OSTHANDEL Zum Ätzen
Können Sie bitte«, schrieb der amerikanische SDI-Unterhändler Richard Perle in seinem Begleitbrief zum SDI-Abkommen zwischen Bonn und Washington, »auch die Maßnahmen schildern, die Sie zur verstärkten Durchführung des Cocom-Embargos zu ergreifen gedenken?« Und erwollte wissen, ob die Deutschen planen, »den Personalstab für ... Lizenzüberprüfungen zu erweitern« (SPIEGEL 17/1986).
Der massive Druck der Amerikaner macht ein Dilemma der Westdeutschen deutlich. Kein anderes westliches Land betreibt solch intensive Ostgeschäfte, kein anderes Land ist ähnlich vom Bannstrahl der Cocom bedroht.
Nach der aus dem Jahre 1951 stammenden Cocom-Vereinbarung, der sich mittlerweile alle Nato-Länder (außer Island) und Japan angeschlossen haben, ist der Export von Waffen und von Hochtechnologie in kommunistische Staaten verboten. Doch immer wieder gibt es findige Unternehmer, die ihre Erzeugnisse auf verschlungenen Wegen in den Ostblock schaffen.
Wie leicht Kontrollen umschifft werden können, untersucht derzeit die Staatsanwaltschaft Mosbach im Badischen. Unter dem Aktenzeichen 21 AR 19/86 wird wegen des Verdachts einer »Ordnungswidrigkeit der Verantwortlichen der Firma Alcatel, Wertheim« ermittelt.
Das Unternehmen, eine Tochter des französischen Staatskonzerns CGE, baut und vertreibt Hochvakuumanlagen. Dort ging am 27. Oktober 1982 ein Fernschreiben der Wiener Firma Packtronic mit der Bitte um ein Angebot für eine Ionen-Ätzanlage ein, die für die Produktion von Mikro-Chips benötigt wird.
14 Tage später unterbreitete Alcatel-Direktor Heinz-Dieter Bürger schriftlich seine Offerte: eine »Automatische Anlage zum Reaktiven-Ionen-Ätzen. Typ GIR 200«, die komplett mit Laser-Detektor rund eine halbe Million Mark kosten sollte.
Die Bestellung erfolgte am 7. April 1983. Maschinen dieses Typs werden in der Cocom-Liste aufgeführt und dürfen nicht ohne offizielle Genehmigung der Bundesregierung exportiert werden; wohin die aus Wien bestellte Anlage geliefert werden sollte, wurde im Schriftverkehr nicht erwähnt.
Die Aufseher im für die Exportgenehmigung zuständigen Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn hatten Bedenken. »Zum Zwecke der Verbleibungskontrolle« verlangten die Beamten eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« des österreichischen Ministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie.
Die konnte der Wiener Packtronic-Geschäftsführer Werner Schüler nicht beibringen- eine hilfsweise nachgeschobene Erklärung, »daß er nicht beabsichtigt, die ... bestellte Anlage an ein Comecon-Land zu liefern«, reichte den deutschen Prüfern nicht.
Jetzt wurde die Alcatel in Wertheim, die die Ätzanlage bei der französischen Muttergesellschaft hatte bauen lassen unruhig: »Wir müssen Sie nochmals dringend bitten, uns die Unbedenklichkeitserklärung zuzusenden. Es ist uns sonst unmöglich, die Anlage aus Frankreich herauszubekommen, geschweige denn nach Österreich«
Da kam Packtronic-Chef Schüler. nach Rücksprache mit zwei Mitarbeitern der Alcatel, auf den Ausweg. Am 2. November 1983 schrieb er: »An Stelle der Anlage GIR-200 wird eine Anlage MCM-220 bestellt... Sämtliche andere Konditionen, insbesondere hinsichtlich Aufstellung und Betriebnahme ... bleiben ungeändert«
Die MCM 220, eine Anlage zum Beschichten von Siliciumscheiben bei der Chip-Herstellung, ist technisch weniger kompliziert und taucht vor allem nicht auf den Cocom-Listen auf; derartige Geräte werden auch im Ostblock, etwa in der DDR, hergestellt. Der Preis der neu bestellten Maschine war in dem neuen Auftrag dennoch fast identisch mit dem für die alte Order, die GIR 200.
Von nun an lief alles problemlos. Am 14. Dezember 1983 schrieb die Alcatel in Wertheim eine Rechnung in Höhe von 526463 Mark für eine »Anlage Typ MCM 220 mit Zubehör«. Danach wurde die Maschine per Lkw nach Wien gebracht und dort an Zwei andere Fuhrunternehmen weitergereicht.
Dem letzten Spediteur schrieb Schüler einen offenen Brief: »Wir beauftragen Sie, die ... zugestellte Ware ... unbedingt mit dem am 21. Dezember 1983 abgehenden Deutrans Lkw an die VEB Deutrans/Dresden zu versenden. Empfänger der Ware und zu verständigen ist: VEB ZFTM Dresden.«
Und auch in einem den westdeutschen Staatsanwälten vorliegenden Schreiben der Ost-Berliner Handelsfirma Günther Forgber ist der wahre Interessent genannt - auf einem »Inbetriebnahmeprotokoll« des Volkseigenen Betriebes ZFTM. Dahinter verbirgt sich das »Zentrum für Forschung & Technologie Mikroelektronik« in der Dresdner Königsbrücker Landstraße 159.
Jetzt hat der DDR-Betrieb die begehrte Maschine, die Unternehmen in Österreich, Frankreich und der Bundesrepublik haben ihr Geld; sogar die Cocom-Kontrollvorschriften scheinen eingehalten. Der Ingenieur aus Österreich, der die Anlage Anfang 1984 in Dresden vereinbarungsgemäß in Betrieb nehmen sollte, notierte später:
»Hiermit bestätige ich an Eides Statt, daß ich im Jänner 1984 eine Trockenätzanlage Type GIR 200, welche lediglich die Aufschrift MCM 220 an der Vorderfront montiert hatte, im Auftrag der Firma Packmatic (= Packtronic, die Red.), im VEB ZFTM/ Dresden in Betrieb genommen habe«
Alcatel-Direktor Bürger beteuert heute noch: »Auf alle Fälle wurde eine MCM 220 geliefert.« Aber er will, immerhin, »nicht ausschließen, daß das Ding in einem Ostblock-Land gelandet ist«.