VERFASSUNGSSCHUTZ Zucht im Amt
Im Jahre 1956 stieß ein Buchprüfer des Berliner Senats bei der Sichtung von Ausgabenbelegen des Berliner Verfassungsschutzes auf eine Quittung von 50 Pfennig für ein Kaffeesieb. Die Verfassungsschützer weigerten sich zunächst, den Verwendungszweck des Küchengeräts mitzuteilen; sie beriefen sich auf Geheimhaltungspflichten.
Erst als der Senat dem Verfassungsschutz Regreß für alle unbegründeten Zahlungen androhte, wurde preisgegeben, wozu das Sieb benutzt worden war: zum Seihen von Geheimtinte.
Diese Bagatell-Affäre ist noch jetzt erhellend für die Schwierigkeiten des Berliner Senats, den einheimischen Verfassungsschutz zu kontrollieren. Was mit 50 Pfennig gemacht wird, kann er gerade noch erfahren - was mit der Tinte angestellt wird, nicht mehr.
Denn der Berliner Senat hat nur Disziplinargewalt über die Verfassungsschützer, politische Kontrollbefugnisse hat er nicht: Der Verfassungsschutz - 1952 durch ein Gesetz des Abgeordnetenhauses begründet - untersteht in Berlin der direkten Weisung der alliierten Sicherheitsoffiziere. Nur über ein Kontakt-Referat bei der Innenverwaltung hat der Senat eine beschränkte Einwirkungsmöglichkeit.
Schon seit langem möchte Pastor Albertz, Bürgermeister und Innensenator, die Polit-Erkunder in »strenge Zucht und Ordnung« (Albertz) nehmen. Ihm behagt es nicht, daß sich der Verfassungsschutz unter dem Schutzschild deutsch-alliierter Mischkompetenz der Verantwortlichkeit des Senats entzieht.
Das Außenseiter-Dasein der Verfassungshüter wurde denn auch gelegentlich Thema deutsch-alliierter Dispute, zum letztenmal im Januar dieses Jahres. Damals hatte auf Anordnung der Besatzungsoffiziere der Verfassungsschutz-Amtsleiter Heinz Wiechmahn »dem Bürgermeister auf bestimmte Fragen objektiv unwahre Angaben« (so ein Senatskommunique) gemacht.
Der Verfassungsschutz war in Besitz einer Liste prominenter Politiker gekommen, die angeblich zum Kundenkreis des unter dem Verdacht des Landesverrats verhafteten Hans Helmcke zählten - damals Besitzer der Amüsier -Pension »Clausewitz«. Das Papier erwies sich zwar als Falschmeldung. Dennoch legte es Wiechmann den Sicherheitsoffizieren der Besatzungsmächte vor; und diese entschieden, daß dem Senat keine Kenntnis davon zu geben sei.
Bürgermeister Albertz hörte von der Sache, und auf seltsame Weise fügte es sich auch, daß er in Besitz des Wiechmann-Papieres kam. Am 28. Januar bestellte er Amtsleiter Wiechmann zum Rapport ins Schöneberger Rathaus. Dreimal fragte er nach der Existenz der Helmcke-Liste. Dreimal leugnete der Verfassungsschützer. Beim dritten Nein wurde er vom Bürgermeister aus dem Zimmer und aus dem Amt gefeuert (SPIEGEL 9/1965).
Widerstrebend schlossen sich die Alliierten damals der deutschen Spontan -Entscheidung an - freilich nicht, ohne den Brandt-Stellvertreter Albertz öffentlich zu desavouieren. Denn sie bescheinigten Wiechmann, er habe »wirkungsvoll zur Gewährleistung der Sicherheit Berlins« beigetragen, und taten bei dieser Gelegenheit kund, daß »gewisse Fragen ... der gemeinsamen Beratung ... eine weitere Prüfung erfordern«.
Die »gewissen Fragen« waren die Kompetenzprobleme um den Berliner Verfassungsschutz; die »weitere Prüfung« dauert seit elf Monaten an. Die Forderung des Senats, den Verfassungsschutz der Dienstaufsicht des Innensenators zu unterstellen, scheiterte bislang am Veto eines Alliierten: der Franzosen.
Erst Ende letzten Monats beklagte sich Francois Binoche, Frankreichs General in West-Berlin, in einer Teerunde vor West-Berliner Lokalreportern über die Reorganisationspläne des Senats. Er hält weiterhin eine Besatzungsaufsicht für erforderlich.
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Berliner Bürgermeister Albertz: Wer kontrolliert das Kaffeesieb?