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VATIKAN / REFORM-PRIESTER Zuviel Arbeit

aus DER SPIEGEL 43/1969

»Römer«, so appellierten Zehntausende von Flugblättern, »Ihr dürft nicht zulassen, daß in dem vom Blut der ersten Märtyrer geweihten Zentrum der Christenheit ... eine Handvoll Häretiker gegen den heiligen Charakter der Stadt lästert und Anschläge auf den Glauben verübt.«

Die Flugblatt-Verfasser waren neofaschistische Katholiken, die »Handvoll Häretiker« über, hundert fortschrittliche Priester aus ganz Westeuropa.

Als Sprecher von rund 4000 Gleichgesinnten in elf Ländern berieten die Kleriker über eine »radikale Reform der Kirche« -- zur selben Zeit, da im Vatikan die Außerordentliche Bischofssynode tagte (SPIEGEL 41/1969). Konferenzort der Progressiven: ein von Polizisten beschütztes Gebäude an Roms Piazza Cavour, die evangelische -- Waldenser-Fakultät.

Die Zuflucht zu den Protestanten war notwendig geworden, weil katholische Institute, städtische Behörden und sogar Italiens Sozialistische Partei den ungebetenen Gästen keinen Tagungs-Raum geben wollten.

Daß sich die liberalen Priester nur 800 Meter vom Vatikan entfernt einnisteten, nahm ein Trupp rechtsradikaler Katholiken sehr übel: Er warf eine Tränengasbombe in die Waldenser-Buchhandlung und zertrümmerte die Fensterscheiben.

Die Fortschritts-Priester, die in Holland, Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien sogenannte Solidaritäts-Gruppen gebildet haben, wollen nicht als Rebellen, sondern als »Wegbereiter« gelten: »Wir kamen nach Rom, um den Papst zu hören ... und mit den mutigen Bischöfen der Synode zusammen zu arbeiten.« Dem Papst schrieben sie: »Wir sind ganz nahe vor Eurer Tür« -- und erbaten eine Audienz. Doch Paul VI. ließ den Bittstellern kundtun, er könne sie nicht empfangen, weil er sonst mit den Bischöfen in Konflikt geriete. Zudem hätten die Arbeitspapiere der Priester-Konferenz »schwerwiegende Bedenken theologischer und doktrinärer Art hervorgerufen«.

Tatsächlich sind die radikalen Reformer, die in Rom meist in Zivil auftraten und die einmal sogar auf dem Petersplatz demonstrierten, ihren auf der Synode versammelten Oberhirten ein gutes Stück voraus: Während der Episkopat nur maßvolle Kritik an Papst und Kurie übte, forderten die Oppositions-Priester unter anderem

* Begrenzung der Amtszeit und Machtbeschränkung des Papstes,

* Auflösung des Kardinals-Kollegiums, Aufhebung der Nuntiaturen und gründliche Kurien-Reform,

* Abschaffung der Zölibatspflicht,

* das Recht der Priester und Bischöfe auf politische Aktivität.

Die Teilnehmer der Bischofssynode wurden aufgefordert, »die Kirche aus den Manipulationen der römischen Kurie zu befreien« und gegen jede Unterdrückung der Gedanken- und Forschungsfreiheit vorzugehen.

Doch die Bischöfe empfingen zwar die drei US-Mondfahrer und sahen sich Filme über den Mondflug an, sprachen aber kaum mit den kritischen Klerikern. Monsignore Rubin, Generalsekretär der Synode: »Die Bischöfe haben schon zuviel Arbeit.«

Dennoch konnten die progressiven Priester einen Erfolg für ihre Gegen-Synode buchen: Italiens Zeitungen räumten ihr fast ebensoviel Platz ein wie der Bischofssynode.

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