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MARK-AUFWERTUNG Zuviel Gold

aus DER SPIEGEL 6/1964

Westdeutschlands Geldverwalter, die zur Zeit des Winterschlußverkaufs die übliche Devisen-Inventur machen, beklagten einen Zustand, den fast alle Regierungen der Welt sich sehnlichst wünschen: In den Tresoren der Bundesbank häuft sich schon wieder lauter Gold.

Auch dem Bonner Bundeswirtschaftsministerium verursachten die Siegesmeldungen von der Außenhandelsfront nur Pein. Vor Jahresfrist hatte das Ministerium im Wirtschaftsbericht der Bundesregierung angekündigt: »Ein weiterer Rückgang des Exportüberschusses wird vermutlich die außenwirtschaftliche Entwicklung im Jahre 1963 kennzeichnen.«

Das Gegenteil ist eingetreten. Im Dezember 1963 lagen die westdeutschen Exporte um 13,4 Prozent über dem Dezember-Ergebnis des Vorjahres.

Deutsche Urlauber konnten im Ausland gar nicht so viel deutsche Mark verfrühstücken, südländische Gastarbeiter nicht so viel deutsches Geld für Bräute und Bambini transferieren, daß der Devisenschwemme durch Gegenströme von Geld Einhalt geboten worden wäre.

Die relative Preisdisziplin der Deutschen (Preisanstieg 1963: 2,8 Prozent) hatte deutsche Waren trotz der Aufwertung von 1961 wieder billig und dadurch besonders begehrt werden lassen:

- In Italien zogen die Verbraucherpreise im Jahre 1963 um acht Prozent an, der deutsche Italienhandel erbrachte deshalb (bis Oktober) einen Überschuß von 1,3 Milliarden Mark;

- Frankreichs und Hollands Verbraucherpreise kletterten um fünf Prozent, die deutschen Ausfuhrüberschüsse betrugen 668 beziehungsweise 643 Millionen Mark.

Dank der niedrigen Preise floß mehr Ware aus Deutschland ab. Umgekehrt sorgte das hohe deutsche Zinsniveau dafür, daß große Mengen ausländischen Kapitals hereinkamen.

Beides füllte den Gold- und Devisenhort in Frankfurt so schnell auf, daß der Vorrat mit 30,3 Milliarden Mark Wert nahezu den Stand vor der Aufwertung erreicht hat (siehe Graphik Seite 19).

Die Bundesbank schätzt, daß während der vergangenen zwölf Monate mehr als zwei Milliarden Mark Auslandskapital nach Westdeutschland geströmt sind. Allein 25 Prozent aller deutschen Anleihen des Jahres wurden von ausländischen Anlegern erworben.

Seit die Schweiz sich mit drakonischen Restriktionsmaßnahmen vor der Flut von Flucht- und Spekulationsgeldern abgeschirmt hat, nimmt noch mehr Kapital Kurs auf Westdeutschland und erhöht den Midas-Schatz in Frankfurt.

Direktor Dr. Eduard Wolf, der Konjunkturpolitiker der Bundesbank, beklagt die Schwemme: »Die Kapitalbilanz stört uns zur Zeit besonders.«

Mit dem Milliarden-Überschuß sind die Sorgen wieder da, mit denen die Währungspolitiker der Bundesrepublik sich vor der Aufwertung im Jahre 1961 plagen mußten:

- Der für die angehäuften Devisen ausgezahlte Gegenwert in Mark treibt auf den deutschen Märkten die Preise hoch ("importierte Inflation");

- der Run auf deutsche Wertpapiere heizt die Börse an; ein plötzliches Abziehen des Auslandskapitals aber kann die Kurse ungerechtfertigt tief stürzen lassen.

Bankiers sprachen angesichts der Devisenschwemme in der vergangenen Woche bereits ängstlich von einer zweiten Mark-Aufwertung. Da jedoch eine Neuauflage der 1961er Währungsoperation auf ständige Wiederholung schließen lassen könnte, würde sie gegenwärtig mehr schaden als nützen.

Die Bundesregierung sucht deshalb nach anderen Abwehrmöglichkeiten. Bundeskanzler Erhard nahm seine Besuche in Paris und Rom zum Anlaß, die Regierungen der gegenwärtig am stärksten inflationierten EWG-Länder zu einer energischeren Preispolitik anzuhalten. Frankreich und Italien aber sind eine Inflation und eine Währungsreform vom Ausmaß der deutschen erspart geblieben. Deshalb fruchteten Erhards Ermahnungen nur wenig.

Da der Meister den Zeitpunkt für währungspolitische Maßnahmen noch nicht für gekommen hält, meint auch Nachfolger Schmücker, man müsse erst die weitere Entwicklung- abwarten. Der Autodidakt der sozialen Marktwirtschaft hätte es noch schwerer als sein Vorgänger, Anordnungen jener Art ins Spiel zu-bringen, die von der Schweizer Regierung recht unbekümmert um ihr liberales Firmenschild unlängst angekündigt wurden: Der Verkauf von Wertpapieren, Grundstücken und Hypotheken an Ausländer wird eingeschränkt, die Verzinsung ausländischer Bankkonten rundweg Verboten.

Außer weiteren Zollsenkungen - um das Warenangebot durch billige Einfuhren zu verstärken -, Einschränkung der staatlichen Exportbürgschaften und vorzeitiger Schuldentilgung im Ausland, ist Bundeswirtschaftsminister Schmücker bislang noch nichts eingefallen.

Eine Anregung des Vorstandsmitglieds der Dresdner Bank AG, Ernst Matthiensen, rief in der vorletzten Woche lediglich bei den Großverdienern der Bundesrepublik Begeisterung hervor.

Matthiensen fand, es sei »wahrscheinlich noch eines der geringsten denkbaren Übel«, deutsche Anleihen statt mit sechs Prozent künftig mit nur drei Prozent zu verzinsen. Dafür aber sollten sie von Inländern steuerfrei erworben werden können. Den Ausländern, so meinte Matthiensen, würde ein Zins von drei Prozent keinen Anreiz bieten, ihr Geld in Deutschland anzulegen.

Der Plan stieß selbst bei dem Großmogul des westdeutschen Kapitals, Hermann Josef Abs, auf Widerspruch. Der Sprecher der Deutschen Bank meinte, dadurch würden die Bezieher höherer Einkommen einseitig begünstigt. Regierung und Bankiers wollen deshalb zunächst einmal abwarten, wie die Devisen-Bilanz sich im Januar-Bericht der Bundesbank ausnehmen wird.

Eines läßt der Devisenberg jedoch schon jetzt für 1964 vermuten: Die Zinssätze am westdeutschen Kapitalmarkt werden von sechs auf 5,5 Prozent sinken, die Preise für Waren und Dienstleistungen im olympischen Jahr schneller und höher klettern als 1963.

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