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LIEBE Zu Fetzen gelesen

aus DER SPIEGEL 14/1964

Die Redaktion der Ostberliner Illustrierten »NBI« wurde wochenlang mit Post überschüttet. »Muß denn Liebe Ehe sein?« hatte das Bilderblatt seine Leser gefragt und zugleich das Ergebnis einer Meinungsforschung in einem volkseigenen Betrieb abgedruckt.

Die Interviewer hatten sich erkundigt: »Halten Sie intime Beziehungen zwischen unverheirateten Menschen für notwendig, zulässig oder verwerflich?«

Von 30 verheirateten Frauen stimmten acht fürt »notwendig«, 21 für »zulässig« und nur eine hielt solche Beziehungen für »verwerflich«. Von 38 Männern im selben Betrieb sagten zwölf »notwendig«, 21 »zulässig« und fünf »verwerflich«.

Die Illustrierten-Redaktion gab ihrem Publikum keinen Aufschluß darüber, ob sie diese Erkenntnisse über sozialistische Moral für DDR-typisch hält.

Die Themenwahl jedoch ist repräsentativ: Die Polit-Pädagogen der SED haben beschlossen, daß in der bislang betont prüden DDR-Presse nunmehr nicht mehr nur über die Liebe zur Arbeit und zur Partei, sondern auch über die Liebe zum anderen Geschlecht gesprochen werden darf.

Das FDJ-Zentralorgan »Junge Welt« zum Beispiel klärte seine jugendlichen Leser »Unter vier Augen« detailliert über Sexualfragen auf. Und »Junge Welt«-Leser Klaus Honigmann aus Burg bekannte: »Ich habe alle Beiträge an Jugendfreunde weitergegeben. 'Unter vier Augen' wurde zu Fetzen gelesen und diskutiert.«

Sogar das sonst staubtrockene SED -Zentralorgan »Neues Deutschland« entfachte eine Diskussion über die Fragen: »Ist es am besten, wenn ein Mädchen ledig bleibt?« und: »Wartet eine junge Frau nur auf Küsse?«

Das Liebeswerben der DDR-Presse hat freilich weniger romantische denn ökonomische Hintergründe. Ein amtliches Kommuniqué des SED-Politbüros wies die Richtung: »Man sollte über alle diese Probleme offen und vorurteilslos sprechen«, denn »tatsächlich ... greifen Probleme der Liebe und der Ehe in alle gesellschaftlichen Bereiche maßgebend ein.«

Gemeint war damit in erster Linie die Neigung der weiblichen DDRJugend, sich der von Partei wegen geforderten Berufsarbeit möglichst früh durch Mutterschaft und Ehe zu entziehen. Aus diesem Grunde auch wird die von der SED-Führung forcierte höhere berufliche Qualifizierung durch Abendkurse und Fernstudien von den meisten Jungbürgerinnen des Arbeiter und-Bauern-Staates abgelehnt.

Das frühzeitige Streben der DDR -Mädchen zum häuslichen Herd erklärt sich auch aus der Tatsache, daß 85 Prozent aller im ersten Ehejahr geborenen Kinder vorehelich empfangen werden.

Die Sexual-Psychologen der Partei empfehlen deshalb allen jungen DDR -Bürgern, das Liebesleben künftig mehr als bisher den Notwendigkeiten des sozialistischen Aufbaus anzupassen und ökonomisch -unerwünschte Frühehen nicht zu provozieren.

In der »Jungen Welt« erhob ein Dr. Heinz. Grassel diesen Parteiwunsch zu der Forderung, »daß möglichst vor Abschluß der beruflich-gesellschaftlichen Reife keine sexuelle Betätigung erfolgen soll«.

Als Ersatz empfahl Diskussionsteilnehmer Herbert Zerle in der Ostberliner Zeitschrift »Pädagogik« »eine ständige Sublimierung der Sexualität durch eine höhere und feinere Erotik«.

Zugleich entwarf Zerle das neue Bild vom DDR-Weib: »Nicht mehr der Schwachheit des Weibes« dürfe hinfort das Werben des Mannes gelten, sondern den »großartigen Leistungen als Berufstätige und Mitkämpferin für den raschen gesellschaftlichen Fortschritt«.

Eulenspiegel (Ostberlin)

»Ingemaus, wo du hingehst, da will auch

ich sein!« - »Weil du gerade vom Rübeneinsatz sprichst...«

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