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BISCHÖFE Zucht und Scham

Die katholischen Bischöfe sind sich darüber uneinig geworden, welche Moral sie predigen sollen.
aus DER SPIEGEL 4/1972

Die Umweltverschmutzung ist nur das »grauenhafte Zeichen einer viel schlimmeren Verschmutzung, nämlich durch Porno und Sex, und am Ende steht der biologische Tods. So predigte es zum Jahreswechsel Regensburgs Bischof Rudolf Graber.

Ähnlich wie er sprachen auch andere katholische Bischöfe. Nichts bedroht die Deutschen so sehr wie die Pornographie, wollte man den katholischen Oberhirten der Bundesrepublik glauben. Denn vor nichts anderem warnten sie häufiger in ihren Predigten und Ansprachen am letzten Tag des alten oder am ersten Tag des neuen Jahres.

Es sind nach katholischer Tradition in den meisten Diözesen neben den Hirtenbriefen zur Fastenzeit die wichtigsten, alljährlich wiederkehrenden Verlautbarungen der Bischöfe. Sie werden zwar in der Öffentlichkeit kaum beachtet, kirchenintern aber fast wie heilige Texte behandelt. Sie sollen dem Volk helfen, Vergangenes und Künftiges im rechten christlichen Licht zu sehen.

Zumeist halten die Bischöfe, die zu Gottesdiensten mit Mitra und Krummstab einziehen, ihre Reden von den Kanzeln ihrer Dome. Die Bistumsblätter drucken die Texte durchweg im Wortlaut ab.

Ein Vergleich der Bischofsworte offenbart, was die Mitraträger noch immer gern verbergen: In wichtigen Punkten sind sie sich nicht mehr einig. Im verflossenen Jahr blieb nicht verborgen, daß sich eine ansehnliche Minderheit von jeweils einem Drittel der Bischöfe für die Zulassung verheirateter Priester und für das Weiterbestehen des Wochenblatts »Publik« ausgesprochen hatte, sich aber nicht durchsetzen konnte.

Wie die Jahreswechsel-Reden zeigen, gehen die bischöflichen Ansichten auch über andere 1971er Ereignisse auseinander. Die Bischofssynode in Rom zum Beispiel, die im vergangenen Herbst mit Mehrheit den Zölibat bekräftigte, ist für Regensburgs Graber ein »Lichtpunkt« und für Augsburgs Josef Stimpfle ein »Höhe- und Wendepunkt« in der Kirchengeschichte. während es Triers Weihbischof Jacoby weniger punktuell sieht: Er macht sich »das negative Urteil« über diese Tagung zu eigen.

Und nicht einmal mehr über ihr weltliches Thema Nummer eins -- die Sexualität -- haben die Bischöfe noch eine halbwegs gleiche Meinung.

Zwar verdammen sie fast alle die Pornographie. Aber einige -- wie Münchens Julius Kardinal Döpfner -- begnügen sich damit, das Stichwort zu geben. Andere -- wie Triers Jacoby -- predigen gegen den gedruckten Schmutz noch wortreicher als gegen eine Lockerung der Strafbestimmungen für Abtreibung. die von allen Bischöfen strikt bekämpft wird. Jacoby: »Die ganze Betonung des Sexuellen, die sogenannte Beseitigung der Tabus und aller Scham ... reduziert den Menschen auf diesen Bereich und ist darum nicht mehr menschlich.«

Doch selbst mit seiner Unmenschlichkeits-These bleibt der Weihbischof weit hinter drei Bischöfen zurück, die sich über angeblich drohende sittliche Gefahren ereifern: Bambergs Erzbischof Josef Schneider, Augsburgs Bischof Stimpfle und Hildesheims Bischof Heinrich Maria Janssen.

Der Bamberger Erzbischof beklagt sich darüber, »welche Absenkung der sittliche Spiegel in bezug auf Zucht und Scham in unserer Gesellschaft erfahren hat«. Es würden nicht nur »die Gesetze des geschlechtlichen Lebens immer mehr mißachtet«. Unter der Jugend drohe sogar »eine sittliche Begriffsverwirrung Platz zu greifen, die fast unter Heiden undenkbar ist«.

Während andere deutsche Bischöfe seit Jahr und Tag über das Pillen-Verbot Papst Pauls VI. schweigen oder sogar so deutlich wie möglich den Frauen den Gebrauch der Pille freistellen, hält der Bamberger Oberhirte es noch immer für »besorgniserregend, daß man in der Frage der Geburtenregelung alle Methoden der Empfängnisverhütung moralisch auf die gleiche Stufe stellt«. Und ausführlich zitiert er aus der Anti-Pillen-Enzyklika, die andere Bischöfe seit drei Jahren fast so ignorieren, als sei sie nie geschrieben worden.

Augsburgs Stimpfle hält es nicht nur für notwendig, »sich zu stemmen gegen die pornographische Schmutzflut, die sexualisierte Mode, die schamlose Enthüllung der familiären Intimsphäre in Wort und Bild, die wachsende Verschmutzung der Innenwelt«. Er hält all dies für das Werk politischer Feinde und zitiert zum Beweis Lenin: »Wenn wir eine Nation vernichten wollen, so müssen wir zuerst ihre Moral vernichten. Dann wird uns die Nation als reife Frucht in den Schoß fallen.«

Hildesheims Janssen sieht den Feind sogar schon in den eigenen katholischen Reihen: »Ich glaube, wir machen uns zu wenig klar, von welch kirchenfeindlicher Gesinnung weite Kreise selbst bis in die Kirche hinein sich haben gefangennehmen lassen.«

Mehrfach warnt Janssen vor »Zersetzung«. Sie erfolgt nach Ansicht dieses Bischofs nicht nur durch Pornographie, sondern mittelbar auch durch »die Entwicklung unseres Verhältnisses zum Osten«. Der Bischof äußerte sich hierzu »nicht aus der Sicht der Politik, sondern aus der Sicht der Seelsorge«.

Seelsorger Janssen: »In welchem Ausmaß wird kommunistisches Ideengut auch bei uns Raum gewinnen, wenn unsere Orientierung an den sozialistischen Systemen des Ostens immer stärker wird? Der Bolschewismus mit seiner Religionsfeindlichkeit hat sich nicht geändert, und eine Orientierung an ihm ist eine tödliche Gefahr. Zweidrittel unseres ehemaligen Vaterlandes stehen heute unter seinem Einfluß. Sind wir uns der Gefahr bewußt, die uns hier auch in der Bundesrepublik droht? In welchem Maße ist die kommunistische Unterwanderung schon vor sich gegangen?«

Eine solche Polit-Predigt im altdeutschen Stil hielt zum Jahresbeginn 1972 kein anderer Bischof. Lediglich Regensburgs Graber sagte ein dunkles, ihm selber »unheimliches« Wort, das womöglich in die gleiche Richtung weist.

Als Graber auf die Bemühungen um die »Entspannung zwischen den Großmächten« zu sprechen kam, zitierte er den Apostel Paulus: »Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, dann kommt das Verderben plötzlich über sie.«

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