seinem Stuttgarter Büro mit Thomas Darnstädt und Peter Adam.Im niedersächsischen Elze-Bennemühlen 1986.Zusammen mit seinem mutmaßlichen Mord-Auftraggeber Peter Nusser imUrlaub auf Ibiza 1985.