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TERRORISMUS Zugriff in Paris

Al-Qaida-Anhänger aus Deutschland hatten offenbar einen Anschlag im Ausland geplant. Deutsche Fahnder baten die Franzosen um Hilfe - aus Frust über die deutsche Justiz.
Von Georg Mascolo und Holger Stark
aus DER SPIEGEL 25/2003

Wenn im Pariser Gefängnis von Fresnes Beschuldigte vor dem Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière zur Vernehmung sitzen, fühlt sich so mancher Häftling an die dunklen Zeiten der Bastille erinnert. Bruguière, in Frankreich auch »der Sonnenkönig« genannt, ist umstritten wegen seiner unkonventionellen Ermittlungsmethoden. »Einen Krieg« nennt er den Kampf gegen den Terrorismus: »Und das Rechtssystem ist unsere Waffe.«

Entsprechend energisch wird der Widerstandswille von Beschuldigten gebrochen. Dann gehen die Vernehmungen meist schnell voran - wie bei Karim Mehdi, einem Marokkaner aus dem Ruhrgebiet, der seit Anfang Juni in den Händen der Franzosen ist. Nur Stunden brauchte Bruguière, dann hatte Mehdi, 34, einen Plan ausgeplaudert, der Deutsche wie Franzosen in helle Aufregung versetzte.

Eine Gruppe von Bin-Laden-Sympathisanten aus Deutschland habe einen Anschlag auf der französischen Ferieninsel Réunion geplant, gestand der Marokkaner seinen Vernehmern. Die Vorbereitungen hätten bereits begonnen; er selbst sei gerade auf dem Weg auf die Insel, um potenzielle Ziele auszuspähen. Weil Mehdi in den vergangenen Wochen auffallendes Interesse für Modellschiffe zeigte, so vermuten die Geheimdienste, sei wahrscheinlich ein Anschlag mit einer ferngesteuerten Bombe erwogen worden. Bei den Vernehmungen bestätigte der Islamist tatsächlich, dass eine umgebaute Fernsteuerung als Zünder habe dienen sollen.

Der schnelle Zugriff hat womöglich ein tödliches Drama verhindert: »Wie auf Bali«, so französische Ermittler, habe der Anschlag ausgehen sollen. In dem Inferno auf dem indonesischen Ferienparadies waren im Oktober 202 Menschen gestorben. Ein Big Bang eben, wie aus dem Lehrbuch von al-Qaida.

Doch die Festnahme Mehdis war nur Teil eins einer international angelegten Großoperation.

Teil zwei folgte zwei Tage später: die Verhaftung des Duisburger Islamisten Christian Ganczarski, 36, auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Auch Ganczarski, der sich im November nach Saudi-Arabien abgesetzt hatte und ein persönlicher Bekannter Bin Ladens ist, soll an den Anschlagsplanungen beteiligt gewesen sein - laut Mehdi als Organisator und Geldgeber. Insgesamt ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen sieben Islamisten aus Deutschland.

Die Zerschlagung der mutmaßlichen deutschen Terrorgruppe ist das Ergebnis einer Kooperation ganz besonderer Art: Weil die deutschen Behörden zwar seit mehr als einem Jahr gegen Ganczarski und sein Umfeld ermitteln, es aber nie für einen Haftbefehl reichte, baten die Fahnder kurzerhand die weniger zimperlichen Franzosen um Hilfe - als wäre ein Haftbefehl eine Art Optionsschein, der auf dem internationalen Basar gehandelt werden kann.

In Gang kam die minutiös abgesprochene Operation durch ein Angebot der Saudis. Die hatten sich an die deutschen Behörden gewandt: Sie würden den ungeliebten Gast, der in Riad mit einem inzwischen abgelaufenen Pilgervisum eingereist war und seit Wochen unter Hausarrest stand, gern zurück nach Deutschland abschieben. Die Amerikaner, die Ganczarski nur zu gern haben wollten, sollten nicht zum Zug kommen.

Bei der Bundesanwaltschaft besteht zwar eine umfangreiche Aktensammlung über Ganczarskis Einbindung in das Netzwerk von al-Qaida. Einen Haftbefehl aber hat der Bundesgerichtshof bislang abgelehnt. »Abu Ibrahim«, wie der Konvertit auch genannt wird, wäre also ein freier Mann gewesen.

Deshalb baten die Deutschen die Königsfamilie in Riad um einen kleinen Gefallen: die Reiseroute über Frankreich zu legen. Denn wie die Bundesanwaltschaft ermitteln auch die Franzosen wegen des Terroranschlags gegen eine Synagoge auf der tunesischen Insel Djerba, bei dem im April vor einem Jahr 19 Menschen ums Leben kamen, darunter 14 Deutsche. Der Attentäter hatte kurz vor der tödlichen Mission die Duisburger Telefonnummer von Ganczarski angerufen und um dessen Segen gebeten. Für Ermittlungsrichter Bruguière reicht das als Verdachtsmoment aus - anders als für die deutschen Richter.

Kaum war Ganczarski, dessen Flug eigens bei Air France gebucht wurde, in Paris gelandet, fischten ihn Fahnder wie vereinbart aus dem Strom der Reisenden. Den Flug nach Frankfurt, diesmal mit Lufthansa, durften nur seine vier Kinder sowie seine Frau antreten. Jetzt droht »Abu Ibrahim« der Prozess - in Paris, nicht in Deutschland.

Der Fall, delikat genug, dürfte nun zum Politikum werden.

Würde Ganczarski tatsächlich in Frankreich verurteilt, fürchtet man in Otto Schilys Innenministerium, wird der Prozess als Beleg für die Schwächen der deutschen Terrorfahndung herhalten: Seht her, die skrupulösen Deutschen müssen jetzt schon die skrupellosen Franzosen bitten, sich ihrer Verdächtigen anzunehmen. Schon seit Monaten drängen auch die Amerikaner die ihrer Meinung nach zu liberalen Deutschen auf ein härteres Vorgehen.

Andererseits sind die Deutschen froh, dass Ermittlungsrichter Bruguière ihnen ein Problem löst, das zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung und der Justiz geführt hat. Warum der Mann nicht längst im Gefängnis sei, hatte beispielsweise Schily im April 2002 bei einer Reise nach Tunesien Generalbundesanwalt Kay Nehm angefahren und sich eigens das Vernehmungsprotokoll Ganczarskis zeigen lassen. Wieder und wieder drängte die Bundesregierung den obersten Ermittler Nehm, endlich einen Haftbefehl zu beantragen. Staatssekretärsrunden diskutierten den Fall. Selbst der Franzose Bruguière erkundigte sich, warum der Mann noch immer in Freiheit sei.

Dabei glauben auch deutsche Ermittler, die den Computerspezialisten Ganczarski anfangs nur als Mitläufer einstuften, schon länger, was der französische Innenminister Nicolas Sarkozy vergangenen Mittwoch vor dem französischen Parlament referierte: dass Ibrahim der Deutsche enge Kontakte zur Qaida-Spitze unterhielt.

Spätestens seit durch Aussagen bekannt geworden ist, dass Ganczarski zwischen dem Chefplaner der 11.-September-Anschläge, Chalid Scheich Mohammed, und Bin Laden Kassiber transportiert haben soll, ist klar, wie wichtig der Duisburger in der Terrororganisation gewesen sein muss. Mindestens fünfmal reiste der bärtige, hochaufgeschossene Mann aus dem Ruhrgebiet nach Afghanistan und Pakistan, ließ sich in afghanischen Camps ausbilden und kämpfte in den Reihen der Taliban gegen die Truppen der Nordallianz. Erst sechs Tage vor dem 11. September 2001 kehrte Ganczarski nach Duisburg zurück.

Am Hindukusch, wo er mit seiner Frau und den Kindern in einem Komplex am Flughafen von Kandahar wohnte und mehrfach mit Bin Laden zusammentraf, wurde er auch von dem Jordanier Shadi Abdallah gesehen, einem Islamisten, der mittlerweile als Kronzeuge für die Bundesanwaltschaft aussagt.

»Hoch angesehen«, so Abdallah, sei Ganczarski beim Terrorchef gewesen und zudem »ein guter Freund« des Qaida-Kommandanten Seif al-Adl.

Abdallah nennt den Duisburger Kreis um Ganczarski und Karim Mehdi eine »Clique«, die in der Szene bekannt gewesen sei - doch tatsächlich handelt es sich wohl um eine Zelle, die offenbar schon seit langem zusammenarbeitete und intensiv vom Verfassungsschutz überwacht wurde. Zu der Gruppe gehört mit Uwe D. ein weiterer Konvertit.

Als die Beamten Mitte Mai feststellten, dass der Sozialhilfeempfänger Mehdi in einem Reisebüro eine teure 14-tägige Reise nach Réunion buchte und sich für Fernsteuerungen interessierte, alarmierte das Bundesamt für Verfassungsschutz am 20. Mai die französischen Kollegen. Die Franzosen wollten Mehdi erst fliegen lassen und ihn lediglich beobachten. Doch dann intervenierte die CIA und drängte auf einen schnellen Zugriff - zu groß erschien den Amerikanern die Gefahr.

Das nötige Wissen für einen Anschlag hatte die Gruppe mit Sicherheit. Ähnlich wie Ganczarski, der vergangenes Jahr zum Verdruss der Fahnder eine 25 000 Euro teure Wanze an seinem Auto zerstörte, soll auch Mehdi in afghanischen Camps zum Mudschahid ausgebildet worden sein. Weil bei ihm bei einer Hausdurchsuchung in Duisburg im April 2002 die Telefonnummern des Todespiloten vom 11. September, Ziad Jarrah, sowie des Koordinators der Anschläge, Ramzi Binalshibh, gefunden wurden, gehen deutsche Ermittler mittlerweile sogar davon aus, dass zwischen den Duisburgern und den Hamburger Todespiloten enge Kontakte bestanden.

Auch deshalb wird wohl keiner der beiden so schnell französische Gefängnisse verlassen - wenngleich nicht alle von Mehdis Aussagen stimmen müssen. Es sei »die Regel bei al-Qaida, Wahrheit und Lügen zu mischen«, erzählte er freimütig seinen Vernehmern - um gleich ein Beispiel für Desinformation mitzuliefern: Noch nach dem 11. September wollte er den Todespiloten Mohammed Atta getroffen haben.

Ganczarski hat mit Deutschland, scheint es, ohnehin abgeschlossen. Zu Beginn des Verhörs bot ihm Ermittlungsrichter Bruguière ausdrücklich konsularische Betreuung durch die deutsche Botschaft in Paris an. Abu Ibrahim lehnte dankend ab. GEORG MASCOLO, HOLGER STARK

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