DÄNEMARK Zurück ins Meer
Der Fang in der Fremde wurde Fischern von den Färöern zum Verhängnis: Vor der dänischen Ostseeinsel Bornholm fanden die Männer aus dem Nordatlantik in den Netzen ihres Trawlers eigenartige kristallisierte Klumpen.
Als die Fischer versuchten, die seltsame Substanz von den Fangvorrichtungen zu lösen, verätzte sie ihnen die Haut und brannte in den Augen. Übelkeit, Erbrechen und zum Teil schwere Sehstörungen waren die Folge. Sieben Fischer mußten mit Verbrennungen in Kopenhagener Krankenhäuser geflogen werden.
Die Färöer wußten nicht, was für ihre Bornholmer Kollegen inzwischen fast zum Alltag gehört: Aus ungezählten Giftgasbehältern, die auf dem Ostseegrund rosten, tritt hochgiftiges Senfgas aus und treibt in die Fischernetze.
Der Stoff, auch Lost genannt, kann bei Berührung lebensgefährlich werden: Die stechend nach Senf riechende, ölige Chemikalie greift Haut und Schleimhäute an, kann zu Verbrennungen, Erblinden oder gar Ersticken führen.
Bei dem brisanten Treibgut handelt es sich um Kampfgas-Bestände der deutschen Wehrmacht, die - trotz dänischer Proteste - kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter alliierter Aufsicht von ehemaligen deutschen Soldaten in der Ostsee versenkt wurden. Das Kopenhagener Umweltministerium schätzt die Menge der auf dem Grund der Ostsee gelagerten Senfgas-Behälter und -Granaten auf rund 50 000 Tonnen; es könnten aber auch bis zu 200 000 Tonnen sein.
Das Gros des Gifts wurde nahe der kleinen dänischen Insel Christianso, nordöstlich von Bornholm, ins Meer gekippt - in einem Gebiet, das als besonders fischreich gilt. Aber auch im Kleinen Belt, vor dem schwedischen Gotland und in der Flensburger Förde wurden Bestände aus Wehrmachtsarsenalen verklappt.
Zudem lagern mehr als zwei Tonnen Senfgas in einem ehemaligen deutschen Bunker in Vestermarie Plantage auf Bornholm. Beinahe täglich kommen neue Giftfunde hinzu.
Die außer vom Fischfang vor allem vom Tourismus lebenden Bornholmer sähen die ätzenden Fundsachen lieber heute als morgen von der Insel entfernt. Schon drohte der Bornholmer Kreisbürgermeister Jens K. Brandt, man werde notfalls zur Selbsthilfe greifen, wenn Kopenhagen nicht bald handele.
Doch die dänische Regierung weiß nicht, wohin mit dem Wehrmacht-Erbe. Die Verbrennungsanlage Kommunekemi in Nyborg auf der Insel Fünen sieht sich außerstande, das Senfgas zu neutralisieren. Dem Lost ist nämlich teilweise Sprengstoff beigemischt, der in der dänischen Anlage nicht ausgesondert werden kann.
Die Hoffnungen der Dänen richteten sich daher bislang auf Bonn. Für ihren ehemaligen sozialdemokratischen Umweltminister Erik Holst liegt der Fall klar: »Es handelt sich um deutsches Senfgas, das in der Ostsee gefunden wird. Also muß es auch Aufgabe der Deutschen sein, das Gift unschädlich zu machen.«
Ein Entgegenkommen der Bundesrepublik bei der Giftbeseitigung hatte Bundesinnenminister Zimmermann Ende vergangenen Jahres den Skandinaviern auf der Bremer Nordseeschutz-Konferenz signalisiert: Bonn sei bereit, das Senfgas zu übernehmen, falls die Kapazität der deutschen Verbrennungsanlage in Munster ausreiche.
Jetzt teilte Bundesverteidigungsminister Wörner seinem Kopenhagener Amtskollegen Hans Engell mit, die Munsteraner Anlage habe leider nur eine »sehr beschränkte Aufnahmekapazität«. Für das Senfgas aus der Ostsee sei daher kein Platz.
Die Kopenhagener Regierung läßt deshalb die Möglichkeiten des Baus einer neuen Verbrennungsanlage in Dänemark prüfen, die nach ersten Schätzungen rund 100 Millionen Kronen (28 Millionen Mark) kosten dürfte.
Bis die Anlage aber steht, und das kann noch lange dauern, hat Verteidigungsminister Engell eine Zwischenlösung des Giftproblems parat: Man könne doch das Senfgas einfach wieder an gut gekennzeichneten Stellen in die Ostsee versenken; auf ein paar Tonnen mehr oder weniger komme es nun auch nicht mehr an. Schon in den vergangenen Jahren hatten die Dänen insgesamt etwa eine Tonne Senfgas, portionsweise in Plastik verpackt, ins Meer zurückgekippt.
Bei Engells Kabinettskollegen, dem Umweltminister Christian Christensen, traf dieser Vorschlag auf strikten Widerstand. Während eines Besuchs auf Bornholm - in Sicherheitskleidung und mit Gasmaske ausgerüstet - erklärte er: »Eine Wiederverklappung werde ich unter keinen Umständen zulassen.«
Nach Möglichkeit, so Christensen, müsse sogar versucht werden, die Giftdeponien auf dem Meeresgrund komplett zu heben. Es sei andernfalls nicht ausgeschlossen, daß das Senfgas eines Tages direkt an Land geschwemmt werde und die beliebten Bornholmer Touristenstrände verseuche.