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Zum Lunch nach Senegal

aus DER SPIEGEL 23/1975

Dieser Flug bedeutet Ihren Eintritt in den Mach-2-Club« -- mit so feinen Sprüchen lockten Produzenten und Käufer des britischfranzösischen Überschallflugzeugs »Concorde« vergangenen Mittwoch ordinäre Zivilisten auf den ersten Normaiflug ihres Superschnellen: Statt der Meß-Computer waren nun Ledersessel, statt ernster Ingenieure Stewardessen an Bord -- die Sensation aber blieb draußen.

Zwar, die 4600 Kilometer zwischen Paris und Dakar -- sechseinhalb Stunden normale Jet-Zeit -- schaffte der 160-Tonnen-Vogel auf der stratosphärischen Höhe von neun. zehn Kilometern in zwei Stunden und 43 Minuten -- ein Autotrip von Köln nach Mannheim. Den Zeitraffer repräsentiert die Formel »Mach-2« (doppelte Schallgeschwindigkeit, rund 2400 km/h).

Für die Zivilisten an Bord aber blieb er ein statistischer Wert -- ablesbar allein an einem Digitalzähler in der Kabinenwand: Dort rollten die Zahlen binnen zehn Minuten auf den Wert der einfachen, in zwanzig auf den doppelter Schallgeschwindigkeit. Das Blut aber blieb den Passagieren im Kopf, der Champagner im Glas, der Unterschied zum Boeing-Tempo von Mach 0,85 blieb unmerkbar, und selbst die gefürchtete Schallmauer verunzierte den Geradeausflug nicht.

Mit dem Tempo und einem imaginären Mach-2-Bewußtsein jedoch ist der Zusatzkomfort der Concorde schon erschöpft: Sie nämlich bleibt ein enges Ding, wie die ausgediente »Caravelle«. Das Küchenabteil der Stewardessen ist zum Umdrehen zu klein, der Gang zwischen den Sitzreihen eng wie im Vorort-Bus, und Männer von ein Meter achtzig, die es dringend ins WC zieht, können dort stehend nichts verrichten, ohne das Kreuz scharf nach hinten durchzubiegen -- die abgeschrägte Wand vor der Stirn. Die vier Rolls-Royce/Snecma-Düsen -- vor zwanzig Jahren konzipiert -- brüllen trotz einiger Korrekturen noch immer so laut wie die betagter Boeings und verbrauchten auf dem Lunch-Flug von der Ile de France nach Senegal ungefähr neunmal soviel Sprit, wie ihre Passagiere wogen -- 700 Kilo je Person.

»Zu klein, zu laut, zu teuer«, urteilte vor Jahren schon Lufthansa-Vorstand Reinhardt Abraham. Nur neun Concorde konnten Briten und Franzosen bislang verkaufen an ihre eigenen nationalen Fluggesellschaften, die nicht wissen, wie sie den Stückpreis von 130 Millionen Mark bezahlen sollen.

Für eine kleine Snob-Elite, die sich des Mach-2-Spielzeugs bedienen wird, zahlten Britanniens und Frankreichs Steuerpflichtige bis jetzt runde zehn Milliarden Mark Subvention. Der echte Stückpreis des Prestige-Flugzeugs schiebt sich damit auf fast eine Milliarde: Fünf Großkliniken, dreitausend Studienplätze für Mediziner, der Transport von 17 Millionen Tonnen Getreide von USA nach Indien, 150 Millionen Monatspackungen der Anti-Babypille.

Im pillenarmen Südamerika wird die Mach-2-Elite demnächst prunkvollen Einstand feiern. Am 1. Januar will die Air France den ersten Concorde-Linien-Dienst eröffnen. der sechs Stunden wertvolle Jet-Set-Zeit spart: Von Paris über Dakar nach Rio, wo bald darauf der Karneval beginnt.

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