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MILITÄRSEELSORGE Zucht und Maß

In geheimen Beschlüssen wurde die Militärseelsorge schon konstituiert, bevor Staat und Kirchen ihr eine gesetzliche Grundlage gaben. Ein Wissenschaftler entdeckte zahlreiche neue Dokumente.
aus DER SPIEGEL 49/1973

Es gab erst wenige Kompanien der Bundeswehr, als im Dezember 1955 der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem westfälischen Prälaten Hermann Kunst kommissarisch die Geschäfte eines Militärbischofs übertrug. Aber: »Über die Beauftragung darf zur Zeit in der Presse nicht berichtet werden.«

Auch als Kunst zwei Jahre später, im Dezember 1957, endgültig zum Militärbischof ernannt wurde, erklärte der EKD-Rat dies wiederum zur Geheimsache. wenn auch aus anderem Grund: Mittlerweile amtierte Kunst auch öffentlich als Militärbischof, und es sollte nicht bekannt werden, daß ihm der Bischofs-Titel eigentlich noch gar nicht zustand.

Die beiden Kunst-Förderungen gehören zu den Anfängen der Militärseelsorge: In geheimen Beschlüssen wurde sie schon konstituiert, bevor der Staat und die beiden Kirchen ihr eine gesetzliche Grundlage gaben.

Fast zwei Jahrzehnte lang blieb die Frühzeit der Bundeswehr-Seelsorge im dunkel. Erst diesen Monat wird ein detaillierter Bericht erscheinen**. Autor ist der evangelische Theologie-Privatdozent Wolfgang Huber, 31 (Universität Heidelberg), der einen Teil seiner Habilitationsschrift der evangelischen Militärseelsorge widmete und viele bislang völlig unbekannte Akten benutzte.

Veröffentlicht wird Hubers Arbeit zu einer Zeit, in der die Militärseelsorge unter Beschuß geraten ist. Die Autoren des FDP-Kirchenpapiers ebenso wie zahlreiche pazifistische und progressive Pfarrer verlangen, daß Kirche und Kaserne, Gottes- und Wehrdienst getrennt werden. Gegenwärtig wird die Militärseelsorge von Pfarrern ausgeübt, die Staatsbeamte sind und aus dem Verteidigungsetat bezahlt werden. Sie sind hauptsächlich mit Lebenskundlichem Unterricht beschäftigt, der Teil des militärischen Dienstplans ist. Laut Zentraler Dienstvorschrift 66/1 des Bundesverteidigungsministeriums fördert die Militärseelsorge »die charakterlichen und sittlichen Werte in den Streitkräften und hilft die Verantwortung tragen, vor die der Soldat als Waffenträger gestellt ist«.

Bei seinen Recherchen kam Wolfgang Huber zu dem Schluß, daß diese enge Verquickung von Staat und Kirche verfassungswidrig ist, denn Grundgesetz-Artikel 140 befiehlt deren Trennung: »Es besteht keine Staatskirche.«

Aber das Grundgesetz war erst zweieinhalb Jahre alt, als der Staat und beide Kirchen sich schon einig waren, die Militärseelsorge so zu praktizieren, daß gegen den Geist und womöglich, auch gegen den Buchstaben dieses Artikels verstoßen wurde.

Bereits im November 1951 versicherte der EKD-Ratsvorsitzende, Berlins Bischof Otto Dibelius, dem Bundeskanzler Konrad Adenauer bei einem Treffen in Königswinter, die evangelische Kirche werde die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht fördern, aber auch nicht behindern. Und im März 1952 stimmte der EKD-Rat insgeheim »dem Plan zu, den Aufbau der evangelischen Seelsorge in etwaigen deutschen Einheiten durch einen Vertrag zwischen Staat und Evangelischer Kirche in Deutschland zu regeln«.

Damals gehörten dem Rat der EKD wie den anderen kirchlichen Spitzengremien noch Christen aus beiden deutschen Staaten an. Die höchste EKD-Verwaltungsstelle, die Kirchenkanzlei, warnte vor politischen Komplikationen: Ein Vertrag über westdeutsche Militärseelsorge sei doch wohl kaum denkbar, »solange die Zweiteilung

* Beim Besuch einer Luftwaffeneinheit am Radargerät

** Wolfgang Huber: »Kirche und Öffentlichkeit«. Ernst Klett Verlag, Stuttgart; 744 Seiten; 40 Mark.

Deutschlands dauert und die EKD auch die östlichen Gliedkirchen vertritt, denen aus dem Abschluß eines Staatsvertrages über den Aufbau einer Seelsorge in etwaigen deutschen Streitkräften Nachteile erwachsen könnten.

Doch ausgerechnet bei einer Tagung in der DDR (in Dresden) wies der gesamtdeutsche Rat der EKD im Oktober 1953 diesen Einwand zurück: »Bedenken hinsichtlich der Beteiligung der Ratsmitglieder aus der DDR dürften nicht bestehen.«

Kunst wurde aufgrund gesamtdeutscher Beschlüsse westdeutscher Militärbischof (er blieb es bis 1972). Auch das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr und die Wehrbereichsdekane gab es schon, und »die Militärseelsorge war in ihren Grundzügen eingerichtet« (Huber). als sich die Synode -- das Parlament -- der EKD im Juni 1956 mit der Frage befaßte, ob es überhaupt eine Militärseelsorge geben solle.

Die Synodalen waren über die geheime Konstituierung nicht im Bilde und wollten sich die Entscheidung vorbehalten. Sie vertrauten dem Rat, der sich verpflichtet hatte, nichts endgültig zu entscheiden, bevor nicht die Synode durch »Gesetz die Rechtsgrundlage schafft. Die Synode sprach »die Erwartung aus, daß der Beschluß des Rates beachtet wird und daß keine neuen Tatsachen geschaffen werden, die die Evangelische Kirche in Deutschland in dieser Sache binden«.

Der Rat hielt sich nicht daran. Acht Monate später, am 22. Februar 1957, unterzeichneten Bischof Dibelius und Kanzlei-Präsident Brunotte zusammen mit Adenauer und Verteidigungsminister Strauß den Militärseelsorge-Vertrag. Die gesamtdeutsche Synode könnte daran keinen einzigen Buchstaben mehr ändern und ihm nur insgesamt zustimmen oder ihn ablehnen. Trotz ihrer »ohnmächtigen Lage« (Huber) fand sich unter den Synodalen eine Zweidrittelmehrheit für den Vertrag.

In der DDR begann eine regierungs- und parteiamtliche Kampagne, in der die EKD als »Nato-Kirche« apostrophiert wurde und die erst mit der Spaltung der EKD im Jahre 1969 endete.

Daß der bundesdeutsche Staat die Militärseelsorge für viel nützlicher hält, als es die Kirche wahrhaben will, belegt Huber mit vielen Funden.

Schon in den »Grundzügen der Militärseelsorge« der Dienststelle Blank aus dem Jahre 1954 wurde das »echte Interesse« des Staates damit begründet, daß »der Wert seiner Streitkräfte von Charakter und seelischer Einstellung der Soldaten nicht weniger abhängt als vom waffentechnischen Ausbildungsstand«. Nur dürften von den Pfarrern, wie dasselbe Amt in einem anderen Schriftstück festhielt, »nicht Tendenzen gepflegt werden, die den Kampfgeist und die Moral der Truppe schwächen«.

Und auch noch in einer Studie, die der damalige Heeresinspekteur General Schnez 1969 ausarbeiten ließ, wurden die Seelsorger »zur strikten Loyalität gegenüber dem Auftrag der Streitkräfte« verpflichtet. Gerate ein Militärseelsorger »in einen inneren Gegensatz zu den militärischen Erziehungsmaximen«. so müsse er abgelöst werden,

Vor allem in dem Lebenskundlichen Unterricht sieht Huber angesichts solcher Forderungen einen massiven Versuch der »Instrumentalisierung der Religion zu militärischen Zwecken«.

Getrennt lehren die Kirchen, was der Staat von ihnen verlangt: »In besonderer Weise soll der Lebenskundliche Unterricht dem einzelnen Soldaten die Verantwortung für seine Lebensführung klarmachen, ihn die Notwendigkeit von Selbstzucht und Maß erkennen lehren und sein Pflichtbewußtsein stärken.«

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