VERBRECHEN Zwei, fünf oder 17
Das Inserat in der »Süddeutschen Zeitung«, Rubrik »Heiraten«, war fast zu schön, um wahr zu sein: Ein »Arzt, verw., 41 J., 184, dunkel, 79 kg, mit besteingeführter Privatklinik, herrlichem Besitz in Nizza, anhanglos«, suchte eine »adäquate Partnerin zur baldigen Ehe«. Vermögen war »aus Paritätsgründen erwünscht«.
Gleichwohl wurden aufgrund der Annonce mindestens zwei Frauen näher bekannt mit dem Herrn, der sich ihnen als Dr. Karl Theodor Herzog, Augenarzt, vorstellte. Beide Damen kamen unmittelbar danach ums Leben: >Die geschiedene Millionenerbin Karin Schubert, 41, lag vergiftet im Münchner Villenviertel Grünwald; »Dr. Herzog« hatte ihr am Abend des Todestages mit einem Strauß Rosen seine Aufwartung gemacht. > Die geschiedene Anwaltssekretärin Sonnhilde Wienold, 35, aus München wurde im Keller eines ehemaligen Exerzitienhauses der Jesuiten am Starnberger See gefunden -- erwürgt, durch Schnittverletzungen entstellt und mit ausgestochenen Augen; ihren Kontakt mit »Dr. Herzog« belegte eine Telephon-Notiz auf einem Zeitungsausschnitt, sichergestellt in ihrer Wohnung. Ob die Millionärin und die Sekretärin in der Person des Rosenkavaliers gleichzeitig auch ihrem Mörder begegneten, blieb freilich bis Ende letzter Woche unbewiesen. Fest steht: Der angebliche Augenarzt, der Mitte Juli mit seiner Freundin und mutmaßlichen Komplizin Ingeborg Helmtrud von Hatten verhaftet wurde, ist der gelernte Hotelkaufmann Elmar Schärmer, 39, aus Tirol, ein in der Bundesrepublik mehrfach wegen Körperverletzung, Amtsanmaßung, Unterschlagung und Untreue vorbestrafter Heiratsschwindler. Der fesche Österreicher machte sich an seine Opfer auch als »Dr. Rebe«, »Dr. Kaulbach« oder »Clemens von Fürstenried« heran.
Tatsachen sind auch, daß bei Schärmer ein Nerzmantel und eine rote Tasche aus der Wohnung der Wienold wiedergefunden wurden, daß Schärmers Freundin Euroschecks der Sekretärin, von dieser blanko unterschrieben, gegen bar einlöste und daß er nach Aussage der Frau von Hatten in ihrer Begleitung bei einem Spaziergang den Keller des verlassenen Exerzitienhauses besichtigte, auch wenn sie sich dabei, wie von Hatten-Anwalt Karlheinz Seidl wertet, »der Bedeutung ihrer Aussage nicht bewußt war«.
Doch die erst allmählich sich verdichtenden Verdachtsmomente, bei denen vor allem Spuren einer Tatausführung durch den Tatverdächtigen fehlten und das »Motiv nach wie vor rätselhaft« (so der Oberstaatsanwalt Heinz Stocker) blieb, langten Bilderblättern und Boulevardzeitungen allemal für einen sommerlichen Knüller. »Der Mörder«, befand etwa »Quick« geschwind, »kam als Heiratskandidat.« Münchens »tz« unterbrach »aus aktuellem Anlaß« ihre laufende Serie »Urlaub nur für starke Typen« und feierte statt dessen »Hochzeit mit dem Tod -- Wenn Heiratsschwindler zu Frauenmördern werden«.
Allen voran aber schlachtete die »Bild«-Zeitung, wieder einmal »selbsternannter Oberrichter der Nation« ("Frankfurter Rundschau"), den prallen Fall aus. Das Blatt erfand aus »Elmar S.« den plakativen Schlagzeilen-Unhold »Dr. Mord« für eine Serie über den »gefährlichen Heiratsschwindler«. Das Täterschaftsproblem geriet darin, wie selbstverständlich, zu einer beinah nebensächlichen Frage der Quantität ("Zwei Frauen? Fünf? Oder 17?"), statt dessen tobte der »Bild«-Bube andauernd als ebenso raffinierter wie rabiater Lüstling durch die Spalten.
»Dr. Mord« war da »als falscher Tierarzt in Augsburg auf Frauenjagd« und trieb es in »fünf wilden Liebesnächten mit der Frau des Lebensmittelhändlers«. Er figurierte von Folge zu Folge als »Callboy Dr. Mord und seine seltsamen Kunden« und probierte für »Bild« buchstäblich »alle Perversitäten« aus.
Das Geschäft mit »Dr. Mord« florierte offenbar vornehmlich deswegen, weil sich fixen Rechercheuren aus früheren Gerichtsverfahren gegen Schärmer eine Fundgrube für »triebhafte Sexgier« ("tz") erschloß. Und stets bezeugt der ehemalige Angeklagte, manchmal auch eine Partnerin, seinen schier unstillbaren Appetit.
»Acht-bis zehnmal am Tag«, brüstete sich der Tiroler demnach beispielsweise 1972 in einem Prozeß um eine Münchner Kaufmannsfrau' die er mit Eheversprechen nach Kanada gelockt und dort sitzengelassen hatte, »habe ich ihr gegeben, was sie brauchte.« Zur Anregung nahm er Wodka und Whisky, aber auch allerlei »Lustwerkzeuge« ("Abendzeitung").
Schön ins Münchner Doppelmorddrama paßt schließlich auch, wenn sich -- worüber nicht nur »Bild« und »tz« spekulierten dem vorgeführten Sexsadisten vielleicht noch mehr Leichen anlasten ließen, etwa jene Serie von fünfzehn ungeklärten Frauenmorden, die seit 1963 im Raum Augsburg begangen wurden (SPIEGEL 22/1972).
Immerhin wohnte Schärmer zu der Zeit auch ein paar Jahre in Augsburg. Ansonsten gibt es da allerdings vorerst »keinerlei Parallelen« (Staatsanwalt Stocker). Aber auch wenn die Beweise möglicherweise doch wenigstens für die Münchner Verbrechen ausreichen sollten (Schärmer-Anwalt Steffen Ufer: »Es sieht nicht gut aus für meinen Mandanten"), gehörte Schärmer zu den »kriminalistischen Raritäten«, befindet der Münchner Psychologe und Kriminalexperte Georg Sieber. Denn unter Heiratsschwindlern und Hochstaplern sei der Anteil der Täter, die, aus welchen Gründen auch immer, gewalttätig werden oder gar Tötungsabsichten verfolgen, »extrem niedrig«. Triebtaten jedenfalls scheinen in den Münchner Fällen, zumindest bei der vergifteten Frau Schubert, nur wenig wahrscheinlich.
Wie immer Schuld oder Unschuld des Schwindlers schließlich belegt oder widerlegt werden -- der Häftling hat schon wieder Heiratsabsichten. Aus dem Gefängnis in München-Stadelheim versprach Schärmer letzte Woche seiner jüngsten Gefährtin Ingeborg von Hatten, die er vergangenes Jahr ebenfalls per Annonce ("Kaufmann, 40, Tiroler, Cosmopolit. selbständig") kennengelernt und seitdem um 85 000 Mark erleichtert hat, brieflich die Ehe nach dem Knast. »Diese schreckliche Zeit«, weiß er, »wird bald für uns vorbei sein, und dann werden wir das tun, was wir immer wollten ... Ich will Dein Mann sein -- der Mann, der Dich glücklich macht.«