USA / TRANS WORLD AIRLINES Zu spät und zuviel
Verhaltene Schadenfreude herrscht bei den Managern der amerikanischen Großindustrie, seit einem Bankenkonsortium der Einbruch in die private Konzern-Domäne des schon mit 56 Jahren sagenumwobenen Milliardärs Howard Hughes gelungen ist. »Einer der reichsten Männer der Welt und gewiß einer der sonderbarsten, die je aus Texas gekommen sind« - so die US-Zeitschrift »Fortune« - mußte die Kontrolle über seine Fluggesellschaft Trans World Airlines (TWA) aus der Hand geben.
Die Abneigung der Manager-Beamten von Industrie und Banken gegen Howard Hughes entspringt der Tatsache, daß er einer der letzten unabhängigen Großindustriellen des frühkapitalistischen Typs ist. Bis zu seiner TWA -Niederlage gebot Hughes unumschränkt über einen der größten US-Konzerne. Er bestand aus
- der Hughes Tool Company, die den größten Teil der von der Ölindustrie benötigten Werkzeuge und Bohrmaschinen liefert,
- der Hughes Aircraft Company, die elektronische Geräte für Militärzwecke herstellt und das größte amerikanische Unternehmen in diesem Industriezweig ist, und der Luftfahrtgesellschaft Trans World Airlines.
Hughes, dessen Vermögen 1955 auf mehr als zwei Milliarden Mark geschätzt wurde, war schon mit 18 Jahren, als er die Hughes Tool Company nach dem Tode seines Vaters übernahm, millionenschwerer« Großunternehmer. Nachdem seine Ehe mit einem Society-Mädchen aus der texanischen Metropole Houston nach kurzer Zeit geschieden worden war, entwickelte sich Hughes zum Einzelgänger und Exzentriker.
Derselbe Mann, der viele Millionen Dollar aus Firmengewinnen ins Filmgeschäft steckte und mit der Entdeckung des ersten Busen-Stars Jane Russell Hollywood-Geschichte machte (er entwarf für sie einen besonderen Büstenhalter), erschien vor einem Kongreß - Ausschuß gewollt lümmelhaft, in einem schmutzigen Hemd ohne Krawatte und einem zerknitterten Sportjackett, das er sich von seinem Kammerdiener geliehen hatte. Seine Handgelenke ragten aus Ärmeln hervor, die zehn Zentimeter zu kurz waren.
Die Lebensgewohnheiten des Konzernherrn entsprechen seinem vagabundenhaften Habit. Keinem seiner Geschäftsfreunde ist bekannt, wo Howard Hughes wohnt und ob er überhaupt einen festen Wohnsitz hat. Hughes pflegt für den Empfang von Besuchern eigens Wohnungen oder Hotelzimmer zu mieten, die außer Betten und leeren Wandschränken kaum etwas enthalten. »Nie sah ich ein Stück Papier in seiner Hand«, kolportiert ein Angestellter.
Howard Hughes erleichtert sich seine ambulante Existenz mit einer Flotte von Flugzeugen, darunter auch eine viermotorige Super Constellation, die 70 Passagiere befördern kann. Er verabscheut die persönliche Unterredung ebenso wie die persönliche Entscheidung. Die Direktoren seiner Unternehmen müssen oft wochenlang auf dringliche Entschlüsse warten, selbst vertrauliche Anordnungen trifft er telephonisch, nicht selten vom Apparat einer öffentlichen Sprechzelle aus.
Der Industrielle Carter L. Burgess, der 1957 elf Monate lang Generaldirektor von TWA war, hat Hughes nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen.
Während sich Hughes so gut wie unsichtbar und unerreichbar machte, benutzte er die Gewinne der ererbten Hughes Tool Company zum Ankauf immer neuer Unternehmen. So baute er auch seine 1939 erworbene 20-Prozent -Beteiligung an TWA bis zum vergangenen Jahr zur Majorität von 78,2 Prozent aus und erweiterte die Gesellschaft zu einem der größten Luftverkehrsunternehmen der Erde.
Trans World Airlines rangierte 1959 im internationalen Flugbetrieb amerikanischer Gesellschaften an zweiter Stelle hinter Pan American World Airways System, im inneramerikanischen Dienst auf dem vierten Platz. TWA war zugleich die einzige der großen internationalen Fluggesellschaften, die sich im Mehrheitsbesitz eines einzelnen befand.
Diesen Prestige-Erfolg erzwang Hughes auf Kosten der Minderheitsaktionäre. Die Gesellschaft hat in den 22 Jahren, in denen Hughes an ihr beteiligt ist, nur 1953 eine Dividende gezahlt. Ihre geschäftlichen Ergebnisse blieben weit hinter ihrem Ruf zurück. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 1958 büßte TWA fast 48 Millionen Mark ein. Kommentierte »Fortune": »Die Bilanzen erinnern an die Fieberkurve eines Patienten mit einer geheimnisvollen Infektion.«
Seine Geschäftsfreunde vermeinen auch das Virus entdeckt zu haben, das die Infektion hervorrief: des Konzernchefs Faible fürs Fliegen. Die Leidenschaft für Flugmaschinen trieb den Milliardär zuweilen so weit, sich wochenlang mit technischen Details, etwa mit den Grundrissen einer Bordküche, zu
befassen, während wichtige Entscheidungen aufgeschoben wurden.
Dabei ist die Gefahr, unversehens auf die Verluststrecke zu geraten, für Luftverkehrsunternehmen besonders groß. Der amerikanische Lufttransportverband beziffert den Gewinn je umgesetzten Dollar auf
- 15 Cent in der Elektro-Industrie,
- 7,6 Cent bei den Eisenbahnen,
- 7 Cent in der Automobilindustrie,
- 6,3 Cent im Industrie-Durchschnitt,
aber
- nur 3,3 Cent im inneramerikanischen Luftliniendienst.
Einen Weg aus der miserablen Ertragslage sahen die großen amerikanischen Fluggesellschaften in der Ablösung der Kolbenmotor-Maschinen durch die schnelleren Düsenflugzeuge mit ihrer größeren Ladekapazität. Die neuen Maschinen ermöglichen eine Herabsetzung der Flugpreise; außerdem konnte man
mit ihnen neue Passagierschichten für den Luftverkehr gewinnen.
Als sich die Direktoren der anderen Gesellschaften im Sommer 1955 entschlossen auf die Düsenkarte zu setzen, zögerte TWA. Flugzeugnarr Howard Hughes hatte die Entscheidung seines Vorstands blockiert; er ließ sich die Baupläne aller Düsen-Passagiermaschinen (Boeing, Douglas, Convair und Comet) und des Turboprop-Modells Britannia vorlegen und brütete fünf Monate länger über ihnen als die Konkurrenz.
Als Hughes endlich seinen Auftrag bei Boeing placierte, hatte er den Startschuß zum Sprint ins Düsenzeitalter verpaßt. Die Kapazität der Flugzeugfabriken war auf Monate hinaus durch die Lieferungen für Pan American Airways und American Airlines ausgelastet.
So konnten die TWA-Piloten mit ihren ersten Boeing-Jets erst starten,
als Pan American bereits zehn Monate lang die internationalen Strecken mit Düsenmaschinen beflogen hatte. Die verlorene Zeit bedeutete zugleich verlorenes Geld: Viele TWA-Kunden hatten auf die Vorteile des Düsenflugs nicht verzichten wollen und waren zur Konkurrenz abgewandert. Überdies sah sich Hughes gezwungen, während der Wartezeit auf die Jets seine Flugzeugflotte noch einmal mit Kolben-Maschinen aufzufrischen - für über 350 Millionen Mark.
Was er bei der Bestellung von Düsenmaschinen an Zeit verloren hatte, suchte Hughes durch Quantität wettzumachen. Er gab bei Boeing und General Dynamics, der Herstellerin von Convair-Maschinen, schließlich 63 Düsenflugzeuge für insgesamt 1,34 Milliarden Mark in Auftrag, die größte Bestellung für Düsenflugzeuge, die überhaupt vergeben wurde.
Es erwies sich bald, daß Hughes nach dem Motto »zu spät und zuviel« gekauft hatte. Zwar flogen die ersten an TWA ausgelieferten Jets sogleich rentabel und brachten der Gesellschaft im Sommer 1959 bereits Gewinne von 840 000 Mark pro Tag ein. Aber das in zehn Wartemonaten verschenkte Geld brachten sie nicht zurück.
Als sieben Düsenmaschinen geliefert worden waren, weigerten sich Boeing und General Dynamics, weitere Flugzeuge herzugeben, solange Hughes den Kaufpreis nicht in bar entrichte. Die beiden Flugzeugbau-Unternehmen sahen sich vor allem durch einen Regierungsbericht über die Kapitalversorgung der Luftlinien zur Vorsicht gemahnt, in dem Hughes geschäftlicher Leichtsinn vorgeworfen wurde: TWA hatte 1,3 Milliarden Mark Schulden auf sich geladen, deren Finanzierung nicht gesichert war. Die Verschuldung des Hughes-Unternehmens machte 42 Prozent der gesamten Verschuldung aller US-Luftfahrtgesellschaften aus.
Auch die Hughes Tool Company konnte ihren Chef nicht von den Geldsorgen befreien, da er ihr bereits den letzten verfügbaren Cent für die Anzahlung auf die Düsenflugzeuge abgepreßt hatte. Als die Bitten um Kredit, die der Texaner an die Direktoren von Boeing und General Dynamics richtete, nichts verschlugen, wandte sich Hughes an die Banken.
Damit gab er sich jedoch in die Hand seiner Gegner. Gerade bei den führenden Finanzleuten Amerikas hatte sich Milliardär Hughes mit seiner Tippelbruder-Attitüde und der Neigung, Bankdirektoren wie Dienstboten zu behandeln, mißliebig gemacht. Verschiedenen Banken und Investment-Gesellschaften hatte Hughes Abfuhren erteilt, als sie nach dem Kriege versuchten, Aktien seiner Unternehmen zu erwerben.
Auch die prekäre Finanzlage, in der Howard Hughes jetzt bei den Wall -Street-Bankiers um Unterstützung anhielt, brachte ihn zunächst nicht von seinen Gepflogenheiten ab. So rief er einen Bankier, der Geld für TWA lockermachen und über die Konditionen mit Hughes verhandeln wollte, spätabends an und forderte ihn auf, schriftliche Vorschläge zu unterbreiten. Eine persönliche Unterredung lehnte er ab, und der Finanzmann verzichtete.
So mußte sich Hughes schließlich härteren Bedingungen fügen. Ein Bankenkonsortium stellte den in die Ecke gedrängten TWA-Boß kurzerhand vor die Wahl, sein Schoßkind in fremde Hände zu geben oder auf jede finanzielle Hilfe für das bankrottreife Unternehmen zu verzichten. Andere Bedingungen waren in der Wall Street nicht zu erlangen. Hughes unterschrieb die Abdankung, mit der er seine TWA -Stimmrechte auf zehn Jahre einem dreiköpfigen Treuhänderausschuß übertrug.
Der ruhelose Sonderling mag sich indes an dem Gedanken aufrichten, daß seine Niederlage nicht allein falscher Unternehmensplanung, sondern auch einer seiner menschenfreundlichen Aufwallungen zuzuschreiben ist.
Im Jahre 1953 hatte er das Howard Hughes Medical Institute gestiftet und ihm die Eigentumsrechte an der Hughes Aircraft Company übereignet. Dieses Unternehmen ist heute rund 1,2 Milliarden Mark wert. Sinnierte »Fortune": »Wenn ihm dieses Vermögen noch gehörte, würde Hughes wahrscheinlich überhaupt keine Geldnöte kennen.«
Luftfahrt-Milliardär Hughes: Fieberkurven in der Bilanz