SOZIALVERSICHERUNG Zuwachs im Gehege
Bei ihrer rastlosen Suche nach Haushaltsgeld stieß Ludwig Erhards Bundesregierung nebenher ein Prinzip um, das so alt ist wie Bismarcks Sozialversicherung: daß der Kollektiv-Schutz nicht für alle da ist.
Vom 1. Januar nächsten Jahres an müssen sich 340 000 deutsche Angestellte, die mehr als 1800 Mark im Monat verdienen, gegen Arbeitslosigkeit versichern. Bisher endete an der Grenze von 1800 Mark alle staatliche Zwangsfürsorge.
Noch als im April vergangenen Jahres der Bundestag über den SPD-Vorschlag debattierte, eine Rentenversicherung für jedermann einzuführen, hatten die Sozialpolitiker der Unionsparteien die Grenze zäh verteidigt. »Der Gesetzgeber«, so damals der Abgeordnete Dr. Ludwig Franz für die CDU/CSU, »darf Versicherungspflicht nur dort setzen, wo er berechtigte Zweifel am Willen und an der Fähigkeit der Versicherten hat, selbstverantwortlich für sich selber und ihre Familie zu sorgen.«
Jetzt sind es Zweifel an der eigenen Zahlungsfähigkeit, die dem Kabinett den alten Grundsatz überflüssig erscheinen lassen. Die Bonner Regierung, die nicht weiß, wie sie ihren Etat ausgleichen soll, hat sich 434 Millionen Mark Ausgaben für das Mutterschaftsgeld sowie für Berufs- und Leistungsförderung vom Halse geschafft und sie der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung aufgebürdet. Damit die Nürnberger genug Geld dafür erhalten, bittet Bonn die gutverdienenden Angestellten zur Arbeitslosen-Kasse.
Sie müssen den Höchstbeitrag zahlen, das sind monatlich 16,90 Mark, in die sich der Versicherte und seine Firma teilen. Ihre Scherflein sollen insgesamt 69 Millionen Mark erbringen. Nur Gehaltsempfänger, die (beispielsweise als Prokuristen) Arbeitgeber-Funktionen ausüben, bleiben von der Versicherung frei.
Auch die schon immer Pflichtversicherten müssen zum Muttergeld beisteuern. Ihnen sollte ursprünglich der Beitrag vom nächsten Jahr an ermäßigt werden. Nun bleibt es bei der alten Prämie.
Die Neulinge im Sozial-Gehege erwartet, falls sie einmal arbeitslos werden, kein standesgemäßes Stempelgeld. Alleinstehende zum Beispiel erhalten pro Woche 110,70 Mark.
Arbeitslose an der Unterstützungskasse
Stempelgeld für jeden