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ZEITGESCHICHTE / KARDINAL INNITZER Zu aufrichtig

aus DER SPIEGEL 16/1967

Die vier deutschen Kardinäle waren am 9. März 1939 bei Papst Plus XII. zu Gast: der Wiener Theodor Innitzer, der Breslauer Adolf Bertram, der Münchner Michael von Faulhaber und der Kölner Karl Joseph Schulte.

Pius XII. war erst eine Woche lang Papst, wollte an den deutschen Reichskanzler Adolf Hitler eine Grußadresse schicken und beratschlagte mit den deutschen Kirchenfürsten über die rechte Anrede für ihren Landsmann.

»Hochzuverehrender oder Hochzuehrender?« fragte der Papst. Darauf die Kardinäle: »Hochzuehrender!« Und Kölns Schulte erläuterte: »Hochzuverehrender ist zuviel. Das verdient Hitler noch nicht.«

Auch Wiens Innitzer regte vorsichtig eine Korrektur an: »Ob nicht vielleicht« der Heilige Vater den deutschen Kanzler mit »Sie« anreden solle, statt ihn -- wie im Entwurf -- zu duzen. Pius XII. fragte: »Sonst ist alles in Ordnung?« Wieder antwortete der Kardinals-Chor: »Ja!« Innitzer prophezeite: »Es müßte so einen guten Eindruck machen.« Und als Breslaus Bertram über Gemeinsamkeiten des Führers und des Papstes scherzte ("Der Heilige Vater ruft auch Heil, Heil!">, ergänzte der Wiener Kirchenfürst: »In den Schulen müssen die Geistlichen auch sagen »Heil Hitler -- Gelobt sei Jesus Christus!"«

Zwei der vier deutschen Kirchenfürsten hatten selber schon mit »Heil Hitler« gegrüßt: Faulhaber einmal im März 1934 bei einem Besuch des bayrischen NS-Innenministers Adolf Wagner und Innitzer zweimal in Briefen an den Wiener Gauleiter Josef Bürckel. Am 18. und 31. März 1938. im Monat des Anschlusses Österreichs, unterschrieb er jeweils ein Schreiben mit »Heil Hitler«.

Damals wurde er in Briefen empörter Katholiken »Nazi-Kardinal« und »größter Heuchler und Pharisäer« genannt. Diese braunen Flecken auf dem Kardinalspurpur versucht jetzt der österreichische Schriftsteller Viktor Reimann, 52, mit einer Biographie des Wiener Oberhirten zu tilgen*.

Der aus dem Sudetenland stammende Innitzer war Besitzer eines theologischen Lehrstuhls (1913 bis 1932), eines Ministersesseis (1929/ 30) und des Wiener Erzbischofsthrons (1932 bis 1955) gewesen. Doch nun sagt ihm sein Biograph Reimann nach, daß der gelehrte

* Viktor Reimann: »Innitzer -- Kardinal zwischen Hitler und Rom«. Verlag Fritz Molden. München -- Wien; 380 Seiten; 25 Mark.

Kirchenfürst stets »einen gewissen Hang zur Oberflächlichkeit« gehabt habe und daß er auch für andere Tätigkeiten ungeeignet gewesen sei. Er war laut Reimann »zu aufrichtig, um ein guter Diplomat, und zu impulsiv, um ein guter Politiker zu sein«.

Impulsiv handelte Innitzer, als am 11. März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten. »Ohne lange zu überlegen« (Reimann), schickte der Kardinal dem anrückenden Hitler ein Grußtelegramm entgegen: Die Glocken Wiens würden ihn beim Einzug begrüßen.

Und der sonst sparsame Kardinal -- er trug im Sommer keine Strümpfe unter der Soutane -- geizte nicht mit Jubelrufen. In der erzkatholischen »Reichspost« forderte der Erzbischof die Gläubigen auf, »am heutigen Sonntag, den 13. März, Gott zu danken dafür, daß die Revolution sich vollzog, ohne daß ein Tropfen Blut vergossen wurde, und für eine glückliche Zukunft Österreichs zu beten«.

Einen Tag später wurde der Österreicher Hitler in Wien so begeistert begrüßt wie kein Politiker vor ihm. Und bereits am 15. März 1938 empfing er den Kardinal Innitzer zu einer Audienz im Wiener Hotel »Imperial«. Die Unterredung dauerte eine Viertelstunde. Nach den Akten des Erzbischöflichen Ordinariats brachte der Kardinal »die Bereitheit der Katholiken zum Ausdruck, loyal zum neuen Staat zu stehen«. Das werde die Kirche nicht zu bereuen haben, antwortete Hitler gönnerhaft und sprach von einem »religiösen Frühling«. Der Kardinal glaubte, »eine Schlacht gewonnen zu haben« (Reimann).

Zusammen mit dem neuernannten Reichskommissar, Gauleiter Josef Bürckel, arbeiteten Innitzer und der Salzburger Fürst-Erzbischof Sigismund Waitz eine »Feierliche Erklärung« zur Volksabstimmung über den Anschluß ans Reich aus. »Mit dem Ausdruck ausgezeichneter Hochachtung und Heil Hitler!« schickte Innitzer am 18. März den endgültigen Text an Bürchel, und am 27. März wurde das Hirtenwort von allen österreichischen katholischen Kanzeln verlesen.

Kernsatz: »Am Tage der Volksabstimmung (10. April) ist es für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, daß sie wissen« was sie ihrem Volk schuldig sind.«

Seinem Klerus schrieb Innitzer noch zusätzlich, daß »der Kampf gegen die gefährliche Ketzerei des Bolschewismus ... offenbar ein Gegenstand des Segens göttlicher Vorsehung« sei.

In Österreich empfand nur eine Minderheit den Text als devot. Aus Deutschland jedoch erhielt der Erzbischof Briefe, in denen er als »größter Idiot der Welt« und als eine »Schande für uns Katholiken« bezeichnet wurde. Auch das Ausland urteilte »gnadenlos« (Reimann).

Doch die Entrüstung drang nur bis ins Vorzimmer des Kardinals. Das jedenfalls behauptet Reimann. Denn nur so kann er es sich erklären, daß Innitzer -- »arglos und politisch einfältig, wie er nun einmal war« -- noch ein zweitesmal einen »Heil Hitler«-Brief schrieb.

Als eine französische Nachrichtenagentur spekulierte, warum Innitzer wohl mit den Nazis zusammenarbeite, versicherte der Kardinal dem Gauleiter Bürckel am 31. März unaufgefordert: »Ich betone nochmals, die Erklärungen der Bischöfe wie überhaupt unsere Stellungnahme zur Wahl ist grundsätzlich zu werten als ein allein der Stimme unseres gemeinsamen deutschen Blutes entsprungenes Bekenntnis.«

Nun wurden auch dem Vatikan die nationalen Kapriolen seines Ostmark-Hirten zuviel. Ohne den Namen Innitzer zu nennen, verdammte das offiziöse Vatikanblatt »Osservatore Romano« am 25. März Innitzers Vorstellung, der NS-Kampf gegen den Bolschewismus sei »Gegenstand des Segens göttlicher Vorsehung«, als »krasse Blasphemie«. Und am 1. April machte das Blatt deutlich, daß die Erklärungen der österreichischen Bischöfe »ohne jede vorherige Verständigung mit dem Vatikan und ohne seine nachträgliche Approbation« abgegeben worden seien.

Der päpstliche Nuntius in Wien, Cigognani, drängte den Kardinal, zur »Kaltdusche« (Reimann) nach Rom zu fahren. Innitzer zögerte zunächst. Er reiste erst ab, als die amerikanische Nachrichtenagentur United Press es »für möglich« erklärte, daß der Kardinal sich mit dem Papst entzweien. »den Weg des Schismas gehen und eine deutsch-.katholische Kirche gründen« werde.

Am 5. April traf Innitzer in Rom ein. Damals regierte noch der Pius-XII.-Vorgänger Plus XI., der im Gegensatz zu seinem Nachfolger als strenger Hitler-Gegner galt.

Und der elfte Plus zeigte sich denn auch gegenüber Dinitzer, wie der Kardinal später berichtete, als ein »strenger Mann«.

Als der Wiener ihm sein Verhalten in den Märztagen erklären wollte, fuhr ihn der Papst an: »Eminenz! Haben auch Sie schon rosarote Brillen auf?« Und noch in Rom mußte Innitzer sein Hirtenwort zur Volksabstimmung so kommentieren, daß es fast wie ein Widerruf klang: Das Hirtenwort zur Volksabstimmung »wollte selbstverständlich keine Billigung dessen aussprechen, was mit dem Gesetze Gottes, der Freiheit und den Rechten der katholischen Kirche nicht vereinbar war und ist«. Und außerdem mußte der Kardinal, der damals nur gejubelt hatte, nun Forderungen der Kirche anmelden.

Die Erklärung wurde in Rom veröffentlicht und in der ganzen Welt verbreitet -- nur nicht im Deutschen Reich. Dort hatte die Regierung verboten, den Text auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Als Innitzer nach Wien zurückkehrte, wurde er zwar wiederum von Hitler zu einem Gespräch empfangen, über dessen Inhalt auch Reimann so gut wie nichts zu berichten weiß. Aber der »religiöse Frühling«, den Hitler in seinem ersten Gespräch mit Innitzer angekündigt hatte, war zu Ende. Zug um Zug wurde der Katholizismus in Österreich aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Und im Oktober 1938 verschärften sich die Gegensätze zwischen Staat und Kirche in Wien wie bis dahin in keiner anderen Kardinalsstadt.

Innitzer rief im Stephansdom 9000 Jungkatholiken zur Standhaftigkeit auf ("Laßt euch nicht abreden vom Glauben, wenn auch noch so viele gleißende Worte fallen"), und die Jugendlichen brachten ihn in einem Triumphzug in sein Palais zurück.

Am nächsten Tag antwortete die Partei: Hitlerjungen zertrümmerten 1200 Fensterscheiben des Erzbischöflichen Palais und stürmten den Kardinalssitz. Als sie den Kardinal nicht fanden (er hielt sich im Aktenarchiv versteckt), versuchten sie, Innitzers engsten Mitarbeiter, den Weihbischof Jakob Weinbacher, aus dem Fenster zu stürzen.

Und fünf Tage später zogen NS-Trupps durch die Straßen und hängten eine Puppe, gekleidet wie der Kardinal, an einem Galgen auf. Als die Braunhemden grölend und »mit gezückten Dolchen« (Reimann) am Palais vorbeizogen, saß der Kardinal in seinem Zimmer und -- so sein Biograph -- »zuckte bei jeder Beschimpfung, die zu ihm heraufdröhnte, zusammen«.

Sieben Monate lang hatte Innitzer überall als Kollaborateur gegolten. Nun schlug die Stimmung weithin um. Ausländische Bischöfe feierten Innitzer als Helden.

Auch im Wiener Witz wurde der Wandel deutlich: Die Nazis nannten den Kardinal Innitzer wieder wie einst »Inser Unnützer«, und die gläubigen Katholiken den trinkfreudigen Gauleiter Bürckel »Bierleiter Gaukel«.

Innitzer ging in die innere Emigration. Dafür -- so Reimann -- war er der »rechte Mann«. Seine Haupttat: Er schuf 1940 eine illegale Erzbischöfliche Hilfsstelle für katholische Juden. Laut Reimann hat Innitzers Büro »einige hundert« Juden vor der Gaskammer gerettet.

Allerdings: Öffentlich sagte Innitzer kein einziges Wort gegen die Verfolgung der Juden -- sowenig, wie es Papst Plus XII. je getan hat.

Als Innitzer am 14. Oktober 1955 im Stephansdom beigesetzt wurde, war auch der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde unter den über 100 000 Trauergästen. Reimann: »Er weiß, warum.«

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