ZEITSCHRIFTEN / "AKUT" Zuviel Ladung
Fünf Wochen lang markierte Peter Jordan, 42, Chef vom Dienst des neuen Wissenschafts-Journals »Akut«, in Hamburg letzte Korrekturen auf den Seitenabzügen durch rote Klebemarken mit dem Aufdruck »Änderung«. In der sechsten Woche klebten Jordans rote Zettel auf Türen und Toilettenbrille der »Akut«-Redaktion.
Die Marken-Zeichen signalisierten grundlegenden Wandel bei »Akut": Die Redaktion der erstmals im Februar erschienenen Monatszeitschrift löste sich im März bereits wieder auf. Seither produzieren die »Akut«-Manager im renommierten Buchverlag Hoffmann und Campe ihr Wissenschaftsblatt ohne Wissenschaftsredakteure.
Donnerstag letzter Woche resignierte auch der Mentor des neuen Objekts, der »Akut«-Herausgeber und Heidelberger Medizin-Professor Hoimar von Ditfurth, 49: »Das ist nicht mehr mein Bier.«
Hatte der Psychiater seinen Lesern zum Blattstart noch hochgemut »Antwort auf unsere Frage nach der Beschaffenheit der Welt« versprochen, so möchte »Akut«-Verlagsleiter Rüdiger Hildebrandt nun Ditfurths Gebräu »auf die Hälfte der Substanz« verdünnen. Der Ditfurth-Kontrahent argwöhnt, die »rein vom Intellekt angesprochenen« Leser seien durch »Akut« überfordert. Und Verlagsmanager Michael Ganske, 31, Sohn des »Akut«-Verlegers Kurt Ganske, spricht von einem »Schiff mit zuviel Ladung, das mit seinem Tiefgang die Fahrrinne nicht schafft«.
So schwer befrachtet hatten die »Akut«-Mitarbeiter unter ihrem Chefredakteur Erwin Lausch das Blatt freilich nicht. Die von der Verlagswerbung geweckte Lesererwartung, »unsere Zeit als das faszinierende Abenteuer zu erleben«, erfüllten die neun Textredakteure allenfalls mit ihren Titelbeiträgen (über Aggression, Psychotests und außer Kontrolle geratene Bakterien). Im übrigen mischte sich aktuelle »Akut« -Thematik (etwa über Umweltschäden und Hochschulmisere) mit Populärwissenschaft -- die Ditfurth in Heft eins noch als »Zumutung« abgetan hatte, da sie »naturwissenschaftliche Halbbildung« vermittle.
Den Themenkatalog ergänzten wohlfeile Belehrung ("Was ist ein Hormon?"), Wissenschafts-Historie ("Darwin, der revolutionäre Denker") und bebilderte Volkshochschule ("Großer Farbbericht über das Gehirn").
Nur mäßig auch entwickelte sich die »Akut«-Nachfrage an bundesdeutschen Kiosken. Die Vertriebsabteilung des -- mit Hoffmann und Campe verschwisterten -- »Jahreszeiten Verlages« ("Für Sie« » »Petra«, »Zuhause«, »Vital«, »Architektur") konnte die der Werbewirtschaft für deren Inserate zugesagte »Garantie-Auflage« von 120 000 Exemplaren nur knapp erreichen -- mit Hilfe von 25 000 »Akut«-Beilagen in der konzerneigenen Lesezirkel-Gruppe »Daheim«.
Gleichwohl hielt Ditfurth Mitte Februar die Zeit für gekommen, sich von Konzernherr Kurt Ganske, 66, zehn neue Planstellen bewilligen zu lassen, darunter sieben für Textredakteure. Dem Herausgeber war entgangen, daß -- offenbar ohne Wissen des Seniors -- im Ganske-Management Mißbehagen über »Akut« aufgekommen war. Verlagsleiter Hildebrandt sinnierte über mehr »Optik und Graphik. Und schließlich erwog auch Verlegersohn und »Jahreszeiten«-Direktor Michael Ganske ("Die Dichte der Informationen im lieft erdrückt sich gegenseitig"), »aus einem »Akut zwei zu machen.
Ditfurth erfuhr davon zunächst ebensowenig wie Chefredakteur Lausch. Dem Redaktionsleiter schwante erst Unheil, als ein von ihm formuliertes Stellenangebot für die bewilligten zehn Mitarbeiter nicht an »Welt« und »Zeit« weitergeleitet, sondern von der Personalabteilung zurückgehalten wurde. Hildebrandt hatte das Inserat gestoppt.
Ende Februar gerieten sich in Ditfurths Haus im Hamburger Vorort Ahrensburg leitende »Akut«-Redakteure und Manager in die Haare.
Ganske junior und Hildebrandt steuerten offenkundig auf eine Trennung von Chefredakteur Lausch und dessen Textchef Peter Roese zu. Der Verlagshiter zu Lausch über Management-Pläne, die »Akut«-Texte mit Hilfe von Bildern und Durchschuß zu strecken: »Sie müßten ja drei Kobolze bis in die Lüneburger Heide schlagen, um da noch mitmachen zu können.«
Mitmachen wollte bei dem Blattwandel, zu dem sich die Manager offenbar von Ganskes Publikumsblättern inspirieren ließen, auch der Herausgeber nicht mehr. Ditfurth: »Vielleicht haben die ja recht mit ihrem Konzept, aber dann hätten sie uns das vorher sagen müssen.« Seine offizielle Rücktrittserklärung verschob der »Akut« -Professor bis zum Donnerstag letzter Woche, um in einer Aussprache mit Altverleger Ganske »faire Regelungen, (Ditfurth) für alle Mitarbeiter auszuhandeln.
Bis dahin hatten allerdings vier Redakteure schon gekündigt; den Bildungsredakteur Hayo Matthiesen -- zunächst als neuer Chefredakteur vorgesehen -- feuerte der Verlag nach einem Streit mit Michael Ganske über die Heft-Thematik. Und bis auf zwei saßen schließlich alle »Akut« -Schreiber zu Hause. In der Redaktion mußten Journalisten aus dem »Jahreszeiten Verlag« einspringen. Hildebrandt, der mit dieser Entwicklung »nicht gerechnet« hatte, versuchte sich zu arrangieren -- so mit Matthiesen. der nun für Hoffmann und Campe ein Sachbuch schreibt.
In die »Akut«-Redaktion will keiner der vergraulten Blattmacher zurückkehren. Lausch, der seit dem Kobolz-Schlag zu Hause auf Nachricht vom Verlag wartet: »Der Vorgang ist mir immer noch ein Rätsel.«
Die Lösung glaubt ein Lausch-Kollege zu kennen. Im zweiten Heft kritisierte »Akut« Wirtschaftswerbung in Schulzeitschriften -- und nannte Namen von »Jahreszeiten«-Inserenten: Unilever, Horten, Köllnflocken. Der »Akut«-Journalist: »Da haben die erst kapiert, was das für eine Zeitschrift ist.«