SELIGSPRECHUNGEN Zu wenig Zeit
Der oberpfälzische Markt Konnersreuth (1266 Einwohner, ein Postamt, eine katholische Pfarrei, sechs Gaststätten, 209 Wohngebäude) ist seit vier Jahren keine Touristen-Attraktion mehr. Doch er soll es wieder werden.
Am 18. September 1962 starb dort Therese ("Resi") Neumann, jahrzehntelang wegen ihrer Stigmata (Wundmale) verehrt als »Therese von Konnersreuth«. Und dieselben Katholiken, die einst öffentlich die Schneiderstochter wie eine Heilige verehrten, sind jetzt hinter den Kirchenkulissen bemüht, eine Seligsprechung der Stigmatisierten zu erreichen und damit Konnersreuth erneut zu einem Wallfahrtsort zu machen.
Sie überschwemmen den Regensburger Bischof Rudolf Graber mit Bittschriften, es möge endlich der Prozeß eingeleitet werden, der nach katholischem Kirchenrecht für jede Selig- und Heiligsprechung notwendig ist.
Doch wie schon zu Lebzeiten der Stigmatisierten hält die höhere Geistlichkeit auch heute Distanz zum Konnersreuth-Kult. Nüchtern verlautbarten die Regensburger Domkapitulare: »Es muß der kirchlichen Obrigkeit überlassen bleiben, anhand der Bestimmungen und der kirchlichen Praxis den Zeitpunkt dafür zu bestimmen.«
Um die junge Therese hatten sich zunächst nicht Geistliche, sondern Ärzte bemüht. Anfang 1920 wurde bei der damals Zweiundzwanzigjährigen im Auftrag der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft »schwerste Hysterie« festgestellt. Sechs Jahre später setzten erste Passions-Visionen ein, nach und nach bildeten sich immer mehr Stigmata.
Da die Konnersreutherin außerdem angeblich nichts mehr aß, interessierte sich der Bischof von Regensburg für dieses schnell von Legenden umwucherte Kind der Kirche. Vier Ordensschwestern beobachteten Therese 14 Tage lang und registrierten keinerlei Nahrungsaufnahme. Doch eine solche Beweisführung erschien dem Bischof gar zu dilettantisch. Beim Konnersreuther Dorfpfarrer und Therese-Verehrer Franz Naber erschienen zwei Domkapitulare mit einem Dekret des römischen Heiligen Offiziums: Therese Neumann habe sich zur wissenschaftlichen Untersuchung in ein Krankenhaus zu begeben. Sie begab sich nicht und ließ erklären, sie lebe von einer Hostie am Tag.
Bereits 1927 faßte der Jesuitenpater Robert Leiber - der später als Berater des Papstes Pius XII. in Rom tätig war - die Zweifel der gebildeten Kleriker in einem katholischen Blatt zusammen: »Die Kirche ist aber den nach außen hervortretenden Erscheinungen gegenüber . . . sehr zurückhaltend, um so zurückhaltender, je mehr sich diese Erscheinungen, wie im Konnersreuther Falle, geradezu unheimlich häufen (Stigmata, Ekstasen, Visionen, Prophezeiungen, Nahrungslosigkeit).«
Denn im 20. Jahrhundert sind Stigmatisierte auch für viele gläubige Katholiken keine übernatürlichen Wunder mehr, sondern medizinische Fälle: weibliche (und nicht selten männliche) Hysteriker meist einfacher Schichten, die in der Regel während ihres ganzen Lebens über Schmerzen klagen und oft Zeichen von Persönlichkeitsspaltung bieten.
Wirkliche Popularität wurde dem Oberpfälzer Phänomen erst nach dem Kriege zuteil. Alljährlich während der Karwoche fielen amerikanische Besatzer in Konnersreuth ein. Dutzende von Landpolizisten regelten den Verkehr: »Die Amis nach links treten, die Deutschen nach rechts.« Im Geschwindschritt wurden Abertausende durch einen Raum mit Wellensittichen und blumengeschmückten Heiligen-Öldrucken getrieben; dazwischen lag, das wachsbleiche Gesicht mit Strömen getrockneten Blutes überzogen, Therese im Bett.
1951 brachen die Wundmale nicht auf, und Pfarrer Naber verkündete über einen Lautsprecher, daß »der Therese Neumann in diesem 25. Jubiläumsjahr ihrer Passion die Höhepunkte des Leidens geschenkt« - erlassen - würden. Als sie 1956 nicht blutete, wußte der Geistliche wiederum den Grund: Das geschehe zur Erinnerung daran, daß Christus mit 30 Jahren seine Lehrtätigkeit begonnen hatte. 1959 floß nur wenig Blut; Nabers Begründung: Der Heiland sei im Alter von 33 Jahren gestorben, und deshalb nehme er Rücksicht auf die 33. Passion der Resi.
1952 betonte das Erzbischöfliche Generalvikariat München, daß den »Vorgängen in Konnersreuth keine andere als menschliche Glaubwürdigkeit zugesprochen werden kann, solange die Kirche hierüber nicht anders entschieden hat«. Und im vergangenen Monat machte das »Regensburger Bistumsblatt« publik, Bischof Graber habe »angeregt, daß ein anerkannter Historiker eine wissenschaftlich fundierte Dokumentation über das Leben der Therese Neumann erarbeitet«
Außer dieser Anregung hat sich bislang in Sachen Seligsprechung nichts getan. Unabdingbar dafür sind nach katholischem Kirchenrecht neben diversen Tugenden, die »in heroischem Maße« vorhanden sein müssen, zwei bis vier Wunder, die nach Anrufung des »Dieners Gottes«- geschehen sind.
Zwei solche Wunder - die Heilung einer Holländerin von schwerem Rheuma und einer Katholikin aus Zwiesel im Bayrischen Wald von Leukämie - lancierten die Therese-Anhänger in den letzten Jahren triumphierend in die Zeitungen. Doch die fundierten ärztlichen Atteste, die der nunmehrige Ortspfarrer Josef Schumann wiederholt anforderte, sind bis heute nicht bei ihm eingetroffen.
Schumann neuerdings: »Ich halte mich da 'raus.« Und ein Vertrauter des Regensburger Bischofs diplomatisch: »Mit einer Seligsprechung ist meines Erachtens in den nächsten Jahrhunderten schon deshalb nicht zu rechnen, weil die Kirche nach dem Konzil viel zuviel Arbeit hat, ihre Reformbeschlüsse auszuführen. Für die Resi bleibt da wenig Zeit übrig.«
Stigmatisierte Therese Neumann
Prozeß erbeten