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KABELFERNSEHEN Zug in Gang

Springer, Burda und Österreichs Kanzler Kreisky sind an einem, multinationalen TV-Verbund beteiligt, den ein ungarischer Medienmakler gegenwärtig einfädelt. Geschäftsziel: Fernsehprogramme über Kabel.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Der Kurort Lech in Vorarlberg breitet sich 1450 Meter hoch auf der Sonnenseite des Arlbergs -- und lag doch jahrzehntelang im Schatten: Hinterm Gebirge waren Funk und Fernsehen nur verschleiert zu empfangen. Erst eine Gemeinschaftsantenne auf dem Rüfikopf versorgt nun die 1200 Einwohner und ihre Gäste störungsfrei mit österreichischen und fremdländischen Programmen. Nicht anders im schweizerischen Zürich. Hier wurden rund 100 000 Haushalte am Stadtrand und im Umland über Drahtanschlüsse an Gemeinschaftsantennen für Bild und Ton gekoppelt -- bislang das größte derartige System in Europa. Und in Nürnberg, Hamburg, Düsseldorf, wo Hochhäuser ganze Stadtareale von Köpckes Nachrichten und Thoelkes Wum abschatten, hat die Post insgesamt mehrere tausend Rundfunkanschlüsse verkabelt -- genug für zusätzlichen Aufwand, um außer dem heimischen TV auch Fernsehprogramme aus der Nachbarschaft, vom Stuttgarter Südfunk (in Nürnberg), aus der DDR (in Hamburg) und aus Holland (in Düsseldorf), einzuspielen. Allenthalben in den drei Anrainerstaaten, in der Schweiz, Österreich und der Bonner Republik, nähert sich mählich und weithin unbeachtet die Ausbreitung der Kabelsysteme für Bild- und Tonprogramme den Dimensionen des Fernsprechnetzes an; und wo sie erst einmal entstehen, finden die TV-Drähte beim Publikum weit dichtere Verbreitung als das teurere Telephon. Kaum ein neuer Häuserblock ohne Gemeinschaftsempfang, kaum ein Siedlungsprojekt ohne zentralen Antennenmast -- in zwei bis drei Jahren, glauben Fachleute, werden die ersten regionalen Großeinheiten wirtschaftlich interessant für spezielle Kabelfernseh-Stationen. Technisch sind die sogenannten Breitbandnetze schon heute für zwei Dutzend Hörfunk- und zwölf Fernsehprogramme geeignet. Seit Jahren ist daher unter Rundfunkexperten und Medienpolitikern umstritten, ob und in welcher Form TV-Programme extra für Kabelnetze produziert werden sollen. Oberbürgermeister und kommunale Honoratioren träumen allenthalben vom Lokalfernsehen, in dem sie sich am liebsten ebenso breitmachen würden wie Landespolitiker im Regionalprogramm. »Sie werden«, spottet Südfunkintendant Hans Bausch, »ihre Versuche mit lokaler Langeweile bekommen.« Im Gegensatz dazu rechnen sich Privatunternehmer Chancen aus, mit schmissiger Unterhaltung im Kabelkanal -- und mit Lokalem lediglich als Füllsel -- die anspruchsvolleren Programmreservate von ARD und ZDF bei den Zuschauern auszustechen. Dann nämlich würden sieh die erreichbaren Einschaltzahlen für die Wirtschaftswerbung lohnen. Hartnäckig beharren daher die Presseverleger, so vorletzte Woche der Zeitschriftenverleger-Verband in Bonn, auf dem »Zugang« zu Kabelfernseh-Projekten. Und auch andere Privatinteressenten, wie Werbeagentur-Chefs oder Tabakfabrikanten. rangeln um den besten Startplatz an der Strippe. Ganz vorneweg ist neuerdings ein Einzelgänger, der schon öfter als Außenseiter zum Zuge kam: der aus der ungarischen Schnapsmetropole Kecskemét gebürtige Selfmade-Millionär Josef ("Joschka") Ferenczy, 57. einst Gewürzhändler und heute Grossist in leichter Leseware für die deutschsprachige Regenbogenpresse. In Zürich, von wo aus er schwarz auf weiß getippte Manuskripte von 127 Autoren (gegen 25 Prozent Honoraranteil) verhökert, gründete er jüngst eine »Studiengesellschaft für neue Medien«. In Wien will er, seinem Paß nach Österreicher, eine Firma mit ähnlichem Namen bis zum Jahresende eröffnen. Und in Hamburg oder München, wo er auch noch wirkt, soll"s im kommenden Frühjahr ein drittes Studienbüro Ferenczy geben. Denn wenn der radebrechende »Joschka« etwas macht, dann »sprachraumweit«. Studiert wird in den drei Niederlassungen allerdings nur so lange, bis es was zu verdienen gibt. Eine glänzende Voraussetzung dafür dürfte die Beteiligung der Republik Österreich an Ferenczvs Wiener TV-Hauptquartier sein, die er mit dem sozialistischen Kanzler Bruno Kreisky ausgeknobelt hat. Kommt es zu Kabelprogrammen im Land, vergibt der Bund die Lizenzen dafür. Und um den Österreichischen Rundfunk (ORF) -- als bisherigen TV-Monopolisten -- ruhig zu halten, nahm der Studienfreund ihn kur zerhand ins Bündnis auf. Ferenczy selbst will sich als Teilhaber in einer Gruppe von Zeitungsverlagen und Werbeagenturen bescheiden im Hintergrund halten. Dafür wird er gleich zweimal dabeisein. Denn die Hälfte der Wiener »Studdiengesellschaft für Audiovisuelle Medien, soll der bereits gegründeten Zürcher Schwestergesellschaft gehören. Und weil der emsige Makler begriffen hat, daß er als Einzelgänger diesmal nicht auf Draht sein würde, holte er in Zürich starke Bruder herein: Axel Springer mit seiner Ullstein AV, Franz Burda von der » Bunten« und den Schweizer Ringier-Verlag ("Blick") mit je 20 Prozent, die Droemersche Verlagsanstalt und die deutsche »American Tobacco«-Filiale Interversa mit je zehn Prozent. Nur das restliche Fünftel behielt der Gründer für sich. »Soll nicht noch mal vorkommen«, sagt Ferenczy, listig auf schlechte deutsche Erfahrungen mit gleichgeschaltetem NS-Rundfunk oder Adenauer-Fernsehen anspielend, »daß Staat für sich oder Partei für sieh das macht. habe ich deshalb mit sozialistische Regierung und sogenannte Kapitalisten solche Firma gegründet und keine besondere Rolle für mich beansprucht.« die heute vielbeschworene Ausgewogenheit im Rundfunk, gibt der sogenannte Kapitalist damit kund, ist bei Ferenczy schon hergestellt, bevor er überhaupt mit der Produktion beginnt. Die aber soll frühzeitig anlaufen, damit man beim Kabelstart über einen ausreichenden Programmfundus verfügt. Ferenczy: »Wenn Zug erst in Gang, ist zu spät.« Dann erst kommt die Stunde des Maklers, in der er das große Koppelgeschäft zwischen geschriebenem Wort und beweglichen Bildern zu verwirklichen hofft. Denn dann ist er es, der eine »Unmenge Rechte für Produktion« (Ferenczy) auf Lager hat: Stoffe von Hans Habe bis zu »Nachtportier«-Autor Stephen Schneck, Oswalt Kolles Sex-Serien oder die Memoiren von Weltkriegs-Spion Cicero. Wie billig der Drei-Länder-Einsatz jeweils derselben Produkte kommt. weiß Stoffhändler Ferenczy auch von seinem Schweizer Buchverlag und als Filmproduzent ("Die Diktatoren"). »Ich biete«, triumphiert er schon jetzt über national operierende Kabel-Produzenten, »gleichwertige Sachen zu unerreichbarem Preis.« Nur über eins ist er bei allem Kalkül denn doch noch im unklaren: über den deutschen Faktor seiner TV-Multiplikation. Anders als in Österreich und auch in der Schweiz ist jegliches Fernsehen in Westdeutschland nämlich Sache der Bundeslander. Und die könnten zwar auch Privatbewerber lizenzieren, doch sie wollen nicht*. Die Ministerpräsidenten verschworen sich letzten Sommer auf ein gemeinsames Vorgehen beim Kabel-TV. Die Marschrichtung wollen sie, zunächst in einer Testphase mit sogenannten Pilotprojekten in mehreren Regionen, selbst bestimmen. »Entscheidungen über die allgemeine Einführung des Kabelfernsehens«, sagt Staatsrat Harald Schulze, Chef der -- nut Rheinland-Pfalz -- federführenden Hamburger Staatskanzlei, werde es erst nach Testabschluß geben, mithin frühestens in vier Jahren. Wie schwierig es ist, die föderativen Gesetze, Kompetenzen und Interessen im unübersichtlichen Gelände der deutschen Rundfunkhoheit zu überwinden, erfuhr Ferenczy zu seinem Leidwesen schon vor Fahren in Bayern. In der Annahme, im CSU-Staat am ehesten Anklang für die Gründung einer privaten TV-Gesellschaft zu finden, beantragte er damals die Lizenz für ein »Freies Bayerisches Fernsehen«. Er hatte freilich übersehen, daß in Bayern -- als einzigem Bundesland -- das öffentlich-rechtliche TV-Monopol nicht einfach in einem Gesetz festgeschrieben ist, sondern in der Landesverfassung. Selbst wenn sie wollten, könnten die Unions-Bayern daher auch ein privates Kabelfernsehen nicht ohne Zweidrittelmehrheit im Landtag und einen anschließenden Volksentscheid zulassen. »Ist absolut illusorisch«, resignierte Ferenczy, »überkompliziert diese Art Rechtslage.« Was ihn indessen nicht hindert, auch hierzulande ans Geschäft zu denken. Hätte er nämlich in Österreich oder in der Schweiz erst mal eigene Programme laufen, wäre es immer noch lukrativ, auch andere Kabelkanäle, und seien es öffentlich-rechtliche, »mit unseren Produkten zu futtern« (Fer enczy). Auch Sozialdemokrat Schulze in Hamburg geht davon aus, »daß sieh private Produzenten als Auftragnehmer (schon) an Pilotprojekten werden beteiligen können«. Und danach durften, so der Amtschef, »die Bundesländer zu Gesprächen mit allen bereit sein, die ihre Interessen anmelden«. Dann wird es darum gehen, ob die öffentlich-rechtliche Fernsehfront der

* Die meisten Landesparlamente können die Veranstaltung von Hörfunk oder Fernsehen durch entsprechende Änderung der Rundfunkgesetze auch auf »eine rechtsfähige Gesellschaft des privaten Rechts« übertragen, die allerdings, so das Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1961, ihre Aufsichtsgremien mit »Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen« besetzen muß, um ein »Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung« im Programm zu gewährleisten. Im Rundfunkgesetz des Saarlandes ist sogar eine Konzessionierung privater Rundfunkveranstalter durch die Landesregierung grundsätzlich vorgesehen.

Länder steht oder fällt. Harald Schulze will lieber nicht »Prophet« spielen, ob es hier und da eines Tages doch privates Kabelfernsehen geben werde. »Das«, sagt der Rundfunkreferent eines Bundeslandes, »ist eine Frage der Machtpolitik der nächsten Jahre.«

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