»Zuville Bananen jejess'n«
Eberswalder Glatzen sitzen am helllichten Tag mit angeleinten Hunden auf dem verlassenen sowjetischen Friedhof und betrachten die umgestürzten Grabsteine. Keiner stört sie. Die Sowjets sind weg. Die Polizei hat es aufgegeben zu klären, ob die Steine »schon wieder liegen oder immer noch«.
Eberswalder Glatzen starren aus Altbaufenstern an der Bergerstraße, in T-Shirts, auf denen »White Pride« steht - Weißer Stolz. Sie ritzen im Tattoo-Studio völkische und andere Motive in weiße Haut. Abends geht's mit Reichskriegsflagge, Eisernem Kreuz oder »Gau-Brandenburg«-Aufnäher an der Bomberjacke schweren Tritts aus dem Leibniz-Viertel Richtung Innenstadt.
Sie sind nicht in der Mehrheit, die neuen Nazis in Eberswalde, 50 Kilometer nördlich von Berlin. Die Mehrheit hier trägt im Herzen die SPD und auf dem Kopf Prinz-Heinrich-Mütze oder Dauerwelle.
Doch sie sind da, unübersehbar, unheimlich: die »sogenannten national Gesinnten«, wie die Polizei sagt. »Die Bengels«, wie's mit mildem väterlichem Tadel im Brandenburger Volksmund heißt. Gemeint sind Kahlschädel, Seitengescheitelte mit schräg gekämmten Stirnfransen und Stoppelköpfe. Im Tarngewand der Ostjugend, die rechts wie links zu scharfer Schur neigt, erkennt man die Rechten an Gang und Blick. Sie schlendern nicht und lächeln kaum.
Der kleine Schimansky kennt das. Zwar ist er noch Steppke, aber von hier. Er merkt sich die Ecken, wo die Jungs sich rumtreiben. Erzählt's zu Hause, wenn er wieder »zwee Rechte jesehen« und sich aus dem Staub gemacht hat. Er kann Skins von Sharp-Skins unterscheiden, rechte von linken Glatzen. Das zählt für ihn.
Denn Schimansky hat nur den deutschen Namen von seiner Mutter. Den Vornamen (Amadeu Antonio) und die dunkle Haut hat er vom Vater, den er nicht kennengelernt hat: Amadeu Antonio.
Der Angolaner war Vertragsarbeiter im ehemaligen Fleischkombinat und ist am 6. Dezember 1990 in Eberswalde gestorben - er wurde zu Tode getreten. Die Täter, die damals »Deutschland den Deutschen« riefen, ehe sie zutraten, hießen Sven und Kay-Nando, Gordon und Marek - DDR-Kinder mit Namen, die vom ungestillten Fernweh der Eltern erzählen.
Neun Wochen nach dem Ende der DDR starb Amadeu Antonio, das erste Todesopfer des Fremdenhasses im deutschen Osten. Amadeu junior wurde an dem Tag geboren, an dem die Leiche seines brutal ermordeten Vaters nach Angola überführt wurde.
Er ist jetzt sieben und Grundschüler. In einem eiskalten, verrauchten Container am Rand des Industriegebiets Coppistraße sitzt er vor einem Poster, das seinen Vater zeigt. Mit dem Rücken dazu steht Amadeus Stiefvater, Ngoy Mukendi aus dem Kongo, und schlägt dumpf die Batuquc, die zylindrische Trommel. Die letzten Schwarzen von Eberswalde feiern das Überleben des Afrikanischen Kulturvereins.
Eberswalde zu DDR-Zeiten, das war Industrie, Kranbau und Würstchen und zwischendrin die ruhmreiche 20. Panzerarmee der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Auf 50 000 Eberswalder kamen 25 000 Sowjets, dazu ein paar hundert Schwarzafrikaner, Kubaner und Vietnamesen.
Eberswalde heute, das sind immer noch rund 50 000 Einwohner - offiziell zu einem Viertel, inoffiziell zu mindestens einem Drittel ohne feste Beschäftigung. Im Hüttengasthof, vor dessen Tür Amadeu Antonio erschlagen wurde, treffen sich jetzt Vorruheständler zur Tanztherapie.
Anstelle der Sowjets sind ein paar Rußlanddeutsche nach Eberswalde gekommen. Ausländer haben nun weniger als ein Prozent Anteil an der Bevölkerung, aber einen Großteil Schuld an deren Schicksal, so heißt es vielerorts. Nur zehn schwarze angolanische Arbeiter sind noch in der Stadt.
Sie trommeln laut und furchtlos in den Samstagabend hinein. Draußen, kaum 500 Meter entfernt, strömt Stadtjugend und angereistes Landvolk aus der nahen Uckermark in die Diskothek »Altwerk«. Zwischen bravem Zivil dominiert gestriger Chic: Milchgesichter mit gestutzten Oberlippenbärtchen, Glatzen, schwere Stiefel, adrette Bräute.
Was treibt die Afrikaner, in diesem gottverlassenen Industriegebiet zu trommeln, als stünde der Jüngste Tag bevor?
Amadeu, die Halbwaise, ist mit der Gefahr groß geworden. Sein Onkel Francisco hat 1990 die tödliche Hatz auf der Leninstraße mit Schnittwunden im Gesicht überlebt. Onkel Lutumba ist im November am Eberswalder Bahnhof von wartenden Skinheads zusammengeschlagen und von der Polizei nach Hause gebracht worden. Auf den lustigen Quequeto, ebenfalls Angolaner, haben zwei Rechte im vergangenen Oktober ihre Pitbulls gehetzt. Einer der Täter ist ein Arbeitskollege von Amadeus Stiefvater. Der hat sich jetzt einen alten Opel beschafft. Wer fährt, lebt sicherer.
In Eberswalde gibt es Orte, die meidet Gabriele Mukendi, die deutsche Mutter von Amadeu. Aus der Ehe mit Ngoy, dem Betriebswirt aus Kinshasa, hat sie noch drei farbige Kinder. Zur Tante nimmt man nun nicht mehr die Abkürzung über die Brücke ins Leibniz-Viertel, wo am alten Gemäuer der Brauerei ein runenverziertes »Tod den Verrätern« steht. Hier ist die Sache mit den Pitbulls passiert.
Auch die Tankstelle, wo der Lehrling als Rechter gilt und eine Baseballkeule unter dem Tresen gesehen wurde, scheidet aus. Auf dem Weg zum Tierarzt ist die Bergerstraße tabu, wo der Kleine von Glatzen beim letztenmal zu hören bekam: »Kiek mal, der hat zuville Bananen jejess'n. Sieg, Heil!«
Nicht daß in Eberswalde der Terror gesiegt hätte. Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist über die Jahre auf hohem Niveau stabil. Die Polizei versteckt sich nicht. Sieben Eberswalder Beamte sind für das neue Brandenburger Mobile Einsatzkommando gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit abgestellt worden. Auch aufrechte Bürger engagieren sich: im In- und Ausländerkreis, in der Kirche, für Kultur.
Weitverbreitet allerdings ist der Wille zum zivilen Widerstand gegen rechts nicht. Bei Älteren vergoldet nicht selten noch die Erinnerung an Vollbeschäftigung das Urteil über jene Zeit, als Göring nahebei in »Karinhall« residierte und Goebbels im Landgut am Bogensee.
Auch bei gelernten DDR-Bürgern sei auf Verständnis für die Rechten zu rechnen, sagt die Ausländerbeauftragte Marieta Böttger, solange sie nicht selbst von den Kurzgeschorenen vermöbelt würden. Der Tenor laute: »Irgendwie haben die ja recht. Muß doch mal aufgeräumt werden.« Der Apfel lande direkt am Stamm, bestätigt Arne Poguntke vom rechten Jugendclub »Domizil": »Wat unsre Bengels machen, is' det, wat' se glauben, das ihren Eltern jefallen könnte.«
Nur langsam kriecht die Angst auch in der deutschen Bevölkerung hoch. »Zunehmend beklagen sich Frauen, daß sie sich nachts nicht mehr sicher fühlen«, sagt Polizeipräsidentin Uta Leichsenring. »Man nimmt nicht mehr den letzten Bus«, räumt Hartwin Schulz, kirchlicher Jugendbeauftragter, ein: »Wer weiß, vielleicht stehen wir alle schon auf der Liste?«
»National befreite Zonen«, wie sie die Rechten unverblümt fordern, »No-Go-Areas«, wie es die Amerikaner nennen, sind das noch nicht. Aber der erste Schritt dazu: kleine, in den Köpfen einzelner umrissene Sperrgebiete.
Denn »die Bengels« machen nun ernst, nach Jahren angespannter Ruhe. Es sind nicht mehr die gleichen wie früher. Die Schläger der ersten Generation, die Totschläger von Amadeu Antonio und ihr Umfeld, sitzen ein oder haben als Familienväter andere Interessen. Ihre Nachfolger halten sich nicht mehr nur mit Schwarzen auf. Seit der Pitbull-Attacke Ende Oktober geht es Schlag auf Schlag in Eberswalde.
Am 12. Dezember prügeln fünf Jugendliche einen türkischen Döner-Betreiber mit Baseballschlägern nieder, nachdem sie zuvor einen deutschen Passanten angegriffen haben. Sie hatten, so geben sie später zu Protokoll, »einfach Lust, sich zu schlagen«. Der Türke überlebt mit lebensgefährlichen, der Deutsche mit schweren Verletzungen.
Am Silvesterabend überfällt im »Ghetto«, wie das Wohngebiet Brandenburgisches Viertel genannt wird, 300 Meter vor Amadeus Haustür, ein knappes Dutzend Jugendlicher den türkischen Imbißbetreiber Halis Özyürek. »Ihr Scheißtürken sollt brennen«, hätten sie ihm zugerufen, sagt der Angegriffene. Er zog sein Döner-Messer und trennte dem Anführer einen Ringfinger ab, die anderen flüchteten.
Fünf Wochen später wird in der Rudolf-Breitscheid-Straße ein deutsches Pärchen von vier Jugendlichen aus Schwedt angepöbelt. Sie haben, wie die Polizei später feststellt, bis zu 1,95 Promille im Blut. Der junge Mann wird krankenhausreif geschlagen.
Am Freitag vorvergangener Woche wurden bei der einschlägig bekannten DEA-Tankstelle zwei Jugendliche brutal verprügelt. Sie hatten sich geweigert, die Hand zum Hitlergruß zu heben.
»Eberswalde ist nicht unser Brennpunkt«, sagt die Polizeipräsidentin. Anderswo falle mehr vor. Allerdings, die Gefahr sei offenkundig: »Wir haben jeden Tag neue Anzeigen wegen SS-Runen oder Hakenkreuzen. Und die Täter werden immer jünger. Ab 13, 14 geht es los.«
Die Polizei beklagt Phänomene, denen sie machtlos gegenüberstehe: Mal sind es Abiturienten, »die das Dritte Reich kaum behandelt haben«, dann wieder Jugendliche, die von frühester Jugend an nichts als zügellose Gewalt kennen. »Die Hemmschwelle is' runter. Es wird barbarisch zugeschlagen.« Das ergebe einen Brandsatz, der erst noch zünden werde, sagt Uta Leichsenring. »Es wird zunehmend versucht, die rechte Szene zu organisieren.«
Anfang Dezember gründet sich in Eberswalde der »Kameradschaftsbund Barnim«. Er verantwortet eine Wurfsendung, die sich wenig später in Eberswalder Briefkästen findet: »Wehren Sie sich gegen die Überfremdung in Ihrer Heimat.«
Die Eberswalder Rechte stand bis dahin im Ruf, eine Truppe wüster Säufer und Schläger zu sein, die sich weitgehend ideologiefrei mit Sprit und »Oi-Mucke« (deutscher Musik) in Fahrt bringt für Randale gegen Ausländer und Linke. Von politischer Arbeit war nie die Rede. Inzwischen wird unter Führung eines 19 Jahre alten Lehrlings, Typ Schwiegermutter-Traum, die Anbindung an »Kameraden« aus anderen Teilen des Landes gesucht.
Kommunalwahlen in Brandenburg stehen im Herbst an. Nicht nur die Polizeipräsidentin bemerkt im Stadtbild das Vordringen »junger Männer mit schwarzen Jacketts, weißem Hemd und Schlips - der gepflegte Deutsche sozusagen, wie er in der Nazi-Zeit propagiert wurde«.
Den Unterbau bildet der Eberswalder »Jungsturm«, wie die Jugendlichen zwischen 14 und 17 genannt werden, aus Sicht der Älteren eine Art Führungsreserve. Der Jungsturm darf mitsaufen und muß dann Mutproben ablegen: »Wat bist'n du für 'ne Weichwurst, mein Bier reinziehn, aber nicht das Horst-Wessel-Lied singen?«
Der Jungsturm besorgt auch die Drecksarbeit. Braucht der Anführer Geld, hetzt er den Nachwuchs auf ein Opfer unter dem Vorwand, es treffe zweifelsfrei einen »Verräter«, der bei »den Bullen gepetzt« habe, oder »ein Judenschwein«. Nachfragen gebe es nicht, sagt einer aus der Szene: »Unsre kleen' Bengels kennen keen' Juden.«
Unterhalb des Jungsturms rangieren Kinder wie die Geschwister Tina und Stefan, die mit Kumpels im Keller der Evangelischen Friedenskirchengemeinde sitzen. Es sind mehrheitlich Straßenkinder aus zerrütteten Familien, die hier Zuflucht finden. Weil die häusliche Geborgenheit verloren und eine neue Heimat noch nicht gefunden ist, taugen sie zur Rekrutierungsmasse. Das nötige Gedankengut ist vorhanden.
Hobbys? »Wir ziehen durchs ,Ghetto' und schreien ,Sieg, Heil!'«, sagt Tina. Sie meint das Viertel, im dem der kleine Amadeu wohnt. Sie ist zwölf und war 1995 zum letztenmal in der Schule.
Ausländer kennt sie keine, außer denen vom Döner-Grill. Dabei soll es bleiben. Verreisen kommt nicht in Frage: »Ick bleib' in mein stolzet Vaterland.« Dann pflügt sie mit den Fingern durch das, was sie zutreffend »Hitlerjugendschnitt« nennt, und wundert sich über ihre Betreuerin, die so was für einen »Pony« hält: »Umsonst mach' ick mir det nich'.«
»Die Scheißkanaken«, sagt Tina, »die Türken, wischen jedet Klo für wenig Geld. Sie nehmen Deutschen die Arbeit weg.« Was weiß sie von Arbeit, mit zwölf? »Jeden Tag die ganze Stadt unsicher machen, is' ooch Arbeit«, sagt sie. Und brüllt im Chor mit: »Heil die rote Fahne, heil die rote Fahne mit dem Hakenkreuz!«
Die Jugend polarisiere sich, »Glatze oder Türkentuch«, dazwischen habe wenig Platz, heißt es in der Stadt. Noch gibt es eine Antifa-Szene in Eberswalde, die nicht nur beim Überpinseln rechter Graffiti kräftig Hand anlegt. Die Ausländerbeauftragte hat Sprüche aus beiden Lagern gesammelt.
»Was steht an jeder Mauer - Skinhead Power; Was steht an jeder Wand - Punk verbrand«, heißt es da. Und von links: »Haut die Glatzen, bis sie platzen! Amen!« beziehungsweise: »Liegt eine Zecke tot im Keller, war der Nazi wieder schneller; liegt er dann daneben, war die Zecke noch am Leben.«
Nur Maulheldentum? 100 Jugendliche und 70 Erwachsene haben im Eberswalder »Colosseum« den Kurs »Anti-Terror-Kampf/Straßenkampf« gebucht, wo mit Baseballschläger- und Messerattrappen für den Alltag geübt wird. Im Jugendclub »Domizil« werden Waffen an der Garderobe eingesammelt. Der Bürgermeister und die SPD-Mehrheit aber hoffen auf mehr Fremdenverkehr.
Sie sind nicht untätig. Die Fußgängerampeln in der Stadt ticken nun laut und blindenfreundlich. Asphaltierte Buckel garantieren Tempo 30 in Wohnstraßen. Der Wochenmarkt ist schmuck. »Und in der Heimat, ja, da ist es doch am schönsten«, tönt's vom Schlagerstadel her. Daneben verkauft ein Pakistaner britische Bomberjacken ab Größe 28, für Deutsche ab 6.
Die Träger der Jacken trifft Amadeu Antonio auf seinem Schulhof im »Ghetto« oder im Einkaufszentrum Heidewald. Seine Altersklasse, nicht sein Geschmack. Ausstaffiert wie ihre großen Brüder, beinahe kahlgeschoren schon in der Grundschule, treten die Jungmänner in den Pausen mit schweren Schuhen nach allem, was sich regt.
Amadeu zuckt nicht, wenn er am Eingang zum Discounter Meyer & Beck mit seiner Promenadenmischung Blacky auftaucht und ein paramilitärisch gedresster Mops von vielleicht zehn Jahren spontan den Arm hochreißt. Es ist ohnehin der linke Arm, der falsche.
»Ick hab' Punks als Freunde«, sagt Amadeu stolz. Auch in der Klasse hat er Kumpels, und zum Fasching geht er als Cowboy. Weinend kommt er nur nach Hause, wenn Jungs - »fast so groß wie Papa« - ihm wieder einmal Sachen zurufen, die er dann Mama erzählt. »Verpiß dich in dein Land, Negerschwein«, brachte er beim letztenmal mit, nichts Neues. Wenn er größer ist, wird er zurückberlinern.
Zur Zeit ist das Badezimmer noch mit Michael-Jackson-Plakaten tapeziert, Bilder einer Laufbahn. Zusammengenommen erzählen sie die Geschichte von einem, der mit schwarzer Haut geboren und mit heller Haut ein Held wurde.
»Jeden Tag die ganze Stadt unsicher machen, is' ooch Arbeit«
»Verpiß dich in dein Land, du Negerschwein«