POLIZEI Zum Zugreifen
Der Polizeiobermeister Horst Salzwedel steckt, wie 1971 ein Sachverständiger feststellte, »in der Rolle des Beamten wie in einem Panzer. Es gibt für ihn keine andere Alternative«.
Damals stand der Polizist vor Gericht, weil er, versehentlich wohl, einen bereits gestellten Autodieb durch einen Nahschuß getötet hatte. Er erhielt sieben Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung wegen »fahrlässiger Tötung«. Seiner dienstlichen Weiterverwendung stand, alternativlos wie er war, auch disziplinarrechtlich nichts im Wege.
Seit kurzem ist der Schupo abermals amtsenthoben. Jetzt steht er im Verdacht, sich an fremdem Eigentum vergriffen zu haben. Die Kripo wirft ihm Unterschlagung von Diebesgut vor, das er eigentlich »in der Absicht der Eigentumssicherung« sicherstellen sollte.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Beamten ist die jüngste Entwicklung in einer Affäre, in die Berliner Polizisten verstrickt sind wie jedermann ersichtlich seit der Festnahme einer Funkstreifenbesatzung vor drei Monaten.
Wie Salzwedel gerieten inzwischen 22 Beamte des mittleren Dienstes, Polizisten zweier ehemaliger Reviere, in den Strudel einschlägiger Ermittlungen-Sie werden von der Staatsanwaltschaft teils als Tatbeteiligte oder Mitwisser organisierter Diebeszüge, teils als Hehler verdächtigt.
»Selbstquälerisch« fragte Polizeipräsident Klaus Hübner im Amtsorgan »Polizeischau« schon: »Sind wir alle Diebe?« -- und gab die bedingt tröstliche Antwort, daß die Anständigen unter Berlins 13 500 Blauröcken die überwältigende Mehrheit abgäben. Innensenator Kurt Neubauer kann als Polizeioberster inzwischen »die Bevölkerung nur dringend bitten«, nicht »alle Beamte über einen Kamm zu scheren«.
Neubauer kam den Berlinern so flehentlich, als die kriminellen Ausflüge des Polizeiobermeisters Peter Weinert bekannt wurden, der erst mit Salzwedel und später, in »City 16«, mit dem Hauptmeister Felix Wendt Streife gefahren war.
Laut Haftbefehl waren Weinert und Wendt vom Herbst 75 bis zum Juni 76 allein in »sieben besonders schweren Fällen« an Delikten beteiligt, die sie von Berufs wegen hätten verhindern sollen: Mit Vorliebe pflegten die Gesetzeshüter, wie sich nun herausstellte, vom Streifenwagen aus mit einem Katapult Stahlkugeln in trächtige Schaufenster zu schießen. Gelegentlich traten sie auch die störende Glasfront mit den Dienststiefeln ein, einmal gar schafften sie's mit dem Schlagstock.
Ehe die Täter in Uniform dann Funkalarm gaben und pflichtgemäß, aber falsch die Vordrucke gegen »unbekannte Täter« ausfüllten, arbeiteten sich beide umsichtig durch die ausgebreiteten Okkasionen. Bei »Solinger Stahl-Waren« entwendeten sie Silberbestecke, an der Gedächtniskirche Meißner Porzellan, bei »Edeka« Eßbares. Vorsorge für die Zeit nach Tisch: Die Leute von »Steinway', die nach dem Polizeibesuch Glasseherben für 3000 Mark zur Seite kehren mußten, vermißten elektronisches Rhythmus-Cerat im Wert von fast 12 000 Mark.
Beim Zigarrenhändler Palm am Ku'damm stellte die Polizei ordnungsgemäß Waren aus Straßenvitrinen sicher, die bei einer Demonstration zerstört worden waren -- nur bekam Palm-Geschäftsführer Erwin Brechter nicht alle Waren zurück, die von den Beamten mitgenommen worden waren, und als er die Erklärung der Beamten, das müsse wohl von den Demonstranten weggenommen worden sein, zurückwies, geriet er prompt selber in Verdacht. In einem Ermittlungsverfahren wegen, so wörtlich, »Verdachts des Betruges zum Nachteil einer Versicherung« war er als Beschuldigter geladen.
Dazu kam es nicht mehr. Mittlerweile waren lautere Polizisten den unlauteren auf die Spur gekommen. In der Nacht zum 7. Juli, als nach dem Ausbruch von vier Anarchistinnen in der Lehrter Straße Berliner Polizisten aus den Betten mußten, griff eine Zivilstreife nach tagelanger Observation zu. Die erste Scheibe jener turbulenten Nacht hatten die Beamten Weinert und Wendt gegen 22.30 Uhr eingetreten. die letzte gegen 4.20 Uhr.
* Bei der Tatrekonstruktion 1971.
Im zwischenzeitlich sichergestellten Diebesgut fand sich nicht nur die vermißte Palm-Ware. Allein Beutestücke im Wert von 100 000 Mark entdeckte die Kripo in der Weinert-Wohnung. Weinert selber packte aus und belastete außer Salzwedel auch andere, bis dahin unverdächtige Kollegen -- »im blindwütigen Rundumschlag«, wie mancher Beamte glaubt; eher in der Annahme, »daß ihm und der Bevölkerung am besten mit einem Geständnis geholfen ist«, wie es sein Anwalt interpretiert.
Da rückt, hörten die vernehmenden Kripobeamten mit Staunen, die herbeigerufene Verstärkung nach einem Einbruch beim Schnaps-Discounter gleich, mit Tragebeuteln und »Tschako-Taschen« an, um ein wenig Mund zu rauben. Da verstecken Kollegen noch nicht aufgelistete konfiszierte Ware in Bereicherungsabsicht im Feldbett auf dem Revier.
Und da kaufen andere, arglos wie Polizisten nun einmal sind, geklaute Filmprojektoren (Wert: 300 Mark) für ganze 80 Mark. Angeblich mitgelieferter Rat: »Paß bei Reparaturen uff die Nummern uff. Die Sachen sind heiß.«
Da wird denn auch Polizeichef Hübner, der seine Polizei seit Jahren »in der Mitte der Gesellschaft zu verankern« trachtet, »damit sie in der Krise jeder Entscheidung standfest sei«, überaus deutlich: »Ein Polizist, der stiehlt, hat seine Unschuld verloren:«
Freilich, Berlins Justiz fand in der Vergangenheit auch schon mal Milderungsgründe -- etwa wenn ein Oberbeamter einen nichtbezahlten Aal ins Freie laneierte oder ein Unterbeamter sein Fläschchen in Ehren an der Kasse vorbeischmuggelte. Der Ordnungshüter, hieß es dann gelegentlich, müsse in einem »subhypnotischen Zustand« gehandelt haben -- eine Deutungsvariante, die sich im Falle Weinert und Co. schwerlich anbietet. Weinert und Wendt sind derzeit in Haft.
Fünf weitere Beamte mußten inzwischen ihre Dienstwaffe abgeben -- amtsenthoben wie der einst wegen des Todesschusses inkriminierte Polizist Salzwedel, mit dem, so das Geständnis Weinerts, alles 1973 angefangen habe, als beide sich in einer Hertie-Auslage mit Photogerät bedient hatten.
Salzwedel kann sich zwar an »den fraglichen Einsatz nicht mehr erinnern«, zumindest so nicht. Doch dafür reicht das Gedächtnis des bedrängten Weinert weiter zurück -- bis zu dem Einsatz, bei dem Salzwedel seinerzeit
* Bei einem Streifeneinsatz (Festnahme).
den tödlichen Schuß auf den Autodieb abgegeben hat.
Weinert erzählte seinen Vernehmern von Reviergesprächen »im internen Kreis«, wonach Salzwedel damals mit anderen anderthalb Flaschen Whisky gebechert habe. Von Alkohol indes war in der Verhandlung, in welcher der Todesschütze mit Bewährung davonkam, seinerzeit nicht die Rede.