»ZU VIEL EHRE FÜR DEN KGB«
Herr Redakteur!
In Ihrer Zeitschrift vom 16. März 1970 habe ich einen nicht unterschriebenen Artikel über mich gelesen; dieser Artikel scheint die Meinung Ihrer Zeitschrift auszudrücken,
Es hat mich sehr gewundert, daß Sie, ohne irgendwelche konkreten Beweise zu erbringen, versuchen, bei Ihren Lesern den Eindruck zu erwecken, daß mein Buch »Wird die Sowjet-Union das Jahr 1984 erleben?« in Zusammenarbeit mit dem KGB geschrieben worden sei. Ähnliche Gerüchte sind, soweit es mir bekannt ist, zum erstenmal im November vorigen Jahres in der amerikanischen Zeitung »Washington Evening Star« erschienen. Ich habe eine ausführliche Erwiderung geschrieben, die in einigen amerikanischen und englischen Zeitungen publiziert wurde. Diese Erwiderung erwähnen Sie, trotz Wiederholung einiger Argumente des »Star«, mit keinem Wort.
Deswegen werde ich die von Ihnen wiederholten beleidigenden Anspielungen nicht widerlegen, daß meine Rückkehr aus der Verbannung und die Veröffentlichung einiger Artikel von mir durch die Presseagentur »Nowosti«, deren hauptamtlicher Mitarbeiter ich keineswegs war, irgendwelche Beziehung zum KGB haben.
Dies bat nur insoweit mit dem KGB zu tun, als der KGB im Jahre 1965 meine Verbannung nach Sibirien arrangiert und im Jahre 1968 das Ende meiner journalistischen Arbeit für APN ("Nowosti") und andere sowjetische Verlage angeordnet hatte.
Doch halte ich es für notwendig, auf einige Ihrer Behauptungen zu antworten, zumal ich denke, daß sie nicht böser Absicht, sondern einfach dem völligen Unverständnis der Bedingungen des russischen Lebens entspringen.
So sind Ihre Vergleiche meiner Person mit Gapon und Malinowski* und Ihre Anspielungen, Ziel meiner kritischen Aussagen über das russische Volk sei das Zerwürfnis des Volkes mit der demokratischen Opposition, nicht nur beleidigend, sondern auch einfach sinnlos. Im Unterschied zu Gapon und Malinowski gehöre ich keiner Organisation an, ich provoziere niemanden zu gemeinsamen Kundgebungen und drücke nur meine eigenen Ansichten aus, ohne sie als die Ansichten der demokratischen Opposition auszugeben.
Was meine scharfen Bemerkungen über die russische Geschichte und das russische Volk betrifft, so mache ich sie nur, weil ich selbst ein Russe bin und meine, daß mein Land jetzt weit mehr Selbstkritik als Selbstlob braucht. So verstehe ich auch ganz und gar nicht, warum Sie behaupten, daß mein Buch für westliche Leser geschrieben sei und durch Samisdat** nicht verbreitet wurde. Ich habe mein Buch erst an Samisdat geschickt, um den gewissenlosen und nicht von mir abhängigen Publizierungen zu entgehen. Seit Ende des vorigen Jahres hat mein
* Der russische Priester Gapon und der Bolschewik Maltnowski waren Spitzel der Geheimpolizei des Zaren.
** Samisdat -- »Selbstverlag« -: die sowjetische Hintergrundliteratur.
Buch aber eine außerordentlich breite Verteilung durch Samisdat erfahren.
Noch sinnloser und beleidigender -- nicht nur für mich persönlich, auch für die gesamte unabhängige russische Literatur -- ist die zitierte und offenbar auch von Ihnen geteilte Behauptung der Frau Bronska-Pampuch, daß die Verschickung des russischen Samisdat ins Ausland durch den KGB kontrolliert oder gar veranstaltet wird.
Außer meinen Büchern sind in den letzten Jahren im Westen publiziert worden: die Romane von Alexander Solschenizyn, die Erinnerungen von Anatolij Martschenko, die Gedichte von Natalja Gorbanewskaja, die Artikel des Akademie-Mitgliedes Sacharow und des Generals Grigorenko, die Dokumentarberichte der politischen Prozesse, durch Pawel Litwinow zusammengestellt, und vieles andere. Denken Sie wirklich ernsthaft, das alles sei auf Initiative des KGB vorbereitet oder nach dem Westen verschickt worden?
In der Tat hatte der KGB versucht, einige Manuskripte zu verschicken, allerdings nur dann, wenn das den Absichten des Autors entgegenstand oder ihm schaden konnte -- so war es mit dem »Festmahl der Sieger« von Alexander Solschenizyn oder mit dem Tagebuch der Swetlana Allilujewa. Daraus solche umfassenden Schlußfolgerungen zu ziehen, ist einfach nicht gewissenhaft.
Ich nehme an, daß der KGB die begeisterte Charakteristik, die Sie ihm in Ihrem Artikel geben, überhaupt nicht verdient. Sicher ist das Komitee für Staatssicherheit (KGB) eine in größerem Maße operative und dynamische Organisation als, sagen wir: das Komitee für Arbeit und Löhne. Trotzdem ist der KGB ein Teil des verknöcherten bürokratischen Systems, nach dessen Grundsätzen er geleitet wird.
(Sie schreiben, daß ich den KGB nicht zu der von mir kritisierten »bürokratischen Elite« rechne, die er nur mit Informationen versorgt. Ohne Zweifel, die Versorgung der Elite mit Information über die Stimmungen im Lande kommt hauptsächlich aus dem KGB-Apparat. Daraus kann man aber auf keinen Fall schließen, daß die höchsten KGB-Ränge nicht zu dieser Elite gehören. Ohne die Rolle des KGB im Sowjet-System zu verkleinern -- deren ganzer Umfang nur sehr wenigen bekannt ist -, will ich doch vermerken, daß dies nicht mehr die außerordentliche Rolle der Geheimpolizei unter Stalin ist.)
Es ist weiterhin durchaus möglich, daß im KGB, wie Sie schreiben, jetzt auch hochgebildete. gut informierte junge Leute arbeiten, die »keine Illusionen« haben. Jedoch stehen unbeholfene Provokationen etwa unter Teilnahme von Viktor Louis, an den Sie auch erinnern -- nicht für den »hohen Intellektualismus« des KGB. Für den KGB wäre es zu viel Ehre, wenn mit ihm Leute zusammen arbeiten würden wie ich.
Ich denke, daß Gerüchte, ich sei ein Agent des KGB, durch den KGB selbst verbreitet werden, teilweise über seine Leute in den russischen Emigranten-Organisationen im Westen. Das Ziel dieser Gerüchte ist nicht nur, mich persönlich zu verleumden und gerade dadurch den Erfolg meines Buches zu stören -- eines Buches, das im bürokratischen Regime Unbehagen auslöst -, sondern auch Reklame für den KGB selbst zu machen als einer Organisation, die alles weiß und alles verwaltet.
Diese Gerüchte können unbestreitbar einen Erfolg bei denen haben, deren Denken auf Verbeugung vor der Organisation gedrillt wurde -- ob es die Nation ist, die Partei oder die Polizei -- und in der Verachtung des Individualismus und der menschlichen Persönlichkeit.
Diese Gerüchte versuchen Sie dadurch zu bestätigen, daß ich bis jetzt noch nicht verhaftet wurde. Ich kann nur das wiederholen, was ich schon einmal sagte: Nach dem Propaganda-Mißerfolg der Sinjawski-Daniel-Gerichtsverhandlung wollen die Behörden keine lauten Prozesse gegen Schriftsteller, da sie die Aufmerksamkeit der Welt nicht auf deren Bücher und die Grausamkeit solcher Prozesse lenken wollen. Ich bin nicht der einzige sowjetische Schriftsteller, der im Ausland gedruckt wird und sich trotzdem in Freiheit befindet.
Die Behörden sind jetzt mehr an Gerüchten interessiert, daß ich ein Agent des KGB sei, als an meiner Verhaftung. Ich denke aber, daß ich, wenn das Interesse an mir und meinen Büchern im Westen sinkt, dann verhaftet und anhand irgendeines falschen Dossiers vor Gericht gestellt werde; meine Bücher aber werden dann vor Gericht nicht einmal erwähnt. Sicher, es könnte sein, daß man mit mir auch anders verfahren würde.
Bislang nutze ich tatsächlich eine größere Freiheit als viele Sowjetbürger. Diese Freiheit aber verdanke ich mir selbst. ICH WILL FREI SEIN -- eben deshalb handele ich so, wie jeder freie Mensch handeln kann und muß. Ich gebe meine Bücher unter meinem Namen heraus und will alle Autorenrechte ausnützen. Selbst im Gefängnis, selbst wenn man mich ins Gefängnis steckt, hoffe Ich, freier zu bleiben als Millionen meiner und Ihrer Landsleute, die »in der Freiheit« Hurra für Stalin und Hitler schrien und an die Allmacht der von ihnen geschaffenen Organisationen glaubten.
Ich hoffe, daß Sie meinen Brief ungekürzt in Ihrer Zeitschrift publizieren.
2. April 1970 Andrej Amalrik Moskau, Wachtangow-Straße Nr. 5 Wohnung Nr. 5